08.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 104 / Tagesordnungspunkt 18

Frank HeinrichCDU/CSU - Deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010/2013

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich weiß nicht, wer von Ihnen schon da war, als eben die Gedenkstunde zu 70 Jahren Kriegsende stattfand. Das Kriegsende markiert nicht nur die Befreiung von Völkermord und humanitärer Katastrophe, sondern auch den Beginn von 70 Jahren Frieden in Europa, in einem Großteil Europas – so lange wie vorher tausend Jahre lang nicht.

Aus dieser Geschichte wächst Verantwortung. Das betont die Einleitung des Berichts, über den wir jetzt debattieren. Ich zitiere aus dieser Einleitung:

Der Bericht hat, grob gesehen, zwei Elemente – Sie haben vieles davon jetzt schon gehört –:

Im ersten Teil geht es um die Strategie, um die Neuausrichtung der humanitären Hilfe durch die Ressortvereinbarung zwischen dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und dem Auswärtigen Amt. Da gibt es immer noch Verbesserungsbedarf. Das Ergebnis der Anhörung – Herr Koenigs, Sie haben das angesprochen – lautet: Das muss noch verbessert werden. Es muss noch weiter darüber geredet werden, wie wir das besser machen können. Die Koordinierung vor Ort ist ganz besonders wichtig. Es geht um bessere Verknüpfung von kurz- und langfristiger Hilfe, Soforthilfe, Übergangshilfe, Katastrophenvorsorge. – Da liegt noch eine Menge Arbeit vor uns.

Der zweite Teil ist die Berichterstattung über die vier schon genannten Jahre 2010 bis 2013. Der Aufwuchs der Bedarfe ist, glaube ich, durch meine Vorredner schon ziemlich deutlich geworden. Der Bedarf wächst auch seit 2013 weiter. Gründe für den steigenden Bedarf sind: allgemeine Zunahme der Zahl von Extremwetterereignissen – Trockenheit, Fluten, Überschwemmungen in Afrika, Wirbelstürme in Asien –, große Naturereignisse mit Katastrophenfolgen wie das Erdbeben in Haiti – das ist schon wieder eine Weile her; es fiel aber genau in diesen Zeitraum – oder auch die Fluten in Pakistan, Zunahme der Anzahl von Krisen und Konflikten, Zunahme auch, was deren Dauer und Ausmaß angeht – ich nenne die langanhaltenden Krisen in Afrika; es gibt drei große zeitgleich bestehende Konflikte: in Syrien, im Südsudan und in der Zentralafrikanischen Republik –, steigende Kosten für komplexe Operationen humanitärer Art.

Jetzt, im Jahr 2015, haben wir gleich eine Handvoll humanitärer Krisen vor uns. Wir haben davon gehört, was im Jemen passiert, in Nepal, im Südsudan, in Eritrea, in Zentralafrika. Wir haben die Menschen vor Augen, die im Mittelmeer ertrinken – großteils als Folge dieser Krisen.

Ich weiß, dass es vielen meiner Kollegen und auch vielen Bürgern und Menschen, die in unserem Land Mitverantwortung tragen, ähnlich geht wie mir. Es ist eine riesige Betroffenheit vorhanden, nicht nur am Tag einer Katastrophe und an den Tagen danach. Durch das Ertrinken von Menschen haben wir das vor Augen. Die letzten zwei, drei Wochen haben mich innerlich zerrissen. Ich denke an das Alte Testament. Früher hat man, wenn man eine große Trauer gefühlt hat, sein Hemd zerrissen. Das mache ich jetzt nicht.

(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das wär’s!)

Aber eigentlich müsste man das tun, um deutlich zu machen: Das können wir doch nicht zulassen. Dabei können wir doch nicht ruhig bleiben. – Als ehemaliger Pastor habe ich darüber nachgedacht, ob ich eine Weile faste. Auch das war eine Möglichkeit dafür, Trauer auszudrücken, Mitleiden auszudrücken, darüber nachzusinnen: Was kann man denn verändern? Ich habe sogar kurz über einen Hungerstreik nachgedacht, wusste in dem Moment aber nicht, gegen wen.

Es geht darum, auszudrücken: Ich will nicht dabei bleiben. Ich will mich nicht damit zufriedengeben, dass mir die Ohnmacht, die ich jetzt gerade empfinde, möglicherweise dadurch genommen wird, dass die nächsten drei Krisen entstehen. Ich will diese Ohnmacht teilen und ihr Ausdruck verleihen, damit dann konstruktiv miteinander gearbeitet werden kann. Ich will nicht betäubt werden durch die vier nächsten zugegeben wahrscheinlich wichtigen Themen, die hier im Parlament diskutiert werden müssen.

Ein Zweites will ich nicht. Wir haben vor 14 Tagen hier eine tolle Debatte anlässlich des 100. Jahrestags des Genozids an den Armeniern geführt. Ein Satz des Bundestagspräsidenten war – ich sage das jetzt mit meinen Worten –: Wir wussten alles zu der damaligen Zeit. Wir, Deutschland, wussten alles und haben nicht getan, was wir konnten. – Ich will nicht, dass meine Kinder und Enkel irgendwann am Mittelmeer stehen und genau diesen Satz über unsere Generation und über uns Politiker sagen müssen, nämlich dass wir alles wussten und nicht getan haben, was wir konnten. Das heißt nicht, dass wir die richtige Lösung sofort parat haben, das heißt nicht, dass es nur um Geld geht, das heißt auch nicht, dass wir einfach mehr Flüchtlinge aufnehmen, aber das heißt, dass wir – damit geht es nicht nur um humanitäre Hilfe – konstruktiv die Köpfe zusammenstecken, bis wir herausfinden, was wir denn tun können; das muss langfristig glaubwürdig sein.

Das geht über die ganze Bandbreite der Thematik: Es geht um die humanitäre Hilfe, richtig abgestimmt vor Ort, aber auch abgestimmt mit den europäischen Partnern, um Außenpolitik, Entwicklungszusammenarbeit und Ursachenbekämpfung; der Herr Staatssekretär hat es angesprochen. Es geht um die Hilfe für die Aufnahmestaaten Libanon, Jordanien, Türkei. Was die Syrien- Krise angeht, können wir noch mehr tun, natürlich auch bei der Bekämpfung der Schleuserkriminalität, die übrigens nicht nur am Mittelmeer zu finden ist. Und es geht um die Seenotrettung der Flüchtlinge. Wir brauchen eine abgestimmte EU-Politik und möglicherweise eine Diskussion über ein Ende des Dublin-Verfahrens.

(Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Letztlich geht es um die deutsche Regelung zu Asyl und Zuwanderung. Natürlich gibt es tolle Signale: heute der Gipfel im Kanzleramt,

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja ein tolles Signal!)

die Schiffe, die zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, die Initiative des BMZ. Ich bin dankbar; aber es reicht mir nicht.

In Kohärenz und Zusammenarbeit müssen wir uns quer durch unser Haus, quer durch die Ministerien, quer durch unsere Gesellschaft, bei den Medien angefangen über uns Bürger als Nachbarn, auf die Frage fokussieren: Wollen wir, dass in 50 Jahren über uns gesagt wird, wir hätten alles gewusst, aber nicht alles getan, was wir konnten? – Wir müssen das Problem wirklich angehen.

Ich komme zum Ende, Frau Präsidentin. – Heute ist der Tag der Befreiung. Morgen, am 9. Mai, ist Europatag. Vor 65 Jahren schlug der französische Außenminister Robert Schuman in einer Rede unter anderem das vor, was wir heute als Europa kennen. Unter anderem sagte er in der Rede – ich zitiere –:

Genau das gilt heute auch wieder, nur dass die Perspektive global sein muss und die Reaktion ganzheitlich. Ich wünsche mir, dass wir solchen Anstrengungen Priorität verleihen.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank, Frank Heinrich. – Nächster Redner: Dr. Rolf Mützenich für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

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Session 104
Agenda Item Deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010/2013
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