08.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 104 / Tagesordnungspunkt 18

Dagmar WöhrlCDU/CSU - Deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010/2013

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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Erst einmal möchte ich mich dafür bedanken, dass es möglich ist, heute über dieses Thema zu debattieren. Wir wissen, dass eine Katastrophe die andere jagt. In Nepal gab es erst vor kurzem über 8 000 Tote. Bei Ebola hoffen wir, dass die Epidemie bald überwunden sein wird; hier gab es über 10 000 Tote. Wir haben immens viele Krisen und immens viele Konfliktgebiete auf der Welt; das zeigt der Bericht der Bundesregierung.

Seit Vorliegen des Berichts ist aber die Zahl der Krisen und Konflikte noch weiter gestiegen, und alte Krisen und Konflikte sind noch nicht beendet. Ich erinnere nur an Syrien, wo es immer noch 12,2 Millionen Hilfsbedürftige gibt. Das ist über die Hälfte der Bevölkerung. Über 4 Millionen Menschen sind aus dem Land geflohen, und es gibt über 7 Millionen Binnenvertriebene. Ich erinnere auch an den Irak mit rund 3 Millionen Binnenvertriebenen. Und es gibt viele andere Länder wie Somalia oder die Zentralafrikanische Republik, die Staaten der EAC und noch einige mehr, die hier ebenfalls zu nennen wären.

Die Folgen sind Tragödien von unermesslichen Ausmaßen, die man sich so eigentlich nicht vorstellen kann. Wir sehen die Bilder tagtäglich im Fernsehen. Es besteht die große Gefahr, dass unsere Gefühle langsam abstumpfen, weil es einfach zu viele Krisen sind. Aber in jedem Fall geht es um Einzelschicksale. Wir sehen Menschen, die im Mittelmeer ertrinken. Was man nicht sieht, ist, dass auch Menschen in der Wüste verdursten. Ihre Zahl soll sogar bei weitem höher sein als die Zahl derjenigen, die bis jetzt im Mittelmeer ertrunken sind.

Deswegen ist es richtig, dass die Bundesregierung ihre humanitäre Hilfe ausweitet und auch Schritte zu einer besseren Koordinierung unternimmt. Es ist wichtig, dass die Häuser hier zusammenarbeiten, damit es hier zu kohärentem Handeln kommt. Wir wissen, wie schwierig es ist, diese Kohärenz herzustellen, auch wenn wir immer ganz toll darüber reden. Wir müssen darüber hinaus vom reinen Reagieren wegkommen. Wir dürfen nicht nur reagieren, sondern müssen zukünftig viel mehr agieren. Die Vereinbarung zwischen den zwei Häusern bietet eine gute Grundlage. Es ist ein guter Ansatz, die Nothilfe im Auswärtigen Amt und die langfristige Entwicklungszusammenarbeit im Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung anzusiedeln.

Vereinbarte Maßnahmen muss man aber auch ab und zu evaluieren: Sind sie gut? War die Vereinbarung richtig? Kann man vielleicht etwas besser machen? – Ich glaube, es ist richtig, dass wir mit ESÜH, der „Entwicklungsfördernden und Strukturbildenden Übergangshilfe“, eine Brücke gebaut haben. Diese Hilfe kann schnell und unbürokratisch geleistet werden, und sie kann an die Nothilfe anschließen. Vor allem kann so für die Dauer von drei bis vier Jahren eine stabile Finanzierung sichergestellt werden. Das ist etwas, was die Nothilfe in diesem Zusammenhang manchmal nicht leisten kann.

Wichtig und prioritär ist für uns, dass wir die Widerstandskraft dieser Länder und ihre Institutionen stärken. Sie müssen präventiv im Hinblick auf neu entstehende Konflikte gestärkt werden, sodass man Krisen zukünftig vorbeugen kann.

Meine Damen und Herren, humanitäre Hilfe wird nie ganz verzichtbar sein; aber sie darf nie ein Ersatz für die Entwicklungszusammenarbeit sein. Ich möchte in diesem Zusammenhang einen Punkt ansprechen, der mir immer wieder aufgefallen ist, und zwar die Koordinierung der Hilfsmaßnahmen. Wenn ich mir anschaue, wie heute die internationale Koordinierung der Hilfsmaßnahmen, vor allem die der Vereinten Nationen, dasteht, glaube ich, dass dieses Thema ganz dringend auf die Tagesordnung gesetzt werden muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich erinnere mich noch ganz gut daran, dass sich in Haiti 22 000 NGOs gegenseitig auf die Füße getreten sind. Angesichts dessen muss man, wie ich glaube, schauen, wie man die Hilfsmaßnahmen international, also zum Beispiel im Rahmen der Vereinten Nationen, besser abstimmt.

Der UN-Nothilfekoordinator Albrecht Beck hat sich gerade zu Nepal geäußert. Er hat gesagt, dass viele Staaten und Organisationen ihre eigene Flagge zeigen wollen und deshalb eigene Hilfe leisten, sodass keine echte Zusammenarbeit der internationalen Akteure erfolgt. Das sollte uns zu denken geben. Wir müssen hier international zu einer größeren Effizienz kommen. Es sollte nicht jeder sein eigenes Süppchen kochen, sondern wir sollten zusammenarbeiten. Das muss in den großen internationalen Organisationen angedacht und durchdiskutiert werden; und es müssen auch Strukturreformen durchgeführt werden.

Herr Koenigs, Sie haben vollkommen recht: Die WHO muss an ihre Strukturen herangehen. Wir hoffen, dass auch dieses Thema auf der Tagesordnung der Konferenz, die demnächst von der Kanzlerin eröffnet wird, stehen wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir müssen schauen, dass Hilfe schnell auf die Beine gestellt wird und sich die Helfer einander nicht auf die Füße treten.

Eines ist besonders wichtig: Was lernen wir aus den verschiedenen Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben? Man spricht hier von „lesson learned“; das ist ein sehr wichtiger Terminus.

Ebola war kein Ruhmesblatt für uns; das wissen wir. Aber wir haben gesagt: Wir lernen aus den Erfahrungen. Wir sprechen momentan von einem Weißhelmkontingent. Unabhängig davon, wie diese Einsatztruppe zukünftig heißen wird, ob Weißhelme oder anders: Wir brauchen eine Einsatztruppe. Die Weltgemeinschaft muss sich überlegen, wie sie auf internationaler Ebene auf Katastrophen, die auch künftig eintreten werden, schnell reagieren kann, wo sie Einsatzstationen mit entsprechendem Personal, das sofort aktiviert werden kann, vorhalten will.

Ich glaube, dass wir umdenken müssen und in dem Bereich zu einer kohärenten und viel besser abgestimmten Politik kommen müssen.

Ich möchte mich am Schluss für eines bedanken, nämlich für die Berücksichtigung der sogenannten vergessenen humanitären Krisen, Krisensituationen, die schon länger auf der Welt bestehen. Ich erinnere hier an Mindanao, den Konflikt auf den Philippinen. Ich erinnere an die ethnischen Konflikte in Myanmar, an die sahaurischen Flüchtlinge in Algerien. Man hört momentan nichts davon, aber diese Konflikte bestehen weiter, sie sind nicht beendet. Wir dürfen sie nicht vergessen, auch wenn die Kameras nicht mehr auf sie gerichtet sind und die Karawane weitergezogen ist. Wir müssen hier weiterhin unterstützend tätig werden. Deswegen bin ich froh, dass wir 15 Prozent der Mittel aus dem Haushalt für humanitäre Hilfe hierfür aufwenden. Auch wenn momentan nicht spektakulär darüber berichtet wird, auch wenn die Fernsehkameras derzeit nicht draufhalten, müssen wir wissen, dass wir auch für die sogenannten vergessenen humanitären Krisen Verantwortung haben.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, so notwendig Hilfe in der Not ist, so sehr dürfen wir unser eigentliches Ziel nicht aus den Augen verlieren: durch eine nachhaltige Entwicklungszusammenarbeit davon wegzukommen, permanent Nothilfe leisten zu müssen.

In dem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5044847
Wahlperiode 18
Sitzung 104
Tagesordnungspunkt Deutsche humanitäre Hilfe im Ausland 2010/2013
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