Alexander UlrichDIE LINKE - Aktuelle Stunde zur Prognose des IWF
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch nach dem fünften Redner erschließt sich uns immer noch nicht, was diese heutige Aktuelle Stunde eigentlich soll.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Dann setzen Sie sich doch wieder hin! – Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/ CSU]: Wir machen das, damit Sie sich wieder einmal ärgern!)
Wir hätten über so viele Themen reden können, aber was diese Bundesregierung und die sie tragenden Fraktionen heute machen, ist nichts anderes als Selbstbeweihräucherung. Wenn ich die Reden höre, wie gut es uns in Deutschland geht, und sehe, dass man sich gegenseitig auf die Schultern klopft, offensichtlich aber ganz außer Acht lässt, zu welcher sozialen Spaltung Ihre Politik in den letzten Jahren beigetragen hat, dann kommt mir das so vor, als ob Sie wirklich nur noch im Interesse der deutschen Wirtschaft handeln, aber nicht mehr im Interesse der Menschen in diesem Land.
(Beifall bei der LINKEN)
Generell sollte man sich die Frage stellen, ob man überhaupt auf den IWF so großen Wert legen sollte.
(Matthias Ilgen [SPD]: Eben haben Sie ihn doch noch gelobt!)
Wir wissen, dass der IWF dazu beiträgt, eine neoliberale Politik auf der ganzen Welt und als Mitglied der Troika auch in Europa umzusetzen. Wir wissen, was er in Portugal, Spanien und auch in Griechenland angerichtet hat. Wenn eine neoliberale Organisation eine neoliberale Politik lobt, dann sollte man sich einen solchen Bericht zweimal durchlesen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ja, Deutschland ist exportstark, Deutschland ist wettbewerbsfähig. Aber warum ist das denn so? Grundlage für diese wirtschaftliche Stärke war doch über 15 Jahre Lohndumping auf hohem Niveau. Lohndumping in Deutschland ist die Grundlage für wirtschaftliche Stärke. Wir sagen: Ein Land ist nur dann erfolgreich, wenn wirtschaftliche Stärke mit sozialem Fortschritt einhergeht. Leider ist sozialer Fortschritt in diesem Land unter Ihrer Regierung nicht mehr möglich.
(Beifall bei der LINKEN)
Bitte beschäftigen Sie sich nicht nur mit dem IWF, sondern schauen Sie sich an, was zum Beispiel der Paritätische Wohlfahrtsverband sagt.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Ach! – Gegenruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Da stöhnen Sie! Nehmen Sie das einmal ernst, Herr Michelbach!)
– Ja, der beschreibt genau die Auswirkungen auf die Menschen in diesem Land.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Berufsankläger sind das! Zu denen passen Sie!)
Wir haben zum Beispiel die Situation, dass Armut gravierend zunimmt. Immer mehr Menschen in diesem Land sind armutsgefährdet oder arm. Immer mehr Menschen in diesem Land können von ihren Löhnen nicht mehr leben. Immer mehr Menschen haben überhaupt keinen Fortschritt mehr durch Lohnsteigerungen, weil sie aus der Tarifbindung herausfallen. Alles das ist die Folge einer Politik, die mit der Agenda 2010 und Hartz IV einen deutlichen Schub bekommen hat. Darauf können wir in diesem Land wirklich nicht stolz sein.
(Beifall bei der LINKEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Über welches Land reden Sie?)
Dann behaupten Sie immer wieder aufs Neue, wir hätten eine Rekordbeschäftigung.
(Max Straubinger [CDU/CSU]: So ist es auch!)
Schauen wir uns die Arbeitsstunden in diesem Land an, dann stellen wir fest, dass sich die Zahl der Arbeitsstunden in den letzten 13 Jahren überhaupt nicht erhöht hat.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist der wichtige Indikator!)
Es gibt vielleicht mehr Köpfe, die in Arbeit sind – aber zu welchen Bedingungen? Wir haben Vollzeiterwerbstätigkeit abgebaut und haben immer mehr prekäre Beschäftigung. Jeder vierte Beschäftigte in diesem Land arbeitet prekär. Das muss verändert werden. Nur dann haben auch die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land etwas von diesem wirtschaftlichen Fortschritt.
(Beifall bei der LINKEN)
Es sind mittlerweile im Prinzip 4,5 Millionen Bad Jobs seit 2000 entstanden. 1,7 Millionen Vollzeitstellen, von denen man leben konnte, sind vernichtet worden, weil jetzt die Menschen mit zwei oder drei Jobs versuchen müssen, durch den Monat zu kommen. Das ist die Auswirkung Ihrer Wirtschaftspolitik.
(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist schlechte Wirtschaftspolitik!)
Der IWF sagt Ihnen ganz deutlich, dass das, was Sie tun, auch auf Kosten unserer Nachbarländer geht. Noch einmal: Deutschland ist Mitverursacher der Euro-Krise.
(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Unsinn!)
Die riesigen Außenhandelsüberschüsse sind Mitverursacher der Euro-Krise gewesen. Wenn Sie immer noch glauben, man könnte immer mehr Produkte und Dienstleistungen verkaufen, als man selbst braucht, und die anderen Länder sollten sich immer weiter verschulden, um das zu finanzieren, dann muss ich Ihnen sagen: Wir arbeiten auf Kosten der anderen Länder. Wenn Deutschland ein Interesse daran hat, dass die Euro-Zone beruhigt wird, dann muss es seine Außenhandelsüberschüsse drastisch abbauen.
(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir bauen schlechtere Autos! Super!)
Zum vierten oder fünften Mal in Folge bewegen sie sich außerhalb der Richtlinien der EU-Kommission. Die EU-Kommission hat noch einmal gesagt, Sie müssten die Außenhandelsüberschüsse abbauen. Aber Sie ignorieren alle Hinweise, auch die aus Brüssel.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Insofern ist Ihre Wirtschaftspolitik alles andere als glanzvoll. Die Menschen in diesem Land merken auch, dass sie von diesem scheinbaren Wirtschaftswachstum nichts mehr haben. Was wir endlich bräuchten, ist ein Ende der Agenda-2010- und der Hartz-IV-Politik.
(Beifall bei der LINKEN)
Was wir endlich bräuchten, wäre ein Mindestlohn von mindestens 10 Euro pro Stunde, von dem man tatsächlich leben kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir bräuchten viel mehr Investitionen. Allein das Aussetzen der von uns ja abgelehnten Schuldenbremse würde Ihnen die Möglichkeit geben, pro Jahr bis zu 18 Milliarden Euro mehr zu investieren. Sie fahren mit Ihrer Schwarze-Null-Politik das Land auf Verschleiß. Fragen Sie die Länder, fragen Sie die Kommunen, wie viel Geld notwendig wäre, um wenigstens das Notwendigste instand zu halten! Sie lassen die Länder und die Kommunen im Stich, weil Sie im Prinzip an dieser schwarzen Null festhalten.
Was wir auch bräuchten, ist die Beendigung einer Politik, die noch mehr auf Sozialabbau setzt. Deshalb sagen wir als Linke: Die Bundesregierung ist dringend aufgefordert, die Verhandlungen über die Freihandelsabkommen TTIP und CETA abzubrechen.
(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Oh, endlich!)
Ihre heutige Beweihräucherung geht leider an den Interessen der Menschen vorbei. Dass so viele Menschen im Land auf der Straße sind und zurzeit auch streiken, ist auch ein Ausdruck dessen, dass sie mit diesen Verhältnissen nicht mehr einverstanden sind. Wir freuen uns über den Streik der Lokführer. Sie haben unsere Unterstützung genauso wie die Erzieherinnen in den Kindergärten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN – Ingbert Liebing [CDU/CSU]: Kämpfer für die Rechte der Entrechteten und Enterbten!)
Der Kollege Matthias Ilgen hat jetzt das Wort für die SPD.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5109309 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 105 |
Tagesordnungspunkt | Aktuelle Stunde zur Prognose des IWF |