Karl SchiewerlingCDU/CSU - Leiharbeit und Werkverträge
Herr Kollege Ernst, wir kennen die Reden, die Sie halten, mittlerweile nahezu auswendig; sie werden dadurch nicht besser. Sie sind hier mit Abstand einer der Lustigsten unter der Sonne. Sie bringen permanent ein Beispiel mit der Kuh – und das auch noch bei dem Kollegen Stegemann, einem Milchlandwirt. Wenn Sie hier sagen, der habe keine Ahnung von Kühen,
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vom Fußballspielen, habe ich gesagt! Wie eine Kuh vom Fußballspielen! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Dessen Kühe spielen besser Fußball!)
dann muss ich Ihnen sagen: Sie müssen das schon gut überlegen. Es geht übrigens auch nicht um das Verleihen von Kühen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Weil Sie gerade mit der Deutschen Post unterwegs sind, weil da gestreikt wird, will ich Ihnen am Anfang nur sagen – ich finde auch nicht alles toll, was da stattfindet –: Der Bund ist nicht Eigentümer der Post. Er hat gerade mal ein Aufsichtsratsmitglied. Er hat niemanden im Vorstand.
(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: 21 Prozent!)
Der Vorstand handelt. Der Aufsichtsrat führt Aufsicht, und da ist der Bund nur mit einer Person vertreten. Deswegen gibt es Grenzen.
Da Sie von Leiharbeit offensichtlich genauso viel Ahnung haben wie von Unternehmensrecht, wissen Sie nicht, dass die Einflussnahme nicht gegeben ist. Im Klartext: Da Sie das offensichtlich nicht wissen, will ich Ihnen einige Minuten Nachhilfe zum Thema Zeit- und Leiharbeit geben.
(Zuruf von der LINKEN: Was ist denn der Unterschied?)
Meine Damen und Herren, wir haben in Deutschland über 42 Millionen erwerbstätige Menschen, davon über 30 Millionen in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Es gibt 7,2 Millionen Minijobs. 1,5 Millionen Schülerinnen und Schüler und Studenten haben Minijobs, 1,5 Millionen Rentnerinnen und Rentner, 2 Millionen Menschen, die obendrauf Geld verdienen, neben ihrem normalen Einkommen, und 2 Millionen Menschen, die ausschließlich aus einem solchen Job Einkünfte haben. Daneben gibt es etwa 250 000 Menschen, die im haushaltsnahen Bereich tätig sind; eine besondere Situation. – Das sind die Rahmenbedingungen.
Die Arbeitslosigkeit liegt bei 2,8 Millionen. Davon sind allerdings – das stimmt – 1,9 Millionen langzeitarbeitslos. Es kommt darauf an, diese Menschen wieder in Beschäftigung zu bringen. Was der Zusammenhang mit der Zeitarbeit ist, will ich Ihnen sagen: Zurzeit sind etwa 900 000 Menschen in der Zeitarbeit tätig. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in Deutschland. Ich rate Ihnen, Herr Ernst, hier nicht wiederum den Eindruck zu vermitteln, als sei ganz Deutschland in Zeit- und Leiharbeit angestellt. Das sind gerade einmal 2,6 Prozent.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt doch überhaupt niemand!)
Und da Sie auf die Entwicklung eingegangen sind: Ja, es geht darum – das steht im Koalitionsvertrag –, über die Frage der Kernfunktion von Zeitarbeit nachzudenken. Aber die Kernfunktion von Zeitarbeit hat sich im Laufe der Zeit, seitdem es Zeitarbeit gibt, gewandelt. Die gesetzlichen Regelungen wurden aus gutem Grunde, weil man auf Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt zeitnah und vernünftig reagieren musste, immer wieder vom Gesetzgeber entsprechend angepasst.
Richtig ist auch, dass angesichts der Verwerfungen, die wir seit dem Jahr 2004 aufgrund der hohen Arbeitslosigkeit in Deutschland hatten, manche meinten, alles und jedes müsste bis zur Unkenntlichkeit dereguliert werden. Deshalb haben einige – ja, das ist richtig – in der Zeit- und Leiharbeit Grenzen überschritten und geglaubt, sie könnten machen, was sie wollten. Aber das ist reguliert worden. Das haben wir in der letzten Koalition bereits gemacht. Das Problem, dass Leute einfach ausgegliedert wurden in einen Zeitbetrieb desselben Unternehmers, wie es bei der sogenannten Schlecker-Drehtür der Fall war, haben wir bereits angepackt und unterbunden. Wir haben mittlerweile 98 Prozent aller Zeit- und Leiharbeiter in Tarifverträgen, und wir haben mittlerweile einen allgemein verbindlichen, anerkannten Mindestlohn, der im Westen bei 8,80 Euro und im Osten bei 8,50 Euro liegt und der in weiteren Schritten bis 2016 angepasst und um 10 bis 13,4 Prozent erhöht wird. Deswegen gibt es in der Zeit- und Leiharbeit kein blankes Elend und keine Verelendung. Vielmehr haben wir dort eine ganze Menge reguliert und nach vorne gebracht.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber es gibt immer noch Ungerechtigkeiten!)
Insofern rate ich Ihnen, sich mit Ihrem Antrag zurückzuhalten, insbesondere was so eine verrückte Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 10 Euro angeht. Das bestätigt meine schlimmsten Befürchtungen,
(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)
dass es zu einem Überbietungswettbewerb käme, wenn wir hier im Deutschen Bundestag die Höhe des Mindestlohns festlegen würden. Deswegen bin ich froh, dass wir eine Mindestlohnkommission haben, die sachgerecht die entsprechenden Entscheidungen trifft.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Ich will Ihnen noch einmal einige wenige Zahlen zur Zeit- und Leiharbeit nennen: 55 Prozent aller neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die seit 2014 in Zeitarbeitsunternehmen tätig werden, waren zuvor arbeitslos. 10 Prozent aller Zeitarbeitnehmer, die dort tätig sind, waren zuvor noch nie beschäftigt. 29 Prozent aller Zeitarbeitnehmer haben keinen Berufsabschluss. Ich sage Ihnen: Zeitarbeit und Leiharbeit sind von ihrer Kernfunktion immer noch das, und zwar in verstärktem Maße, was sie ursprünglich waren, nämlich neben dem Abfangen von Auftragsspitzen auch für viele, ob uns das passt oder nicht, eine Brücke in den ersten Arbeitsmarkt. Das Instrument wirkt also.
(Beifall bei der CDU/CSU – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Das schlechteste Instrument!)
Das ist nicht umsonst 2004 in entsprechender Weise organisiert worden
(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann man anders organisieren!)
und entfaltet nicht umsonst jetzt seine entsprechende Wirkung.
Ich will Ihnen in aller Deutlichkeit sagen, dass wir natürlich auch Verwerfungen sehen. Aber Verwerfungen gibt es in jeder Branche. Ich habe gestern auf Einladung der Präsidentin der Handwerkskammer Ostwestfalen-Lippe zu Bielefeld, unserer Kollegin Lena Strothmann, ein Gespräch mit Wirtschaftsjunioren aus dem deutschen Handwerk geführt. Wenn mir in der Diskussion ein Malermeister aus dem Rhein-Main-Gebiet erzählt, dass er mit Zeitarbeits- und Leiharbeitsunternehmen zu tun hatte, die sich offensichtlich nicht an Recht und Ordnung halten, und er als Malermeister schon nicht bezahlte Sozialabgaben nachzahlen musste, weil der Betrieb, der entliehen hat, das nicht getan hat, dann sage ich Ihnen: Das sind Situationen, die wir nicht gutheißen können. Aber das, was diese Unternehmen machen, ist illegal, verstößt gegen Recht und bestehende Gesetze.
(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat der Malermeister eingestellt?)
Wir können nicht permanent noch weitere Gesetze machen. Wenn gegen bestehende Gesetze verstoßen wird, dann müssen die Dinge vernünftig kontrolliert und auch angepackt werden. Deswegen sind die Zeit- und Leiharbeitsbranche und die entsprechenden Unternehmerverbände aufgefordert, die Spreu vom Weizen zu trennen und dafür zu sorgen, dass es Ordnung in ihrer Branche gibt.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Zu Ihrem Hinweis betreffend die Werkverträge: Die Werkverträge sind ein uraltes Instrument, geregelt im BGB seit über 100 Jahren. Zu Problemfällen, die wir in letzter Zeit hatten, gibt es Richterrecht. Außerdem gibt es klare Abgrenzungen, Kriterien und Definitionen gegenüber der Zeit- und Leiharbeit sowie anderen Beschäftigungsformen. Wenn es Missbrauch gibt, ist auch dort Kontrolle auszuüben. Wir können uns hier bei der Finanzkontrolle Schwarzarbeit informieren.
(Zuruf des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Diese Stelle hat mittlerweile viel Erfahrung in diesem Bereich gesammelt und kann uns sagen, wie wir Kontrolle ausüben können. Wir sollten uns aber wirklich gut überlegen, ob wir zusätzliche Gesetze brauchen. Wenn die bestehenden Gesetze und Regelungen, die durch Richterrecht geschaffen worden sind, offensichtlich in der Praxis nicht richtig angewandt werden, dann muss man bei der Kontrolle ansetzen.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist zu wenig! Die Richter wollen auch Kriterien! Das hat die Anhörung ergeben!)
Herr Ernst, was Sie wollen, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die Abschaffung der Zeit- und Leiharbeit;
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)
das haben Sie deutlich gesagt. Es ist ehrlich, dass Sie das so gesagt haben. Aber dann sagen Sie es auch so;
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Habe ich ja gesagt! Sie sagen ja selber, dass ich es gesagt habe!)
dann können Sie Ihre Rede auf einen Satz reduzieren.
Herzlichen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kollegin Beate Müller-Gemmeke das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5114111 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Leiharbeit und Werkverträge |