Hans-Joachim SchabedothSPD - Leiharbeit und Werkverträge
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine Erfahrung wiederholt sich heute zum x-ten Mal: Während die Koalitionsfraktionen noch mitten im Arbeitsprozess stecken, ruft die Linkspartei: Wir sind schon fertig und legen euch unseren Antrag vor.
(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])
Lehnen wir den Antrag ab, Kollege Ernst, dann wird einmal mehr über die zögerliche SPD und ihren sperrigen Koalitionspartner lamentiert.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die SPD in der letzten Legislaturperiode auch gemacht!)
Was soll das? Mich erinnert das ein wenig an meine Schulzeit: Man hat zwei Stunden Zeit für die Klassenarbeit. Schon nach einer Stunde springt einer auf, der erste Übereifrige, und signalisiert: Ätsch, ich bin schon fertig, die anderen aber noch nicht.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Der ist am Ende durchgefallen! – Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Ja, aber dafür sind wir doch hier!)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wissen: Die Schnellsten waren am Ende nicht immer unter den Besseren.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Peter Weiß [Emmendingen] [CDU/CSU]: Genau so ist es!)
Auch im Parlamentsbetrieb geht es nach dem Prinzip „Sorgfalt vor Eile“.
(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Zum Inhalt, Achim!)
Die Koalition verfolgt hier einen Sorgfaltsfahrplan. Zuerst wird mit den Sozialpartnern geredet. Erfahrungen, Erwartungen – auch Befürchtungen – werden systematisiert und abgeglichen.
(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das haben wir schon hinter uns!)
Erst dann kann gehandelt werden,
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Warst doch selber Sozialpartner!)
und zwar in der üblichen parlamentarischen Schrittfolge, die ich Ihnen hier gar nicht erläutern muss.
(Beifall bei der SPD)
Dabei legen wir Wert darauf, dass die im Koalitionsvertrag getroffenen Absprachen zuerst mit unserem Koalitionspartner konkretisiert werden. Haben Sie bitte Verständnis dafür.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Das ist eine kluge Bemerkung! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das haben wir heute gemerkt!)
Doch ich will gerne die Gelegenheit, die Sie geschaffen haben, nutzen, um ein paar Missverständnisse auszuräumen und vielleicht schon ein bisschen aus sozialdemokratischer Sicht zu resümieren. Eine Klarstellung haben wir alle, glaube ich, mittlerweile herausgearbeitet, nämlich die, dass wir Leiharbeit und Werkverträge nicht verbieten wollen, auch nicht „in the long term“. Zielsetzung ist – auch das haben viele Redner gesagt –, den Missbrauch dieser Arbeitsform als Lohn- und Sozial- dumpinginstrument zu unterbinden.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Der Missbrauch ergibt sich – darauf will ich besonders hinweisen – in der Grauzone mangelnder Abgrenzung zwischen Werkvertrag, Scheinselbstständigkeit und Leiharbeit. Da muss was passieren.
(Beifall bei der SPD)
Der Missbrauch wird dadurch erleichtert, dass ein Statuswechsel heute nahezu problemlos möglich ist. Das wollen wir korrigieren. Es gibt immer wieder gute Gründe, statt auf Festanstellung temporär auf Leiharbeit zu setzen. D’accord! Und es gibt auch betriebliche Gründe, Arbeiten auf Werkvertragsbasis ausführen zu lassen. Allerdings gibt es keinen einzigen akzeptablen Grund, Leiharbeit und Werkverträge zum Zwecke des Umgehens von Tarifbindungen zu nutzen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)
Für die meisten Arbeitgeber mag das – das will ich einräumen – eine Selbstverständlichkeit sein. Kollege Stegemann, es sind aber leider nicht nur einige schwarze Schafe. Mit denen könnten wir fertigwerden. Hier trabt eine ganze Herde schwarzer Schafe vorbei. Wir werden mit ihnen reden. Wir wollen das einhegen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Vielleicht meint er die CDU/CSU! – Heiterkeit)
Es gibt also einen Regelungsbedarf.
(Klaus Ernst [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Hat er euch gemeint? – Heiterkeit)
– Habe ich einen Scherz nicht mitgekriegt?
(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Achim, hast du die CDU/CSU gemeint?)
Unser Anliegen hat eine doppelte Stoßrichtung. Zum einen geht es darum, das Etablieren eines Apartheidsystems im Arbeitsleben zu verhindern.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Ein solches System bestünde dann, wenn Festangestellte weiterhin tariflich angemessen bezahlt würden, während Leiharbeitnehmer und Werkvertragsbeschäftigte sich mit einer zweiten, geringeren Lohnlinie abfinden müssten.
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann geht auch Equal Pay nach neun Monaten nicht!)
Zwar gibt es hier durch den Mindestlohn eine Haltelinie, ja. Aber trotzdem würde das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ erheblich verletzt. Auch Leiharbeiter haben Anspruch auf sichere, tariflich geregelte Arbeitsbedingungen bei ihrem Leiharbeitgeber in und zwischen den Phasen, in denen sie verliehen werden;
(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ab dem ersten Tag!)
auch das müssen wir beachten.
In anderer Hinsicht geht es um faire Konkurrenzbedingungen in der Wirtschaft. Alle Unternehmen einer Branche müssen darauf vertrauen dürfen, dass es bei den Arbeitskosten eine vergleichbare Ausgangslage gibt; „level playing field“ würde wohl der Holländer sagen. Wer durch Tricksereien über Leiharbeit und Werkverträge seine Arbeitskosten drückt, betrügt alle Mitbewerber, die das nicht wollen oder tarifvertraglich gebunden sind.
Der Gesetzgeber ist deshalb gefordert, Leiharbeit wieder auf ein Instrument der Flexibilität und eines vorübergehenden Ausgleichs von Auftragsspitzen zurückzuführen und der Prekarisierung der Arbeitswelt entgegenzuwirken.
(Beifall bei der SPD)
Ich sage es noch einmal: Wir wollen faire Arbeits- und Konkurrenzbedingungen.
Verhindern wollen wir, dass der Monteur der rechten Autotür weniger verdient als der Zuständige für den Einbau der linken Autotür, nur weil er Leiharbeitnehmer ist. Equal Pay heißt das. Uns geht es auch darum, Equal Treatment nicht aus dem Blick zu verlieren.
(Beifall bei der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau, ab dem ersten Tag!)
Das ist nicht zuletzt – das ist ein sozialdemokratisches Grundanliegen – ein Gebot des Respekts vor der Würde der Arbeit. Betriebspolitik und Tarifpolitik haben hinsichtlich der notwendigen Regulierung die Grenze ihrer tarifautonomen Gestaltungsmöglichkeiten erreicht. Deshalb muss die Politik jetzt handeln, aber darf auch nicht durch jeden Reifen springen, den uns die Linkspartei hinhält.
(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir können es auch aussitzen und abwarten!)
Ich will noch auf einen letzten Aspekt eingehen. Aus der Wirtschaft wird das Bedenken signalisiert, eine gesetzliche Regulierung werde das unternehmerische Dispositionsrecht negativ tangieren. Ja, da ist was dran. Das sollte man ernst nehmen. Aber deshalb muss auch sorgfältig geklärt werden, welche Grenzziehungen sachgerecht und deshalb unvermeidlich sind. Konkret: Es muss zweifelsfrei unterscheidbar sein, was legitime Leiharbeits- und Werkvertragsaufgabe ist und was als trojanisches Pferd des Lohndumpings und der Tarifflucht dahertrabt.
Wer könnte bei der Klärung dieser komplizierten Frage besser und kompetenter urteilen als die Betriebsräte und die Personalräte? Deshalb sollten Unternehmen und Personalmanagement die Mitsprache dieser betrieblichen Intimkenner und Experten nicht fürchten, sondern wünschen und nutzen.
Die SPD wird jedenfalls im Gesetzgebungsvorgang darauf achten, –
Herr Kollege, achten Sie bitte auf die Zeit.
– dass bei Leiharbeit und Werkverträgen Mitbestimmungsregeln eingeführt bzw. effektiv genutzt werden können.
Wir behalten im Auge – damit komme ich zum Schluss –, dass eine gesetzliche Neuregelung Anreize für die Arbeitgeber bietet, bestehende Tarifverträge beizubehalten bzw. auf besserer rechtlicher Basis neue Tarifverträge abzuschließen. Ich setze dabei –
Kollege Schabedoth, bitte!
– auf die Bereitschaft unseres Koalitionspartners, an einer problemgerechten Lösung mitzuarbeiten. Und alle Oppositionsparteien bleiben zur konstruktiven Begleitung unserer Arbeit ausdrücklich eingeladen.
(Beifall bei der SPD)
Ich weiß ja, dass es ein weitverbreiteter Irrtum ist, dass das Minus vor der Zeitangabe die noch verbleibende Redezeit anzeigt. Aber ich bitte wirklich, auch im Interesse aller anderen Kolleginnen und Kollegen, sich an die Verabredungen zu halten.
Das Wort hat der Kollege Peter Weiß für die CDU/ CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5114324 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Leiharbeit und Werkverträge |