21.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 106 / Tagesordnungspunkt 7

Ulla Schmidt - Berufliche und akademische Bildung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das duale System ist die wesentliche Säule für die Fachkräftesicherung der Zukunft in Deutschland auch in den nächsten Jahrzehnten. Das zeigt und demonstriert der uns vorliegende Berufsbildungsbericht 2015 ganz deutlich. Er zeigt aber auch, dass die berufliche Ausbildung in Deutschland vor sehr großen Herausforderungen steht.

Was sind die Hauptbotschaften, die man diesem Bericht entnehmen kann? Aus Sicht der Jugendlichen hat sich die Situation weiter verbessert. Jetzt haben wir die Situation, dass für 100 Jugendliche, die einen Ausbildungsplatz suchen, 103 Ausbildungsplätze vorhanden sind. Wenn ich mir die Zahlen der BA von März und April anschaue, dann setzt sich dieser Trend fort. Es ist ganz anders als in den 90er-Jahren. Wir haben also die Situation, dass mehr Plätze unbesetzt bleiben, es sind 37 000. Das ist Höchststand. Dagegen gibt es nur 21 000 Bewerber, die gar nichts haben und einen Ausbildungsplatz suchen. Die Frage ist: Wie bekommt man diese Jugendlichen auf die für sie geeigneten Ausbildungsplätze? Dieses Passungsproblem ist nicht trivial zu lösen. Es ist außerordentlich schwierig. Es ist sehr komplex.

Wenn wir uns die Ausbildungsbetriebe anschauen, dann hat sich die Zahl derer, die Ausbildung anbieten, weiter verringert. Das ist außerordentlich bedenklich. Die großen und mittleren Betriebe haben ihre Ausbildungsbetriebsquote erhöht, aber bei den kleinen und kleinsten Betrieben geht diese Zahl stark zurück. Wir müssen die kleinen Betriebe motivieren, Ausbildungsplätze anzubieten, gerade in den neuen Bundesländern, wo sie jahrelang niemanden gefunden haben. Im Juni, Juli starten wir eine Ausschreibung, in der wir ein spezielles Programm anbieten, um die Ausbildungsbereitschaft der kleinen und mittleren Betriebe zu erhöhen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wenn man das Geflecht sieht, dann ist ganz klar: Es sind ganz viele Akteure in dem Geschäft. Dieser Bereich ist außerordentlich komplex. Man kann nicht an einer Stellschraube drehen und erwarten, dass sich dann alles grundlegend ändert. Deswegen bin ich den Koalitionsfraktionen sehr dankbar für diesen sehr umfassenden Antrag, der alle Aspekte einbezieht und viele Anregungen enthält, über die wir diskutieren und die wir umsetzen.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen hat eigentlich dieselbe Zielrichtung, es gibt auch in Bezug auf die Instrumente viel Übereinstimmung. Aber in der Einschätzung dessen, was die Regierung ordentlich gemacht hat, was die Regierung schon erreicht hat, gibt es natürliche wesentliche Unterschiede.

(Zuruf von der CDU/CSU)

– Ja, es ist normal für eine Opposition.

Es gibt viele Chancen, die wir ergreifen können – lassen Sie mich zwei, drei nennen, zum Beispiel den Übergangsbereich. In diesen Übergangsbereich mussten Bund und Länder in den 90er-Jahren richtig viel Geld stecken, um dafür zu sorgen, dass die jungen Menschen, die keinen Ausbildungsplatz bekommen haben, wenigstens irgendetwas haben. Früher sind rund 400 000 junge Menschen pro Jahr in den Übergangsbereich eingetreten, heute sind es rund 250 000. Das sind immer noch sehr viele. Aber es ist ein absoluter Fehlschluss – auch das habe ich in den Anträgen der Opposition gelesen –, zu glauben, das seien 250 000 Leute, die auf der Suche nach einem Ausbildungsplatz sind. Mindestens ein Drittel der jungen Menschen in diesem Übergangsbereich nutzt ihn, um einen schulischen Abschluss nachzuholen oder um einen höheren schulischen Abschluss zu erreichen, um ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz zu erhöhen. Dann gibt es in diesem Bereich die Jugendlichen, für die er gedacht ist und für die er auch in Zukunft immer notwendig sein wird. Das sind diejenigen, die die Schule verlassen und nicht ausbildungsfähig sind. Sie erfahren in den Maßnahmen des Übergangsbereichs besondere Unterstützung und Weiterbildung, was vielleicht noch besser und effektiver ausgestaltet werden kann. Dann gibt es die Gruppe junger Menschen, die in dem System sozusagen versorgt sind, aber in Wirklichkeit etwas anderes wollen, nämlich einen Ausbildungsplatz. Das ist die Klientel, auf die die Wirtschaft sofort zugreifen kann. Sie kann nicht sagen: Es gibt zu wenige, die eine Ausbildung machen wollen.

Zu den Potenzialen zählen die Jugendlichen mit Migrationshintergrund.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Ausbildungsanfängerquote bei den Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt bei 32 Prozent, bei den deutschen Jugendlichen bei 57 Prozent; es gibt also eine Riesenlücke. Fest steht: Die Jugendlichen mit Migrationshintergrund haben sich in den letzten Jahren schulisch verbessert. Nun müssen wir vor allem um sie werben. Wir müssen die Jugendlichen, ihre Eltern, aber auch die Betriebe, die von Menschen mit Migrationshintergrund geleitet werden, informieren. Deshalb haben wir in diesem Jahr die Zahl der KAUSA-Servicestellen, die genau diese Funktion haben, mehr als verdoppelt. Aber es sind noch weitere Anstrengungen notwendig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Viele Jugendliche – die Zahlen finden Sie im vorliegenden Bericht – zwischen 20 und 29 Jahren haben keinen beruflichen Abschluss. Sie haben eine zweite Chance verdient. Das kostet richtig viel Geld, aber hier muss etwas getan werden. Aber viel entscheidender ist es, dass wir verhindern, dass wir es auch in Zukunft mit solchen Größenordnungen zu tun haben. Das heißt, wir müssen präventiv tätig sein und individuell fördern. Prävention statt Reparatur, das muss unsere Zielstellung sein.

Bildungsketten – wir haben darüber gesprochen – sind eine sehr gute Möglichkeit, um Jugendlichen Vorstellungen über geeignete Berufe zu vermitteln, um sie zu ermuntern, eine Ausbildung zu beginnen. Wir sind in Deutschland immer stark, wenn es darum geht, Projekte auf den Weg zu bringen. Das Feedback in allen Projekten, die ich besucht habe, war: Es gibt eine große Akzeptanz dieser Bildungsketten vonseiten der Lehrer, aber auch vonseiten der Auszubildenden und der Ausbilder. Die Bildungsketten sind wirklich ein gutes Instrument. Aber wichtig ist, dass man etwas, das funktioniert, in einer anderen Größenordnung und flächendeckend macht.

Die Arbeitsministerin und ich haben uns zusammengetan. Ich kann Ihnen sagen, dass wir 500 000 jungen Menschen – das ist eine halbe Million – eine Potenzialanalyse anbieten können, dass wir in den nächsten Jahren für über 100 000 junge Menschen eine Berufseinstiegsbegleitung anbieten. Nun könnte man sagen: Das könnte noch mehr sein. Aber in dieser Dimension gab es das bisher noch nie. Bei der Berufseinstiegsbegleitung sind praktisch alle Schulen, die infrage kommen, eingebunden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Nun ist es so, dass sich viele um dieses Thema bemühen. Es gibt eine Menge von Maßnahmen, die nebenher und unkoordiniert verlaufen. Frau Nahles und ich haben die politische Initiative ergriffen. Wir regen an, dass in den einzelnen Bundesländern Gesamtkonzepte auf den Weg gebracht werden, damit keiner verloren geht. Wir müssen natürlich auf die Bundesländer zugehen; denn die Bedingungen, unter denen dies in Baden-Württemberg umgesetzt wird, sind andere als in Hamburg. Ich hoffe auf große Resonanz der Landesminister. Einige haben Ihre Bereitschaft schon signalisiert.

Verwundert hat mich in den Oppositionsanträgen – da war ich wirklich verblüfft –, dass so viel über die Ausbildungsplatzgarantie geschimpft und andere Vorschläge gemacht wurden. Haben Sie nicht gelesen, was wir gemacht haben?

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)

In der Allianz für Aus- und Weiterbildung ist das ein ganz zentraler Punkt. Wir haben dort zum Beispiel die Selbstverpflichtung der Wirtschaft. Wenn ein Jugendlicher bis zum 30. September – also konkret, nicht nur irgendwie – eines Jahres keinen Ausbildungsplatz hat, dann bekommt er bei der Nachvermittlung der BA drei Angebote, und wenn sie bewirken, dass er sich räumlich verändern muss oder auch beruflich, dann wird das entsprechend finanziell unterstützt, auch zum Teil von den Arbeitsagenturen in den Ländern.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Auch das Thema Ausbildungsqualität ist in der Allianz für Aus- und Weiterbildung ein ganz zentrales Thema. Wir sollten wissen: Die Ausbildungsqualität muss verbessert werden, an vielen Stellen. Da sind viele Maßnahmen, viele Dinge vorgesehen, aber keine Schreckgespenster. Selbst der DGB – der DGB! – sagt, dass der Großteil der Auszubildenden zufrieden ist mit der Ausbildungsqualität.

Ein Punkt, den ich besonders wichtig finde und noch kurz benenne, meine Damen und Herren, ist die Durchlässigkeit. Wissen Sie, in der Kultusministerkonferenz haben wir über Jahre diskutiert: Das Abitur in Deutschland ist die Hochschulzugangsberechtigung, die generelle Zugangsberechtigung, und alles andere geht nicht, vermatscht das Abitur. Man konnte es nachholen über den zweiten Bildungsweg. Mittlerweile ist es eine Tatsache – die wichtig ist –, dass man mit beruflicher Qualifikation studieren kann. Die Allererste, die das im Gesetz vorgesehen hat, war ich 2008 in Brandenburg. 2009 gab es den KMK-Beschluss. Jetzt ist es bundesweit in allen Gesetzen verankert. Aber es funktioniert noch nicht. Die Zahlen sind minimal. Wir müssen mehr machen, wir müssen die Hürden, die in den Gesetzen sind, noch einmal diskutieren.

(Beifall bei Abgeordneten bei der CDU/CSU und der SPD)

Die rechtliche Basis ist gegeben; aber dazu gehört sehr viel mehr. Wenn wir wollen, dass akademische und duale Ausbildung nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern dass Durchlässigkeit in beide Richtungen vorhanden ist, dann müssen wir an dieser Stelle intensiv arbeiten. Das ist ein Punkt, den ich in unterschiedlichen Anträgen wiedergefunden habe.

Meine Damen und Herren, der Berufsbildungsbericht ist Analyse, aber auch Ermunterung und Auftrag, und den nehmen wir an.

Danke.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Dr. Rosemarie Hein, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5114352
Wahlperiode 18
Sitzung 106
Tagesordnungspunkt Berufliche und akademische Bildung
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