Willi BraseSPD - Berufliche und akademische Bildung
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue mich auf die Debatte im federführenden Ausschuss; denn das, was Sie hier dargestellt haben, stimmt in Teilbereichen nicht ganz mit der Realität überein.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: So ist es!)
Ich finde, die Ministerin hat auf der Grundlage des Berufsbildungsberichtes schon sehr genau auf die unterschiedlichen Strukturen, Bedingungen und Verhältnisse hingewiesen. Das werden wir im Ausschuss noch einmal gebührend zu diskutieren haben.
Wir konnten heute in der Presse lesen, dass laut einer Studie von Prognos bis zum Jahre 2020 1,2 Millionen junge Leute mit Berufsabschluss und 500 000 junge Leute mit Hochschulabschluss benötigt werden. Das ist nicht mehr lange hin; das sind nur noch ein paar Jahre. Vor diesem Hintergrund möchte ich darauf hinweisen, dass die Debatte um einen angeblichen Akademisierungswahn in diesem Lande ein bisschen schiefläuft.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich kann für meine Fraktion nur sagen: Für uns ist der Aufstieg für alle, egal woher sie kommen und was sie mitbringen, ein absolutes Muss. Davon weichen wir nicht einen Millimeter ab.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir wollen allen Menschen – denen aus schwierigen materiellen und sozialen Verhältnissen genauso wie denen aus guten oder bildungsnahen Verhältnissen – die Chance geben, den Weg zu gehen, den sie gehen wollen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Daher empfehle ich, diese Debatte ein Stück weit zurückzufahren. Sie bringt uns nicht weiter.
Was ich gut finde – man findet es teilweise in den Anträgen, aber auch in der Realität –, ist die Debatte über die Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung. Nach meinem Eindruck scheint mittlerweile klar zu sein, dass es nichts mehr bringt, die duale berufliche Ausbildung nur als Einstieg für Leute mit mittlerem Abschluss, Hauptschulabschluss und darunter zu verstehen. Das, was wir mit dem Berufsbildungsgesetz anbieten – Aufstiegsfortbildungen, Umschulungsmöglichkeiten, vor allem der Durchstieg zur Fachhochschule, auf den ich noch zu sprechen komme –, ist absolut richtig, um die Stärke des Industriestandortes Deutschland zu erhalten und gleichzeitig gute Perspektiven für die jungen Leute auf den Weg zu bringen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Zur Gleichwertigkeit gehört für mich auch – wir können es im Berufsbildungsbericht gut nachlesen –: Wir haben über 200 000 junge Leute, die eine schulische Ausbildung mit Abschluss im Gesundheits- und Erziehungsbereich absolvieren. Nicht all diese jungen Menschen haben eine Hochschulzugangsberechtigung. Vielfach sind es junge Menschen mit einem mittleren Bildungsabschluss. An dieser Stelle gebe ich Frau Hein durchaus recht: Die Gesellschaft sollte und muss begreifen, dass die Wertigkeit der Erziehungs-, der Pflege- und der Gesundheitsberufe – vor allen Dingen, was den Pflegebereich angeht –, wesentlich höher eingeschätzt werden muss.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Das halte ich für absolut richtig und notwendig; das muss noch einmal deutlich gesagt werden.
Ich komme zur Qualität der dualen Berufsausbildung. Wir haben, auch außerhalb des Parlamentes, mehrere Debatten darüber geführt, an welchen Stellen das Berufsbildungsgesetz möglicherweise novelliert werden muss. Ich bin ein bisschen nachdenklich geworden, als von Vertretern des Bundesinstituts für Berufsbildung, der Wirtschaft und der Wirtschaftsverbände der Begriff „Berufslaufbahnkonzept“ benutzt wurde. Diesem Berufslaufbahnkonzept liegt die Auffassung zugrunde: Wir brauchen in bestimmten Branchen nur noch Teilqualifikationen. – Dazu kann ich für meine Fraktion klar und deutlich sagen: Wir wollen, dass das duale Ausbildungssystem das Berufsprinzip beibehält und dass ein Ergebnis der Prüfung die Zuerkennung der Berufsfähigkeit ist. Wir sind gegen eine weitere Aufgliederung von Ausbildungsgängen.
(Beifall bei der SPD)
Deshalb ist ein solches Konzept, auch wenn es mit dem Deutschen und dem Europäischen Qualifikationsrahmen ein Stück weit in Einklang steht, aber auf Teilqualifikationen und auf Teilzertifizierungen setzt, von uns abzulehnen. Ich kann nur sagen: Mit der SPD wird es eine solche Modularisierung der dualen Berufsausbildung nicht geben.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])
Es ist über die Warteschleifen diskutiert worden. Ja, man muss sich das genauer anschauen. Man muss sich dieses Problem auch unter regionalen Gesichtspunkten anschauen. Die bundesweiten Zahlen sind das eine, die Realitäten vor Ort das andere. Ich finde es bedauerlich, dass es offensichtlich noch nicht gelungen ist, das Instrument der Einstiegsqualifizierung – im Rahmen der Allianz für Aus- und Weiterbildung werden dafür ja noch einmal zusätzliche Plätze angeboten – bei den Unternehmen vor Ort und den jungen Leuten, die möglicherweise erst einmal in diesen Bereich gehen müssen, positiv zu verankern. Wenn man es schafft, ein Jahr lang eine Einstiegsqualifizierung in einem Betrieb zu absolvieren und gut arbeitet, wird diese Leistung zum Teil auf die duale Ausbildung anerkannt. Diesen Weg müssen wir deutlicher aufzeigen. Er muss besser verankert werden.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin Frau Wanka dafür dankbar, dass sie sich mit Frau Nahles und den Bundesländern auf den Weg macht, das gesamte Paket, das für den Übergangsbereich zur Verfügung steht, zu untersuchen – es geht um etwa 250 000 Jugendliche in Warteschleifen – und zu überlegen, wie wir die Vielzahl der Maßnahmen reduzieren können. Ich glaube, dass ich das hier in den letzten Jahren 20- oder 25-mal angesprochen habe. Ich werde nicht müde, das erneut anzusprechen. Die Vielfalt bringt uns nicht weiter. Wir müssen das Ganze vernünftig begrenzen, um auf einen vernünftigen Weg zu kommen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Wir wollen und müssen die Attraktivität des beruflichen Bildungssystems erhöhen. Zur Attraktivität der Berufe gehört natürlich auch die Antwort auf die Frage: Wie verhält es sich später mit den Löhnen und Gehältern? In diesem Zusammenhang möchte ich aus einem Artikel in der Rheinischen Post vom 27. Januar dieses Jahres zitieren, der anhand einer Studie des DIW deutlich gemacht hat, wie die Gehälter in einzelnen Ausbildungsberufen aussehen. Ich zitiere: Demnach bekommen Männer nach einer Lehre zum Versicherungskaufmann, Finanzberater, Logistiker oder Buchhalter die besten Stundenlöhne. Sie lassen beim Gehalt unter anderem Lehrer, Geistes- und Politikwissenschaftler, Architekten, Bauingenieure, Fachhochschulabsolventen, Erzieher und Sozialarbeiter hinter sich. – Ich meine, wer für die duale Ausbildung steht, der sollte auch mit Selbstbewusstsein sagen, dass wir sehr viele Berufe haben, in denen sehr gutes Geld verdient werden kann. Diese Berufe kann man mit akademischen Berufen vergleichen.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Wir haben klare Erwartungen an die Allianz für Aus- und Weiterbildung. Das kann ich, glaube ich, für meine Fraktion, aber auch für die Koalition deutlich sagen. Alles, was diesbezüglich vereinbart wurde – 10 000 Plätze für die assistierte Ausbildung, 20 000 zusätzliche Ausbildungsplätze, Qualität der Ausbildung –, erwarten wir Ende des Jahres. Nach der Nachvermittlungszeit, die wir aus den berufsbildungspolitischen Debatten ja kennen, erwarten wir die entsprechenden Ergebnisse. Es muss vorangehen, auch vor dem Hintergrund der Tatsache, dass wir zukünftig ein hohes Maß an jungen Leuten brauchen, die gut und ordentlich ausgebildet sind.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen. Im Juli 2013 haben wir über die Jugendgarantie in Europa gesprochen. Die Bundesregierung und wir im Parlament haben bei den Haushaltsberatungen mittlerweile eine Menge Geld zur Verfügung gestellt, um einen Austausch zu ermöglichen, um jungen Leuten aus anderen Ländern die Chance zu bieten, in Deutschland eine Ausbildung oder Ähnliches zu beginnen.
Vor wenigen Tagen hat Jacques Delors, den viele von Ihnen kennen, gesagt, wir brauchten einen neuen Anlauf bei der Ausbildung der Jugendlichen in Europa. Ich glaube, er hat recht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Es geht nicht mehr um 30 000 oder 40 000 Jugendliche, sondern um mehr als 200 000 junge Menschen. Die Jugendgarantie umfasst insgesamt Mittel in Höhe von etwa 6 Milliarden Euro. Ich habe ein bisschen in die Szene hineingehört und bin der Frage nachgegangen, was bei all dem herumgekommen ist. Ich denke, dass der von JacquesDelors eingeschlagene Weg – ich kann ihn aufgrund meiner begrenzten Redezeit nicht mehr genau darstellen; man kann es nachlesen – richtig ist: 100 000 und mehr Jugendlichen in Europa wurde die Chance gegeben, in ein Nachbarland zu gehen und eine zwei- oder dreijährige Ausbildung zu machen. Das stärkt Europa, und es gibt allen jungen Leuten Zukunftsaussichten. Dafür sollten wir uns starkmachen.
Ich danke fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Beate Walter- Rosenheimer, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5114432 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 106 |
Tagesordnungspunkt | Berufliche und akademische Bildung |