21.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 106 / Tagesordnungspunkt 7

Michael KretschmerCDU/CSU - Berufliche und akademische Bildung

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der Berufsbildungsbericht, über den wir heute sprechen, ist eine wichtige Handlungsgrundlage, eine gute Analyse, manchmal auch mit unangenehmen Wahrheiten, aber auf jeden Fall ein wichtiger Hinweisgeber für die Bildungspolitik in unserem Land. Ich vertraue diesem Bericht, der vom Bundesministerium für Bildung und Forschung erarbeitet wird, viel mehr als so manchem Ratschlag, der von außen kommt.

Unlängst hat uns der Präsident der Wirtschaftskammer in Wien erzählt: Wissen Sie, wenn wir der OECD glauben würden, müssten wir davon ausgehen, dass in unserem Land alles desaströs ist. Wir haben in Österreich viel zu wenige Leute, die Abitur machen. Wir haben viel zu wenige junge Menschen, die studieren. Das Einzige, das in Österreich besser ist als in anderen Ländern, das Einzige, wo die OECD zu guten Ergebnissen kommt, ist, dass wir eine niedrige Jugendarbeitslosigkeit haben – die niedrigste –, dass wir höhere Löhne haben, dass wir überhaupt ein ordentliches Gehaltsgefüge haben. – Deswegen ist die Frage: Wem vertrauen wir? Ich glaube, es ist richtig, dass wir an dem, was Deutschland stark gemacht hat, dass wir an unserem Erfolgskonzept festhalten und es weiter ausbauen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben versprochen – wir halten dieses Versprechen auch –, bis zu 10 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Bildung und Forschung auszugeben. Denn wir sagen: Es ist wichtig, dass in diesem Bereich viel passiert, dass wir uns um Inklusion kümmern, dass wir uns um junge Menschen kümmern, die es nicht so leicht haben. Insofern gilt dieses Versprechen. Wir werden hier weiter investieren.

Unser Grundsatz lautet: kein Abschluss ohne Anschluss. Wir haben, was die Durchlässigkeit der Berufe angeht – der zweijährigen Berufe, theoriegemindert im Vergleich zu den richtigen Facharbeiterberufen – viel bewegt. Wir haben den Zugang zur Hochschule für diejenigen, die einen Meisterabschluss, aber kein Abitur, keine Fachhochschulreife haben, wirklich erleichtert. Das hat viel geholfen.

Die große Herausforderung für die Zukunft ist die Kombination aus der demografischen Entwicklung – es gibt viel weniger junge Menschen – auf der einen Seite und dem Studierverhalten, das heute ganz anders ist, als es in der Vergangenheit war, auf der anderen Seite. Deswegen müssen wir alles daransetzen, dass das, was Deutschland als Industrieland stark gemacht hat, das dafür gesorgt hat, dass die Jugendarbeitslosigkeit so niedrig ist wie in kaum einem anderen Land der Europäischen Union, auch in Zukunft gilt. Das heißt, die Kombination aus Praxis und Theorie im dualen System ist die Stärke dieses Landes. Alle Energie, die wir in der Bildungspolitik, in der Berufsbildungspolitik einsetzen, muss sich auf diesen Punkt konzentrieren, damit wir diesen Vorteil auch in Zukunft erhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Deswegen werden wir die Modularisierung nicht so weit vorantreiben – auch wenn manche eine größere Modularisierung wünschen –, dass dieses Berufskonzept am Ende nicht mehr vorhanden ist. Das wäre in der Tat ein großer Fehler. Es geht darum, dass Teilqualifikationen zertifiziert werden, dass sie auch in die Gesellenprüfung einbezogen werden. Aber im Grundsatz muss es bei diesem Berufskonzept bleiben.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])

Wir müssen gemeinsam mit den Ländern – wir müssen das auch von den Ländern einfordern – viel mehr Energie für die Berufsorientierung aufwenden, und zwar auch in den Gymnasien.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Überall an den Gymnasien in Deutschland müssen Berufsorientierungsmaßnahmen stattfinden, und zwar nicht als Alibi in der elften oder zwölften Klasse, sondern beginnend ab der achten, neunten Klasse, sodass die jungen Leute tatsächlich eine gute Vorstellung davon bekommen, was für sie das Richtige ist, und sodass hinsichtlich der Gehaltsvorstellungen – dazu haben wir gerade Beispiele gehört – ein realistisches Bild entsteht. Wir haben sehr viele Beispiele von jungen Leuten, die ein Studium abbrechen, weil sie auf einmal merken, dass es doch nicht das Richtige ist. Wir sehen, dass in einigen Berufen in der dualen Ausbildung besser gezahlt wird als in manchen Studienberufen. Deswegen gilt es, hier ein Bild zurechtzurücken. Das kann nur durch eine qualitativ sehr hochwertige Berufsorientierung gelingen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir wollen und müssen auch mit der Wirtschaft darüber reden, dass sie durch Gehaltsmaßnahmen und eine ordentliche Betreuung der Auszubildenden die Attraktivität der dualen Ausbildung verbessert; das ist überhaupt keine Frage. Wir müssen über neue Modelle sprechen. Es geht um die hybride Ausbildung, also die Kombination von Berufsausbildung und Studium, und um das duale Studium, und zwar in einer qualitativ wirklich hochwertigen Weise, wie es damals in Baden-Württemberg von der Union erfunden wurde, nämlich Studium und Praxisanteil statt irgendeines Praktikums.

(Widerspruch bei der SPD)

Genau dieser Beitrag ist notwendig, damit der große Vorteil, von dem wir am Anfang gesprochen haben, die Kombination von Praxis und Theorie, erhalten bleibt. Das ist ein Gebot der Stunde.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ich erinnere mich noch gut: Als ich 1991/1992 meine Ausbildung begonnen habe, bot sich ein trostloses und trauriges Bild. Der überwiegende Teil der jungen Menschen in den neuen Ländern ist entweder zur Ausbildung in die alten Bundesländer gegangen oder hat sich für eine überbetriebliche Ausbildungsmaßnahme entschieden.

2002, als ich zusammen mit vielen heutigen Kollegen in den Bundestag gekommen bin, war die Situation unverändert. Junge Leute in einer Oberschule haben uns erzählt, dass sie 20 oder 30 Bewerbungen geschrieben und nicht einmal eine Absage bekommen haben.

Was haben wir seitdem erreicht, meine Damen und Herren?

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])

Heute gibt es mehr Ausbildungsplätze als Bewerber.

(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Ergebnis der demografischen Entwicklung!)

Heute kann man sich den Ausbildungsplatz aussuchen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das ist das Ergebnis einer wirklich guten Politik. Denn Ausbildung ist eine Investition in die Zukunft, und zwar für die jungen Menschen, aber auch für den Betrieb.

Wir brauchen ein vernünftiges wirtschaftliches Umfeld und eine Wirtschaftspolitik, die auf Wachstum setzt und Vertrauen hat. Ansonsten wird es auch keine Ausbildungsplätze geben. Das hat Angela Merkel seit 2005 geschafft, und das wird ihr auch niemand wegnehmen. Das ist ein ganz großer Erfolg, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der CDU/CSU – Willi Brase [SPD]: Wir machen aber keinen Wahlkampf hier!)

Was wir in den vergangenen Jahren gemeinsam erreicht haben, kann uns stolz machen. Die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem ist von über 400 000 auf 256 000 zurückgegangen. Das ist keine Maßnahme, die man kritisch und abwertend sehen muss. Es ist vielmehr eine Maßnahme für Jugendliche, die es zum Teil nicht leicht haben und viele Hemmnisse mitbringen. Um sie kümmert sich dieses Land ganz verantwortungsvoll und mit einem hohen Einsatz, weil wir sagen: Wir wollen kein Talent verloren geben. – Das ist eine tolle Sache, und es ist nicht in Ordnung, wie Sie das gerade heruntergeredet haben.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir haben neue Modelle wie die assistierte Ausbildung und die Bildungsketten entwickelt, die sich bewährt haben und die wir in Zukunft ausbauen wollen. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Wenn wir dabeibleiben und das Prinzip „Praxis und Theorie“ weiter stärken, dann wird es auch wieder mehr Ausbildungsplätze und bessere Chancen geben.

Wir sollten nicht von einem Akademisierungswahn reden. Ich halte das in der Tat für einen Kampfbegriff. Aber wir müssen das Bild zurechtrücken, dass nur das Studium einen vernünftigen Job und ein vernünftiges Einkommen erzeugt. Das ist nicht so. Dieses Land braucht die duale Ausbildung. Dafür müssen wir kämpfen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Brigitte Pothmer, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5114444
Wahlperiode 18
Sitzung 106
Tagesordnungspunkt Berufliche und akademische Bildung
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