22.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 107 / Tagesordnungspunkt 27

Andrea Nahles - Gesetz zur Tarifeinheit

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Ein Betrieb – ein Tarifvertrag: Dieser Grundsatz hat in Deutschland eine lange Tradition und, wie ich finde, eine gute.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

60 Jahre lang hat unser Land von der Tarifeinheit profitiert. 60 Jahre lang haben sich die Gewerkschaften von einer Idee leiten lassen: Gemeinsam sind wir stärker als gegeneinander. Über Jahrzehnte führte die Tarifeinheit dazu, dass Gewerkschaften und Arbeitgeber ihre jeweiligen Interessen durchsetzen und dabei doch immer auch den Ausgleich im Blick behalten konnten. Dieser Ausgleich ist ein echter Standortvorteil für Deutschland.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Was wir seit 2010, seit der geänderten Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes zur Tarifeinheit, beobachten, macht vielen Menschen Sorgen. Arbeitgeber und der Deutsche Gewerkschaftsbund haben sich sofort gemeldet und die Bundesregierung direkt nach dieser Gerichtsentscheidung aufgefordert, die Tarifeinheit per Gesetz wiederherzustellen. Beide Seiten wollen die Tarifeinheit; denn sie wissen um den Wert des sozialen Friedens in den Betrieben. Beide Seiten wollen die Tarifeinheit, weil sie Tarifkollisionen vermeiden wollen; denn Tarifkollisionen gefährden die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deswegen haben wir vereinbart, hier eine Lösung vorzulegen.

Unsere Aufgabe als Gesetzgeber ist es, das Funktionieren der Tarifautonomie sicherzustellen und der Sozialpartnerschaft Raum und Regeln zu geben. Für uns ist klar: Das Koalitionsrecht und das Streikrecht tasten wir nicht an.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Etikettenschwindel! – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Die Tarifparteien bleiben uneingeschränkt in der Verantwortung „zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen“, wie es das Grundgesetz in Artikel 9 festlegt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Manchmal muss gekämpft und manchmal muss gestreikt werden; auch wenn es am Ende immer einen Kompromiss geben muss, ist dies notwendig. In der Geschichte der Bundesrepublik haben wir immer wieder gesehen, dass Gewerkschaften nicht nur für ihre Mitglieder gestreikt haben, sondern auch, um gesellschaftlichen Fortschritt zu erreichen.

Gesellschaftlicher Fortschritt und soziale Errungenschaften kommen eben nicht von alleine. Streiks und Arbeitskämpfen haben wir zu verdanken, dass wir Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Arbeitszeitverkürzung und Gesundheitsschutz, Weiterbildung und ganz moderne Ansätze zur Bewältigung der demografischen Herausforderungen haben. Und deswegen steht das Streikrecht überhaupt nicht in Rede, um es ganz klar zu sagen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Tarifautonomie ist allerdings gleichfalls nicht irgendetwas, sondern sie ist ein wichtiges Verfassungsgut. Verehrte Kolleginnen und Kollegen, in diesem Zusammenhang möchte ich die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zitieren:

Dieser vom Bundesverfassungsgericht klar beschriebene Gedanke des kollektiven Handelns wird ad absurdum geführt, wenn die streikmächtigen Berufsgruppen ihr Streikrecht nur für sich selbst einsetzen und nicht zum Wohle der gesamten Belegschaft.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Mit dem Tarifeinheitsgesetz setzen wir genau hier an. Tarifeinheit stärkt die Grundlagen gewerkschaftlicher Interessenvertretung in Deutschland. Tarifeinheit stärkt die Tarifautonomie. Mehr kann die Politik aber nicht tun. Es sind die Sozialpartner, die mit ihren Rechten eben auch verantwortlich umgehen müssen.

Und deswegen freue ich mich, dass die Tarifauseinandersetzung bei der Bahn nun – wenn auch spät – zumindest auf dem richtigen Gleis ist. Das ist genau im Sinne der Tarifeinheit, das ist der Sinn unseres Gesetzes: Wir setzen auf Kooperation und Einigung, meine Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte auf den Vorwurf eingehen, wir wollten mit dem Gesetz zur Tarifeinheit kleine Gewerkschaften wegräumen. Diese Behauptung hat weder Hand noch Fuß. Schauen wir zum Beispiel einmal auf die GDL: Die Gewerkschaft der Lokführer gibt es seit 1867.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Sie ist eine der ältesten Gewerkschaften überhaupt in Deutschland. Wer würde heute behaupten, sie habe 60 Jahre Tarifeinheit nicht gut überstanden, meine lieben Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Die Tarifeinheit läuft nicht auf das Ende für kleine Gewerkschaften und Berufsverbände hinaus.

(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sondern?)

Viele zeigen doch seit Jahrzehnten, wie es gut laufen kann mit der Kooperation. Was der Deutsche Beamtenbund und Verdi zusammen tun, das ist doch ein gutes Beispiel. Ihre Tarifgemeinschaft funktioniert und nutzt beiden. Das kann auf der Basis dieses Gesetzes genauso weitergehen. Sie sind gemeinsam stärker als gegeneinander. Das ist der entscheidende Punkt, und das hat über Jahrzehnte funktioniert.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])

Darum vollenden wir mit dem heutigen Gesetz auch unser Vorhaben, der Tarifautonomie wieder Raum zu geben und die Sozialpartnerschaft in Deutschland zu stärken. Mit dem Tarifpaket, mit dem Mindestlohn haben wir an diesem Ziel gebaut; mit der Tarifeinheit schließen wir diesen wichtigen Bau für diese Legislaturperiode ab. Wir halten damit Wort.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben ein sorgfältig erarbeitetes, breit diskutiertes und breit getragenes Gesetz vorgelegt.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen aber nicht alle Experten so!)

Es basiert auf dem Prinzip der Subsidiarität, und es fußt auf dem demokratischen Mehrheitsprinzip. Denn Vorrang hat immer: Gewerkschaften und Arbeitgeber einigen sich untereinander ohne staatliches Eingreifen, aber unter Einhaltung demokratischer Regeln. Das ist der Vorschlag, den wir unterbreiten. Es zeigt, dass wir Vertrauen haben in unsere Institutionen und Traditionen, in Kooperation und Kompromissfähigkeit, Koalitionsfreiheit und Verantwortung.

(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ist doch jetzt eingeschränkt!)

Darum geht es.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Für die Fraktion Die Linke erhält nun der Kollege Klaus Ernst das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)

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Electoral Period 18
Session 107
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