22.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 107 / Tagesordnungspunkt 27

Bernd RützelSPD - Gesetz zur Tarifeinheit

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Herr Dr. Hofreiter, Sie haben wohl übersehen, dass dieses Tarifeinheitsgesetz einer Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbunds entspricht.

(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und? Ich bin Mitglied bei Verdi! Verdi ist da offen und ehrlich! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach so, Sie sind Mitglied bei Verdi! Jetzt ist alles klar!)

Wenn Sie das nicht glauben, können Sie es in einem Kommentar im Handelsblatt nachlesen; er ist noch gar nicht so alt.

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht und dieses auch noch alleine isst, dann bleiben all diejenigen hungrig, die das nicht können oder um die sich niemand kümmert.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deshalb haben vor über 70 Jahren – es war noch Krieg, es war am 18. März 1945 in Aachen, im bereits befreiten Aachen – 80 Männer und Frauen die Einheitsgewerkschaft gegründet. Der legendäre Aufruf „Schafft die Einheit!“ war ursprünglich gedacht – das gilt bis heute – zur Überwindung der weltanschaulichen und politischen Spaltung der Gewerkschaftsbewegung. Standesunterschiede zwischen Arbeitern und Angestellten sollten keine Rolle mehr spielen. Ein Betrieb, eine Gewerkschaft – das war die Devise.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Dies galt – das kann man nicht wegdiskutieren – 65 Jahre lang, bis 2010. Über sechs Jahrzehnte hat diese Tarifeinheit unser Land stark gemacht.

(Thomas Oppermann [SPD]: Richtig! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber eine andere Tarifeinheit! Das hatten wir gestern Abend schon!)

In den Betrieben haben die Stärkeren für die Schwächeren gekämpft. Sie haben gestritten, sie haben gestreikt, und – das ist wichtig – die Betriebe konnten sich nach einem Tarifkonflikt – so schlimm er auch gewesen sein mag – immer wieder befrieden und ihrem Geschäft nachgehen. Dieser Befriedungsprozess ist ganz wichtig. Wir haben heute von der Bundesministerin Andrea Nahles bereits gehört – Karl Schiewerling hat es auch gesagt –, wie wichtig er ist.

Es gab schon immer viel Verständnis für Streiks. Das ist auch heute noch so, und das ist auch gut so. Das ist ein Grundrecht. Es ist verbrieft. Dieses Grundrecht – Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz – werden wir niemals angreifen, auch wenn das hundertmal erzählt wird; das ist falsch. Es ist für uns wichtig.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Als das Bundesarbeitsgericht 2010 in seiner Rechtsprechung vom Grundsatz der Tarifeinheit abgerückt ist, freute sich vielleicht so mancher darüber und meinte, dass er nun sein eigenes Süppchen kochen kann, vielleicht nach dem Motto: Zeigen wir denen mal, wo der Hammer hängt. – Viele Forderungen der Gewerkschaften und der Verbände mögen vielleicht berechtigt sein. Die Gewerkschaften haben Bestand; einige gibt es seit über hundert Jahren. Die GDL zum Beispiel ist die älteste Gewerkschaft,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

und das ist auch gut so. Sie ist stark, und das ist auch gut so. Aber die Entsolidarisierung innerhalb der Gewerkschaftsbewegung hilft niemandem. Die hilft nicht den Unternehmen, die hilft nicht der Bevölkerung, und die hilft schon gar nicht den abhängig Beschäftigten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die sehen das aber selber anders!)

Ich bin ganz sicher, dass unser Gesetz dazu beiträgt – das ist wichtig; das ist heute schon ein paarmal gesagt worden –, dass es wieder mehr Tarifgemeinschaften geben wird, dass man sich zusammentut,

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Kooperationen sind die Regel! Es ist genau andersherum!)

dass es klare Zuständigkeiten gibt und geklärt wird, wer denn für wen verhandelt, und dass kleinere Gewerkschaften Tarifverträge nachzeichnen können, so wie sie das schon jahrzehntelang erfolgreich getan haben. Erst wenn das alles nicht fruchtet, man sich nicht einigen kann und mehrere Tarifverträge in einem Betrieb für die gleiche Beschäftigtengruppe gelten,

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Leiharbeit!)

dann wird die Mehrheit eines Betriebes – das ist nämlich auch die Mehrheit der Menschen, die hinter einer Gewerkschaft stehen – entscheiden, welcher Tarifvertrag gilt.

Lieber Klaus Ernst, unser Tarifeinheitsgesetz ist kein Allheilmittel. Aber es ist auch nicht der Weltuntergang. Wir haben das Tarifautonomiestärkungsgesetz beschlossen. Wir haben den Mindestlohn eingeführt. Wir haben die Allgemeinverbindlichkeit verbessert. Wir haben die Regelungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz ausgeweitet. Die jetzt an das Tarifeinheitsgesetz gerichteten Forderungen sind, glaube ich, teilweise überspannt. Aber ich freue mich auf die Debatte nach der Sommerpause, wenn wir das gemeinsam angehen.

Zum Schluss möchte ich noch Folgendes anmerken: Es wird immer wieder gesagt: Das greift ins Streikrecht ein. Und: Die Koalitionsfreiheit ist in Gefahr. – Nichts davon ist der Fall. Die Verfassungsressorts, Innenministerium und Justizministerium, das Bundeskanzleramt, die Sachverständigen in der Anhörung, wie der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Papier, haben die Verfassungsfestigkeit unseres Tarifeinheitsgesetzes bescheinigt.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der und Waas waren auch die Einzigen! Die anderen haben das anders gesehen!)

Was über sechs Jahrzehnte in Deutschland gut war, kann jetzt nicht schlecht sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Jutta Krellmann ist die nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5117694
Wahlperiode 18
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Gesetz zur Tarifeinheit
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