22.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 107 / Tagesordnungspunkt 27

Ralf KapschackSPD - Gesetz zur Tarifeinheit

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer! Es gibt eine alte Journalistenweisheit, die lautet: Recherche macht die schönste Geschichte kaputt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich habe den Eindruck, diese Weisheit hat auch in diesem Hohen Hause eine Menge Anhänger, vor allen Dingen bei der Opposition. In der Debatte über das Tarifeinheitsgesetz ist von der Opposition immer wieder behauptet worden, auch in der heutigen Diskussion, der Gesetzentwurf sei verfassungswidrig, weil er massiv in das Streikrecht eingreife.

(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In die Tariffreiheit!)

Ich finde es schon bemerkenswert, mit welcher Selbstsicherheit Linke und Grüne diese Frage schon beantwortet haben. Es gibt in unserem Staat ein klares Verfahren, wie Verfassungswidrigkeit festgestellt wird, nämlich allein vom Verfassungsgericht in Karlsruhe und nirgendwo sonst.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die Bundesregierung hat vielleicht den Auftrag, ein verfassungsgemäßes Gesetz zu machen!)

Die Behauptung, die Regierung habe bewusst einen verfassungswidrigen Gesetzentwurf vorgelegt, wäre wirklich eine Beleidigung, wenn man sie ernst nähme. Das tue ich aber nicht.

Die Anhörung Anfang des Monats hat für mich gezeigt: Dieses Gesetz ist sehr wohl mit der Verfassung vereinbar. Der Gesetzgeber nutzt jetzt seinen Spielraum, nicht mehr und nicht weniger. Man muss diese Argumente ja nicht unbedingt teilen; aber man sollte sie wenigstens zur Kenntnis nehmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Zum Eingriff in das Streikrecht gab es bei der Anhörung einen, wie ich finde, bemerkenswerten Beitrag des Vertreters der Arbeitsrichter, Herrn Vetter. Die Arbeitsgerichte entscheiden ja über die Zulässigkeit und über die Verhältnismäßigkeit von Streiks. Herr Vetter hat ausgeführt, dass seine Kolleginnen und Kollegen Arbeitsrichter auch in Zukunft kaum zustimmen werden, wenn versucht wird, einen Streik per einstweiliger Verfügung zu verbieten. Insofern kann von einem massiven Eingriff in das Streikrecht überhaupt nicht die Rede sein.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Die Grundbotschaft dieses Gesetzes ist: Ein Betrieb, ein Tarifvertrag. – Das galt bis 2010. So wird sichergestellt, dass zwei Personen für die gleiche Arbeit nicht unterschiedlich entlohnt werden, nur weil sie verschiedenen Gewerkschaften angehören. Es wird auch in Zukunft ohne Probleme möglich sein, dass Gewerkschaften ihre Zuständigkeit abstimmen und gemeinsam einen Tarifvertrag verhandeln. Insofern ist dieses Gesetz eine Aufforderung zur Kooperation

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Heinz Wiese [Ehingen] [CDU/CSU] – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie kann denn, bitte schön, ein Gesetz auffordern?)

und nicht zum Kampf von Gewerkschaften gegeneinander. Deshalb ist dieses Gesetz eben keine Schwächung der Gewerkschaften; sonst wäre die große Mehrheit im Deutschen Gewerkschaftsbund nicht dafür,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

und sonst hätte auch der Chef des DGB, Reiner Hoffmann, das in der Anhörung nicht noch einmal ausdrücklich betont.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verdi ist aber dagegen! Die zweitgrößte Gewerkschaft im DGB!)

Richtig ist aber auch: Wer für Tarifeinheit ist, muss sich auch dafür einsetzen, dass die Flucht von Unternehmen aus Tarifverträgen ein Ende hat.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Denn das ist das Gegenteil von „Ein Betrieb, ein Tarifvertrag“. Das ist: Ein Betrieb, kein Tarifvertrag.

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?

Aber selbstverständlich.

Vielen Dank, Herr Kollege, für die Zulassung der Zwischenfrage. – Würden Sie mir recht geben, dass Streiken nicht unbedingt ein Selbstzweck ist? Man streikt nicht, um zu streiken, sondern ein Streik hat einen bestimmten Sinn und einen Zweck, nämlich einen Lohntarif auszuhandeln. Wenn eine Gewerkschaft nicht die Mehrheit hat, wird sie auch keinen Lohntarif aushandeln können, und dann wird ein Streik zwangsläufig immer unverhältnismäßig sein, weil er gar nicht dazu geeignet ist, einen Lohntarif herbeizuführen. Wenn ich also nicht für den Lohn verhandeln kann, weil ich nicht die Mehrheit hinter mir habe, kann ich am Ende nicht streiken. Ist es nicht so?

Das ist das, was ich eben mit „Recherche macht die schönste Geschichte kaputt“ meinte. Ich verlasse mich da weniger auf Spekulation und auf mein Gefühl, sondern mehr auf das, was die Praktiker sagen.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Gesetz verändert doch die Realität!)

Ich habe Ihnen eben berichtet, was der Vertreter der Arbeitsrichter, der, glaube ich, besser Bescheid weiß als wir beide zusammen, gesagt hat. Die Arbeitsgerichte werden auch in Zukunft sehr zurückhaltend sein, was das Verbot von Streiks angeht. Ich glaube, da sollten wir einmal abwarten, was passiert, und nicht im Vorhinein eine Apokalypse heraufbeschwören.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann doch nicht abwarten und gucken, was passiert!)

Ich würde aber gerne noch meinen Gedanken zu Ende führen. Ich habe gesagt: Wer für Tarifeinheit ist, muss auch die Flucht aus Tarifverträgen stoppen. Die Unterstützung für das Tarifeinheitsgesetz durch die Arbeitgeberverbände wäre glaubwürdiger, wenn mit der gleichen Energie gegen die Flucht aus bestehenden Tarifverträgen gearbeitet würde.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Stattdessen wird immer mehr Unternehmen die Mitgliedschaft ohne tarifpolitische Verpflichtung ermöglicht. Deshalb wollen wir – auch mit der Neuregelung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung von Tarifverträgen im vergangenen Jahr – erreichen, dass das Arbeitsleben wieder gemeinsam mit Gewerkschaften und Arbeitgebern gestaltet wird. Auch das gehört zur neuen Ordnung auf dem Arbeitsmarkt, die wir dringend brauchen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Rudolf Henke.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5117766
Wahlperiode 18
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Gesetz zur Tarifeinheit
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