22.05.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 107 / Tagesordnungspunkt 29

Metin HakverdiSPD - Verbesserung der Transparenz beim Scoring

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir uns detailliert mit Scoring und Auskunfteien beschäftigen, ist mir die richtige grundsätzliche politische Einordnung des Themas wichtig.

Auskunfteien betreiben mit Scoring eine Art Profilbildung. Scoring-Agenturen oder Auskunfteien, wie die Schufa, Creditreform, infoscore, Bürgel, Arvato – um nur einige zu nennen –, bilden Konsumentenprofile auf der Grundlage gesammelter Daten. Mit diesen Profilen treffen sie Aussagen darüber, ob Verbraucherinnen und Verbraucher in der Zukunft ihrer Zahlungspflicht nachkommen oder eben nicht.

Die beiden Themen – Daten sammeln und den Menschen berechnen – sind im Rahmen der Debatte um Big Data die beiden zentralen Themen. „ Wissen ist Macht, und Wissen über Menschen bedeutet Macht über diese Menschen“, schreibt Juli Zeh. Da stellt sich die Frage, wie viel Macht wir Auskunfteien über Bürgerinnen und Bürger heute und in Zukunft einräumen wollen. Diese Macht der Auskunfteien bekommen die Bürgerinnen und Bürger immer häufiger zu spüren, wenn sie sich die Frage stellen: Bekomme ich einen Kredit zum Bau eines Eigenheimes? Bekomme ich einen Kredit, um mich selbstständig zu machen? Klappt ein Kauf auf Rechnung? Oder: Kann ich einen Handyvertrag abschließen?

Die Auskunfteien sind insbesondere im wachsenden Internethandel stets präsent. Sie sind die ständigen Beobachter unserer wirtschaftlichen Aktivitäten. Bei vielen dieser Aktivitäten ist die Auskunft der Schufa oder einer anderen Auskunftei heutzutage obligatorisch. Ohne Auskunft kein Vertrag. Jährlich werden 250 bis 300 Millionen Auskünfte erteilt – mehr als 1 Million Auskünfte an jedem Werktag.

Seit der Novelle des Bundesdatenschutzgesetzes im Jahr 2009 unterliegen Auskunfteien bestimmten gesetzlichen Regelungen. Diese wurden nun im Rahmen einer Studie evaluiert. Die Ergebnisse wurden vorgestern, am Mittwoch dieser Woche, im Rahmen eines Symposiums breit diskutiert. Aus der Evaluation ergeben sich für mich folgende Fragen für die weitere Rechtsentwicklung:

Erstens. Wie wird die Datenqualität bei Auskunfteien gesichert? In einer repräsentativ durchgeführten Befragung geben knapp 25 Prozent der Menschen an, dass die zugrundeliegenden Daten qualitativ mangelhaft seien. Mit anderen Worten: Die gespeicherten Informationen waren falsch – 25 Prozent!

Zweitens. Problematisch ist auch die Verwendung der Wohngegend bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit eines Menschen, das sogenannte Geo-Scoring. Eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in meinem Wahlkreis in Wilhelmsburg, Neuwiedenthal oder Bergedorf-West lebt, ist nach diesem Verfahren weniger kreditwürdig als eine Richterin oder ein Krankenpfleger, die bzw. der in Hamburg-Blankenese wohnt. Das klingt absurd, ist aber gelebte Praxis beim Scoring.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber das darf doch nicht so bleiben!)

Dieses Geo-Scoring ist heute bei 50 Prozent der Auskünfte das ausschlaggebende Kriterium.

Drittens. Problematisch ist ferner der Umgang mit Menschen, die durch ein Insolvenzverfahren eine Restschuldbefreiung erlangt haben. Der Gesetzgeber verspricht diesen Menschen die Chance auf einen wirtschaftlichen Neustart. Dieses Versprechen des Gesetzgebers wird aber von den Auskunfteien versperrt, da Auskunfteien trotz Restschuldbefreiung die historischen Daten bei der Ermittlung der Kreditwürdigkeit weiterhin berücksichtigen.

(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Aber da muss man doch etwas machen!)

Hier müssen wir etwas tun, wenn wir es mit den Zielen unseres privaten Insolvenzverfahrens ernst meinen.

Viertens. Ein weiteres großes Problem ist die Auskunftspraxis der Dateien. Die Menschen empfinden diese als unzureichend und nicht nachvollziehbar. Wir müssen sicherstellen, dass Bürgerinnen und Bürger eine verständliche Auskunft über ihre Einstufung bei einer Auskunftei bekommen. Wir müssen auch sicherstellen, dass die Bürgerinnen und Bürger wirksame Rechte bekommen, um unberechtigte Eintragungen zu löschen.

Fünftens und letztens. Alter, Geschlecht und Religion dürfen bei der Beurteilung der Kreditwürdigkeit auch in Zukunft keine Rolle spielen. Auch sensible Daten wie Gesundheitsdaten müssen von Gesetzes wegen für die Ableitung von Scores verboten bleiben.

Was ist aber mit Daten aus den sozialen Netzwerken, die mit intelligenten Algorithmen ausgewertet werden können? Die Firma Kreditech macht diese Daten zur Grundlage ihrer Bewertung, zurzeit noch außerhalb Deutschlands. Ich bin besorgt, dass die rechtlichen Mauern, die das deutsche Recht kennt, durch die europäische Datenschutz-Grundverordnung eingerissen werden könnten. Wichtiger als Änderungen des deutschen Datenschutzrechts ist für mich die Rechtsentwicklung auf der europäischen Ebene.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundesregierung muss dafür sorgen, dass die hohen Standards, die das deutsche Recht bereits heute kennt und in Zukunft noch weiterentwickeln wird, nicht durch die Datenschutz-Grundverordnung ausgehebelt werden!

(Beifall der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Die schärfsten nationalen Gesetze nützen nichts, wenn die Hürden einer harmonisierten Datenschutz-Grundverordnung diese nicht kennen.

Wir sind gut beraten, unsere aktuelle Aufmerksamkeit auf Europa, auf Brüssel zu richten. Die europarechtlichen Auswirkungen sind in dem von den Grünen vorgelegten Gesetzentwurf leider nicht hinreichend berücksichtigt. Dieses wichtige Thema verdient aber, dass wir uns genug Zeit nehmen, um dann eine Gesetzesänderung auf den Weg zu bringen. Ich freue mich deshalb auf eine vertiefte Debatte.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5120050
Wahlperiode 18
Sitzung 107
Tagesordnungspunkt Verbesserung der Transparenz beim Scoring
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