10.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 108 / Zusatzpunkt 1

Annette GrothDIE LINKE - Aktuelle Stunde zu Menschenrechtsverletzungen in Eritrea

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Frau Heinrich hat schon die dramatische Menschenrechtslage in Eritrea geschildert. Der Bericht, der einen Umfang von 464 Seiten hat, zeigt detailliert auf, dass in dem Land willkürliche Hinrichtungen, Zwangsrekrutierungen für die Armee, systematische Folter und politische Verfolgung von Menschen an der Tagesordnung sind. Gabriele Heinrich hat auch gesagt: Es ist eine unvorstellbare Zahl, dass monatlich fast 5 000 Menschen Eritrea verlassen. – Die meisten von ihnen gehen in die Nachbarländer; im Oktober 2014 waren etwa 110 000 Flüchtlinge im Sudan und mehr als 100 000 in Äthiopien gemeldet. In der EU sind derzeit fast 360 000 eritreische Staatsangehörige als Flüchtlinge registriert. Auch unter den Toten des Mittelmeers sind viele Flüchtlinge aus Eritrea. Deshalb fordere ich die Bundesregierung auf – wie so häufig schon –: Öffnen Sie endlich die Grenzen für Menschen in Not!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Starten Sie eine über das gesamte Mittelmeer angelegte Rettungsmission für die Flüchtlinge, damit die Menschen, die vor Gewalt und Folter fliehen, nicht länger im Mittelmeer ertrinken!

(Beifall bei der LINKEN)

Ein besonders dramatisches Beispiel sind die Flüchtlinge, die in den Sinai verschleppt und dort festgehalten werden. Von 2009 bis 2013 sind im Sinai zwischen 25 000 und 30 000 Personen Opfer des Menschenhandels geworden, darunter etwa 90 Prozent Eritreer. Bis zu 50 000 Dollar müssen Angehörige für ihre verschleppten Verwandten bezahlen. Die Erpressungen werden mit brutaler Folter und äußerster Grausamkeit durchgeführt. Die Angehörigen mussten bei Liveschaltungen der Misshandlung ihrer Familienangehörigen zuhören. Zwischen 5 000 und 10 000 Menschen haben diese grausamen Menschenhändler ermordet. Es gab und gibt immer wieder Hinweise auf den profitablen Handel mit Organen, die den Opfern entnommen worden sind. Wie die Lage im Sinai heute ist, weiß man nicht, da dieses Gebiet von der ägyptischen Armee total abgeriegelt ist.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die eritreische Regierung den UN-Ermittlern jegliche Zusammenarbeit verweigert und sie nicht ins Land gelassen hat, ist wirklich skandalös.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])

Grundlage des Berichts sind deshalb 550 vertrauliche Interviews mit Zeugen außerhalb Eritreas sowie 160 schriftliche Aussagen von Betroffenen. Viele potenzielle Zeugen haben selbst in den Asylländern noch Angst vor Übergriffen sowie vor Repressalien gegen zurückgebliebene Verwandte und lehnen darum Aussagen vor den Ermittlern ab.

Die alltägliche sexuelle Gewalt gegen Frauen konnte in den Interviews nur ansatzweise erfasst werden, da aufgrund der Scham der Opfer und der Angst vor Stigmatisierung viele eritreische Frauen nicht über die ihnen angetanen Verbrechen sprechen wollen. Noch immer werden Jungfräulichkeit, Keuschheit und Monogamie hochgehalten. Selbst Opfern von Vergewaltigungen wird unterstellt, Schande über ihre Familien gebracht zu haben.

Seit der Unabhängigkeit im Jahr 1993 – die Eritreer votierten in einer Volksabstimmung fast einstimmig für eine Loslösung von Äthiopien – herrscht in Eritrea ein permanenter Kriegszustand. Die gesamte Wirtschaft funktioniert als Kriegsökonomie. Der Grenzkonflikt hat zwischen 70 000 und 100 000 Tote gefordert und über 1 Million Menschen zu Umsiedlungen gezwungen. Gleichzeitig teilen sich wenige Clans die Kriegsprofite – unterstützt von Interessengruppen außerhalb des Landes, die daran ganz gut verdienen.

Eritrea gehört mit einem Bruttoinlandsprodukt von 550 US-Dollar pro Kopf zu den ärmsten Ländern der Welt. Ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung steht seit vielen Jahren unter Waffen oder muss im Anschluss an den Wehrdienst eine nationale Dienstpflicht ableisten. Um dem zu entgehen, fliehen so viele aus Eritrea.

Auf dem Evangelischen Kirchentag in Stuttgart hat Entwicklungsminister Gerd Müller angekündigt, in den nächsten Wochen nach Eritrea zu reisen. Ich hoffe, dass er dort die massive Repression und die täglichen Menschenrechtsverletzungen thematisiert und auf eine deutliche Verbesserung der Menschenrechtslage drängt. In den letzten Wochen hat Gerd Müller immer wieder Folgendes betont – ich zitiere –:

Eritrea ist nach Syrien, Serbien und Afghanistan auf Platz vier der Länder, aus denen die meisten Flüchtlinge nach Europa kommen. Darum hoffe ich nicht, dass er unter den gegebenen Bedingungen ein mögliches Rückkehrabkommen mit der eritreischen Regierung diskutiert, wie das mit so vielen anderen repressiven Ländern geschehen ist.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Frank Schwabe [SPD])

Das Wort hat der Kollege Frank Heinrich für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5223038
Wahlperiode 18
Sitzung 108
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu Menschenrechtsverletzungen in Eritrea
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