11.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 3

Michael FuchsCDU/CSU - Bürokratieentlastungsgesetz

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Schlecht, ich habe selten eine Rede gehört, in der wie in Ihrer gerade mit so viel Kunstfertigkeit für mehr Bürokratie gekämpft wurde.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Andrea Wicklein [SPD])

Es scheint so zu sein, dass die Linke wieder einmal vorhat, die Bürokratie in Deutschland zu verstärken.

(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Staatsgläubig sind die!)

Ansonsten fiel Ihnen nichts anderes ein als die Forderung, noch mehr Geld auszugeben.

(Dr. Dietmar Bartsch [DIE LINKE]: Nein, er hat etwas anderes erzählt! Er hat Vorschläge gemacht! – Weiterer Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

Wir sind stolz darauf, dass der Bundesfinanzminister es geschafft hat, dass wir endlich einen ausgeglichenen Haushalt haben. Das ist ein Wert an sich; für den haben wir gekämpft. Das ist genau das Richtige, statt andauernd zusätzliche Programme aufzulegen, wie Sie es immer gemacht haben. Das wurde ja schon früher in der DDR versucht. Nichts hat es gebracht. Das ist einer der Gründe, weswegen die DDR damals pleitegegangen ist.

(Widerspruch bei der LINKEN)

– Das tut Ihnen weh, ich weiß das; aber damit müssen Sie leben.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie tun uns nimmer weh!)

Bei kaum einem Projekt gehen Reden und Handeln so auseinander wie beim Bürokratieabbau. In Sonntagsreden kommt der Bürokratieabbau immer wieder vor. Es wird bei neuen Gesetzesvorhaben davon gesprochen, dass wir dringend Bürokratie abbauen müssen. Aber wenn man dann am Ende des Tages hinschaut, stellt man fest, dass wir nicht allzu weit gekommen sind. Es gibt viel Kreativität, was neue Gesetze angeht, aber wenig Hoffnung, dass das dann auch zu einem echten Bürokratieabbau führt. Das läuft nicht so, wie wir uns das wünschen. Bürokratie ist ein Riesenproblem; das sollten wir wissen.

Der Normenkontrollrat hat festgestellt, dass allein im Zeitraum von Juli 2013 bis Juni 2014 über 9,2 Milliarden Euro an neuen Bürokratiekosten aufgebaut wurden.

(Zuruf von der LINKEN: Da hat der Stoiber aber versagt!)

Man lasse sich das bitte einmal auf der Zunge zergehen! Das ist völlig unproduktiv. Diese 9,2 Milliarden Euro fehlen der Wirtschaft an allen Ecken und Enden. Das wäre, nebenbei gesagt, ein wunderbares Investitionsprogramm, wenn man 9,2 Milliarden Euro zusätzlich freisetzen könnte. Dem Normenkontrollrat muss man sehr dankbar sein, dass er uns ständig auf diese Probleme aufmerksam macht. Er muss ein Stachel im Fleisch des Parlaments sein. Das finde ich auch in Ordnung so.

Bürokratie hat große Schäden verursacht und verursacht sie nach wie vor. Junge Unternehmen trauen sich nicht in den Markt hinein, weil sie Angst vor der Bürokratie haben. Die Benachteiligung betrifft aber besonders kleinere mittelständische Unternehmen, weil diese eben keine riesige Rechtsabteilung haben, die sich mit all diesen bürokratischen Maßnahmen beschäftigen kann. Bürokratie führt außerdem zu Lähmungserscheinungen in ganzen Volkswirtschaften. Das kann man am allerbesten an Italien beobachten. Italien hat die schlimmste Bürokratie in ganz Europa. Dort ist die Wirtschaft auch dementsprechend lahm.

Umso wichtiger ist es, dass wir heute nicht nur über Bürokratieabbau reden, sondern das Thema auch konkret angehen. Der heute vorliegende Gesetzentwurf ist ein Schritt in die richtige Richtung. Drei Punkte will ich dabei hervorheben:

Erstens. Die Anhebung der Schwellenwerte für Meldepflichten von Existenzgründern von 500 000 Euro auf 800 000 Euro im Bereich der Wirtschafts- und Umweltstatistik halte ich für richtig. Ein Gründer – ich selbst war einmal einer – sollte sich in der ersten Phase seines Unternehmens mehr mit dem Markt und mit dem Erwirtschaften von Gewinnen beschäftigen, als die ganze Zeit Statistiken auszufüllen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Zweitens. Wir wollen beim Steuerrecht einiges verändern. Der Gesetzentwurf sieht einzelne Entlastungen vor: bei den Mitteilungspflichten für den Kirchensteuerabzug, eine erhöhte Lohnsteuerpauschalierungsgrenze für kurzfristig Beschäftigte und eine Vereinfachung beim Lohnsteuerabzug. Meine Damen und Herren, machen wir uns nichts vor: Das ist kein Quantensprung. Es ist nicht so, dass wir damit schon gewaltige Veränderungen erreicht hätten, aber gerade im Steuerrecht sind die Beharrungskräfte besonders intensiv. 70 Prozent der Bürokratiepflichten, die wir den Unternehmen auferlegen, entstehen im Steuerrecht. Da haben wir also noch einen weiten Weg zu gehen.

Mir fällt dazu auch noch das eine oder andere ein: Gerade bei den kleinen Unternehmen verursacht die Aufzeichnungspflicht, die bei geringwertigen Wirtschaftsgütern besteht, erhebliche Bürokratie.

(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])

Da könnte man ansetzen und überlegen, ob man die Abschreibungsgrenze für geringwertige Wirtschaftsgüter etwas anheben könnte.

(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das muss man machen, Herr Fuchs!)

Diese liegt momentan bei 410 Euro. Aber ich könnte mir durchaus vorstellen, eine Grenze von 600 bis 800 Euro einzuführen.

(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: 1 000 Euro! – Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Das würde erhebliche Bürokratie in den Unternehmen abbauen.

(Beifall des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Auf der anderen Seite bedeutet es für den Staat eigentlich nur eine Verschiebung. Denn wenn die Abschreibung in einem Jahr erfolgt, dann ist im nächsten Jahr nichts mehr abzuschreiben; dann zahlt der Unternehmer im nächsten Jahr mehr Steuern. Insofern stellt das keine gewaltige Änderung dar.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Angesichts der niedrigen Zinsen halte ich das auch für notwendig. Wir werden mit dem Bundesfinanzminister noch einmal darüber zu sprechen haben.

(Beifall der Abg. Andrea Wicklein [SPD] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!)

Aber ich habe es auch noch nicht aufgegeben, an eine wirkliche Steuervereinfachung zu glauben. Denn bei dem, was wir bis jetzt gemacht haben, handelt es sich immer nur um Marginalien. Da wurde immer nur so ein bisschen an einer Stelle angepackt. – Diese Hoffnung habe ich also noch nicht ganz aufgegeben.

Ich habe immer noch die Worte des estnischen Präsidenten Ilves, den ich vor zwei Tagen auf dem Wirtschaftstag des Wirtschaftsrates der CDU gehört habe, in den Ohren. Er sagte, in Estland könne man eine Steuererklärung in fünf Minuten fertigstellen. Das wäre ja ein Ziel für uns.

(Zurufe der Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] und Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Es wäre wirklich eine Aufgabe, die wir uns gemeinsam stellen könnten, zu überlegen, wie wir die Steuererklärungen so vereinfachen, dass auch so etwas bei uns möglich ist.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf einem Bierdeckel!)

Der dritte Punkt, den ich für gut halte, betrifft die neue „One in, one out“-Regelung. Herr Schlecht, auch wenn Sie es nicht ganz verstanden haben: Sie macht schon Sinn. Vor allen Dingen macht sie deswegen Sinn, weil sie zumindest dazu führt, dass sich jeder einmal überlegen muss: Was passiert denn da? Und: Wie kann ich es denn auf der anderen Seite abbauen? – Allein der Druck, der dadurch entsteht, ist schon positiv. Nur, das wollen Sie ja nicht; das ist ja bekannt. Ich halte es für richtig, dass wir auf all die neuen Gesetze, die jetzt noch kommen, diese Regelung anwenden. Mir wäre es am allerliebsten, wir hätten ein rückwirkendes Inkrafttreten. Stellen Sie sich einmal vor, wir würden das jetzt rückwirkend beim Mindestlohn machen. Das würde schon Wirkung zeigen.

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der Maut! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, Maut auch!)

Das wäre doch eine gute Idee. Ich meine, wir sollten in jedem Fall dafür sorgen, dass wir durch diese „One in, one out“-Regelung nun in eine Phase kommen, wo bei jedem neuen Gesetzesvorhaben geprüft wird: Wie können wir ein anderes Gesetz so verändern, dass wir weniger Bürokratie haben?

Ich bin vor allen Dingen dem Staatsminister Helge Braun sehr dankbar, der sich um dieses Gesetz bemüht hat und für den das ein Herzensanliegen war. Ich denke, lieber Helge, das hast du gut gemacht. Dir gebührt unser Dank dafür.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Die „One in, one out“-Regelung wird in der nächsten Zeit Veränderungen schaffen. Auch dazu zitiere ich noch einmal den estnischen Präsidenten. Er sagte vor zwei Tagen: Wir haben mittlerweile gesetzlich geregelt, dass die Daten von jedem Bürger nur einmal vom Staat gespeichert werden dürfen und die Bürger dann nie mehr nach ihren persönlichen Daten gefragt werden dürfen. – Wenn der Staat die Daten also einmal hat, kann er sie anschließend nicht noch einmal nachfragen. Das könnten wir zum Beispiel als Regelung auch bei uns einführen.

Wir haben eine Reihe von Gesetzen gemacht, die schwierig sind. Seien wir uns bitte im Klaren darüber, dass die Regelungen, die wir beim Mindestlohn eingeführt haben, so nicht umsetzbar sind. Die Bundeskanzlerin hat am selben Abend gesagt, dass man an dieses Thema noch einmal herangehen wird. Das halte ich auch für richtig. Frau Nahles ist gefordert, eine Regelung zu finden, die weniger Bürokratie verursacht. Ich denke auch, dass wir das schaffen können. Niemand redet beim Mindestlohn über die 8,50 Euro. Die stellt auch keiner mehr infrage. Die Bürokratie aber, die damit verbunden ist, stellen wir infrage. Es stört mich auch ganz gewaltig, dass wir mittlerweile 1 600 bewaffnete Zöllner in die Bäckereien und Metzgereien schicken, um die Einhaltung des Mindestlohns zu kontrollieren.

(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Blödsinn, diese Aussage! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist ein Skandal, was Sie hier behaupten! Das ist unverschämt! Das sind Staatsbeamte!)

– Das gibt es! Ich habe es schon selbst erlebt. Herr Ernst, Sie können mit mir ja einmal zu einer Metzgerei gehen. – Wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass wir keine Regelungen treffen sollten, welche die Unternehmen gewaltig belasten.

Herr Kollege Fuchs, der Kollege Ernst möchte gerne, bevor er mit Ihnen eine Metzgerei aufsucht, mit einer Zwischenfrage die Bedingungen klären. Können wir das hier schnell erledigen?

Das soll er gerne haben.

Bitte schön.

Herr Fuchs, ich bin der Auffassung, dass Sie sich entschuldigen sollten. Sie haben eben Staatsbeamte der Bundesrepublik Deutschland als bewaffnete Söldnertruppe bezeichnet.

Das habe ich nicht gesagt, sondern ich habe „Zöllner“ gesagt!

Ich denke, das geht einen Schritt zu weit.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Es handelt sich hier um Gesetze, die wir hier im Hause beschlossen haben. Wir haben eine Steuerfahndung, die dafür zuständig ist, den Mindestlohn zu überwachen. Diese als bewaffnete Söldnertruppe zu bezeichnen, ist ein Schlag ins Gesicht der Leute, welche die Gesetze zu überwachen haben, die Sie mit Ihrer Truppe hier beschlossen haben. Das ist ein unglaublicher Vorgang!

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Zuruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU])

Herr Kollege Ernst, Sie sollten besser zuhören! Ich habe „bewaffnete Zöllner“ gesagt. Und das ist der Fall. Es sind bewaffnete Zöllner, die in die Metzgereien oder Bäckereien fahren, um die Mindestlohnregelungen zu überprüfen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gerade noch die Kurve gekriegt!)

Wenn Sie das sehen wollen, können Sie es selber überprüfen. Das ist auch keine Beleidigung der Zöllner. Sie machen ihren Job, und sie müssen diese Aufgaben erledigen.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Eben!)

Ich kritisiere aber, dass wir dafür über 80 Millionen Euro jährlich ausgeben. Die könnten wir besser bei der Polizei unterbringen, denn da gibt es mehr Probleme.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die schaffen wir gleich mit ab! Und die Verkehrsüberwachung!)

Meine Damen und Herren, bringen wir unseren Unternehmerinnen und Unternehmern genügend Vertrauen entgegen! Passen wir auf, dass wir das Misstrauen nicht so schüren, dass der eine oder andere sagt, er mache es nicht mehr, er habe keine Lust mehr dazu, und sich aus dem Bereich des Unternehmertums verabschiedet! Glauben wir an die Kraft und Kreativität von Markt und Wettbewerb, oder geben wir lieber der Kontrolle den Vorzug? Haben wir noch den Mut zu Innovation und Fortschritt, oder wollen wir den Istzustand zementieren?

Ich bin überzeugt: Unsere Unternehmerinnen und Unternehmer haben in der Geschichte der Bundesrepublik und der Geschichte der sozialen Marktwirtschaft unser Vertrauen immer gerechtfertigt, und sie haben unser Land entscheidend weitergebracht, vor allen Dingen der Mittelstand. Wir müssen ihnen auch in Zukunft die Spielräume geben, die notwendig sind, damit sie ihren Unternehmergeist entfalten können. Dies sollte uns bei allen in der Zukunft anstehenden Gesetzgebungsverfahren leiten, und dafür müssen wir sorgen, damit die Unternehmer auch ernsthaft entlastet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Das Wort erhält nun die Kollegin Kerstin Andreae für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5225667
Wahlperiode 18
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Bürokratieentlastungsgesetz
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