11.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 3

Helmut NowakCDU/CSU - Bürokratieentlastungsgesetz

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Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auf gigantische 200 Milliarden bis 300 Milliarden Euro jährlich schätzt der Nationale Normenkontrollrat die gesamte durch gesetzliche Auflagen verursachte Kostenbelastung der Unternehmen in Deutschland. Das wurde bereits angesprochen. Allein etwa 43 Milliarden Euro, so das Statistische Bundesamt, entfallen im Jahr 2015 auf Regelungen der Bundesebene. Über 17 000 Einzelregelungen gelten derzeit für Unternehmen und Bürger.

Keine Frage, ein hochentwickeltes staatliches Gemeinwesen wie die Bundesrepublik Deutschland benötigt eine gut ausgebaute Bürokratie. Dennoch müssen wir uns fragen, ob wir nicht hin und wieder zu viel des Guten tun. Unternehmer und Freiberufler sollen sich doch in erster Linie um ihre Unternehmung kümmern und nicht so sehr um die Befriedigung der Statistik.

Angesichts der Unzahl an Berichtspflichten und Meldungen, die bereits kleine Firmen heute zu bewerkstelligen haben, lässt sich durchaus nachvollziehen, dass viele Menschen in unserem Land schlicht keine Lust haben, sich selbstständig zu machen. Sicher sind wir uns darüber einig: Ein Land wie Deutschland benötigt eine leistungsfähige, schnell arbeitende, transparente und vor allem serviceorientierte Bürokratie. Alles andere wäre zweifelsohne ein Standortnachteil.

In einer Welt, die zunehmend vernetzter arbeitet, in der das Internet und digitale Datenverarbeitung Standortentscheidungen von Unternehmen – möglicherweise auch zu unseren Ungunsten – erleichtern, können wir es uns schlicht nicht leisten, Unternehmen und Unternehmer mit unnötigen bürokratischen Belastungen zu beschweren und damit auch ihre Kreativität einzuschränken. Wir müssen aufpassen, dass wir neben hohen Lohn- und Energiekosten nicht auch noch überbordende Bürokratiekosten produzieren.

Die Wichtigkeit des Themas Bürokratie und Bürokratiekosten dringt zunehmend auch international in den Vordergrund. Auf europäischer Ebene hat sich die neue Kommission unter Jean-Claude Juncker eine schlankere Verwaltung zum Ziel gemacht. Dass die bessere Rechtsetzung und der Bürokratieabbau direkt beim ersten Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermans, angesiedelt wurden, ist sicherlich positiv. Denn das bedeutet ja auch für uns gegebenenfalls weniger Bürokratie.

Juncker hat recht, wenn er sagt: Nicht jedes Problem in Europa ist ein Problem der EU. – Ölkännchen, Duschköpfe und Fahrtenschreiber sind Paradebeispiele europäischer Regelungsfantasie. In diesem Zusammenhang freut es mich außerordentlich, dass Edmund Stoiber seine höchst erfolgreiche Arbeit in Brüssel als Sonderberater für bessere Rechtsetzung fortsetzen kann.

(Zuruf des Abg. Herbert Behrens [DIE LINKE])

Immerhin hatten die Vorschläge seiner Kommission ein Entlastungsvolumen von 41 Milliarden Euro. 33 Milliarden Euro davon konnten zwischen 2006 und 2012 tatsächlich schon als Entlastung verzeichnet werden.

(Beifall bei der CDU/CSU)

In Deutschland muss es uns künftig gelingen, die Erfüllungsaufwandskosten für neue Gesetze noch frühzeitiger zu erkennen. Hilfreich wäre hierzu, wenn die belastbaren Zahlen zum Erfüllungsaufwand gesetzgeberischer Entscheidungen kurzfristig nach dem Kabinettsbeschluss über den Normenkontrollrat zu uns kämen, wenn wir als Abgeordnete auch Zahlen vom NKR bekämen, die bereits den zusätzlichen Erfüllungsaufwand enthalten, der durch unsere Gesetzentwürfe entsteht. Zur Politik gehört, dass man Dinge gestalten und verändern möchte. Zur Grundlage jeder politischen Entscheidung gehört aber meines Erachtens auch, dass man über die Kosten seiner eigenen Wünsche und Entscheidungen unterrichtet ist. Außerdem wäre eine spätere Überprüfung nach Beendigung des parlamentarischen Verfahrens auf Grundlage der korrekten Kostenbasis wesentlich genauer.

Wir wollen die Wirtschaft von unnötiger Bürokratie befreien. Das Bürokratieentlastungsgesetz der Bundesregierung setzt an der richtigen Stelle an. Ein Schwerpunkt dieses Gesetzes ist die Entlastung insbesondere kleiner und mittlerer Unternehmen sowie von Existenzgründern. So werden mehr kleine Firmen als bisher von Buchführungs- und Aufbewahrungsfristen befreit, was allein Einsparungen in Höhe von – dies wurde schon mehrfach gesagt – über 700 Millionen Euro bringen wird. Existenzgründer sollen von Mitteilungs- und Meldefristen entlastet werden. Hier ist eine effektive Entlastung notwendig. Ich freue mich besonders, dass für diesen Kreis spürbare Entlastungen vorgenommen werden.

Entlastungen bedeuten dabei nicht – das klang hier auch schon an –, dass Standards abgebaut oder notwendige Kontrollen verringert werden müssen. Überhaupt bedeutet Bürokratieabbau nicht, wie so häufig vorgehalten, ein Weniger an staatlichem Schutz für Arbeitnehmer, Umwelt oder im Rahmen von Sicherheitsvorschriften. Wenn wir hier über Bürokratieabbau sprechen, dann meinen wir ein Weniger an überflüssiger oder gänzlich überholter Bürokratie.

Übrigens: Wenn wir derzeit bei anderen Ländern in Europa den Abbau von bürokratischen Hemmnissen fordern, um die Wirtschaft anzukurbeln, dann bleibt anzumerken, dass es nicht unbedingt nachvollziehbar ist, dass wir im Koalitionsvertrag zwar ein quantitatives Kostenabbau- oder Kostenbegrenzungsziel auf europäischer Ebene für richtig halten, uns selbst aber national ein solches Ziel für diese Wahlperiode noch nicht gegeben haben.

(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wohl wahr!)

Seit 2006 gab es in Deutschland immerhin Bürokratieabbau in einer Größenordnung von 12 Milliarden Euro für die Wirtschaft. Lassen Sie uns diesen erfolgreichen Weg weitergehen.

Einen wichtigen Schritt in die richtige Richtung geht die Bundesregierung auch mit der Einführung der „One in, one out“-Regelung oder Bürokratiebremse. Kern dieses Ansatzes ist es, in gleichem Maße Belastungen abzubauen, wie durch neue Regelungsvorhaben zusätzlich entstehen. Das Ziel der Bundesregierung ist dabei, den Anstieg von Belastungen dauerhaft zu begrenzen, ohne politisch gewollte Maßnahmen zu behindern. Auch andere europäische Länder gehen diesen Weg. Italien, Frankreich, Spanien, Litauen und Portugal haben die „One in, one out“-Regelung schon übernommen. Großbritannien will sogar gleich zwei alte Gesetze abschaffen, wenn ein neues eingebracht wird. Manche reden sogar vom Wegfall von drei, allerdings mit tausend Ausnahmen.

Um es vorwegzusagen: Meines Erachtens ist „One in, one out“ bei genauerem Hinsehen kein Allheilmittel, trotzdem ein wichtiger Schritt in Richtung Vermeidung eines Bürokratieaufbaus. Gleichzeitig wollen wir aber auch versuchen, unnötige Bürokratie abzubauen. Einer aktuellen Studie vom Mai 2015 über „Bürokratie im deutschen Mittelstand“ zufolge ist nur 1 Prozent der 400 befragten Mittelständler der Meinung, dass sie 2014 einen Rückgang der Bürokratie feststellen konnten, während 70 Prozent eine Zunahme beklagen. 96 Prozent halten die Anzahl der Gesetze und Verordnungen insgesamt für zu hoch, 65 Prozent beklagen die schlechte Verständlichkeit von Gesetzen. 73 Prozent fordern eine Verbesserung der Zusammenarbeit von staatlichen Behörden und Unternehmen.

Da ist auch der neue Ansatz der Bundesregierung und des Koordinators für Bürokratieabbau, Staatsministers Helge Braun, zu begrüßen, nämlich direkt bei den Betroffenen, den Bürgerinnen und Bürgern und Firmen, zu fragen: Wo ist Bürokratie besonders unangenehm, nervig und überflüssig? Nicht zuletzt nach vielen Gesprächen mit Unternehmen und Verbänden weiß ich, dass für die meisten Betroffenen die im Bürokratieentlastungsgesetz aufgegriffenen Themen wichtige Probleme der Wirtschaft adressieren.

Gleichzeitig wird aber auch von fast allen Spitzenverbänden der deutschen Wirtschaft bemängelt, dass die hohe Dichte an bürokratischen Regelungen und der damit verbundene Kostenaufwand weitere Entlastungsschritte notwendig machen. Hierzu gehören beispielsweise die Rücknahme der sogenannten Vorfälligkeit und eine Verringerung der Anforderung an Aufbewahrungspflichten und viele weitere sinnvolle Vorschläge, die wir uns vielleicht in den nächsten Monaten noch einmal vornehmen sollten.

Ich persönlich mache kein Geheimnis daraus, dass ich mir noch weiter gehende Vereinfachungen wünsche. Ich werbe daher bei jeder Gelegenheit – wirklich bei jeder Gelegenheit – nachdrücklich um die Anhebung der Pauschbeträge auf 1 000 Euro bei der Abschreibung für geringwertige Wirtschaftsgüter bei gleichzeitiger vollständiger Abschaffung der Poolabschreibung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Inflationsbereinigt müssten es sogar 1 200 Euro sein. Das wäre ein deutliches Signal an alle Unternehmen in Deutschland, zumal die Anpassung des Pauschbetrages schon seit über einem halben Jahrhundert aussteht. Wenn Sie heute zum Beispiel ein Smartphone erwerben, müssen Sie dieses über fünf Jahre und damit über eine deutlich längere Spanne abschreiben, als Sie das Handy überhaupt gebraucht haben. Das entspricht weiß Gott nicht der Lebenswirklichkeit.

Die Abschaffung der Poolabschreibung würde auch die komplette Führung von Sachanlagekonten und Listen überflüssig machen, also eine echte Bürokratieentlastung für alle Unternehmen. Ich bin sicher, dass dies mein Konterpart aufseiten unseres Koalitionspartners genauso sieht. An dieser Stelle noch einmal herzlichen Dank für die konstruktive Zusammenarbeit, liebe Frau Kollegin Wicklein, die ich mit Ihnen gerne auch künftig weiterführen möchte.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, zusammenfassend stelle ich fest: Der von der Bundesregierung vorgelegte Entwurf eines Bürokratieabbaugesetzes ist für die Betroffenen gut. Er führt in die richtige Richtung und ist daher zu begrüßen. Wir sollten ihn sogar gemeinsam noch ein Stück besser machen

(Kerstin Andreae [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)

und die Erhöhung des Pauschbetrages für GWGs auf 1 000 Euro unter Wegfall der Poolabschreibung in der parlamentarischen Befassung noch mit aufnehmen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das wäre eine echte Win-win-Situation: Bürokratiekostenentlastung nach Schätzung des DIHK von circa 385 Millionen Euro – diese Zahl wurde hier schon genannt –, die dann für Investitionen frei würden, und zwar ohne Verringerung der Steuereinnahmen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der Kollege Matthias Heider.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5225784
Wahlperiode 18
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Bürokratieentlastungsgesetz
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