Sevim DağdelenDIE LINKE - Arbeitsmarktpolitik für Asylsuchende
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Frau Kollegin, Sie meinten, Sie würden uns überholen. Ich meine, das ist tatsächlich eine Ansage, auf die ich schon seit zehn Jahren, seitdem ich Mitglied des Bundestages bin, warte. Insofern möchte ich kurz anmerken: Zu Beginn Ihrer Rede meinten Sie, die Grünen würden die Welt in Gut und Böse einteilen. Das Problem ist doch, dass es gerade Ihre Schwesterpartei und Ihr Koalitionspartner, die CSU, ist, die die Welt in Gut und Böse einteilt, gerade in Flüchtlingsfragen, und mit dazu beiträgt, dass es in diesem Land teilweise eine Stimmung gibt, die wirklich flüchtlingsfeindlich und damit auch menschenfeindlich ist.
(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU – Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Was? Das ist doch unverschämt! Nehmen Sie das zurück! – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Eine Unverschämtheit!)
Ich möchte Ihren Partner Horst Seehofer zitieren, der – neben NPD und AfD – den Spruch von sich gegeben hat, dass Deutschland nicht das Sozialamt der Welt ist. Ich finde wirklich, das ist nicht nur schändlich, sondern auch wahrheitswidrig, meine Damen und Herren. Laut UNHCR gibt es in Deutschland gerade einmal 5 Flüchtlinge pro 1 000 Einwohner. Ich wiederhole: 5 Flüchtlinge auf 1 000 Einwohnerinnen und Einwohner hier in Deutschland! In Malta sind es 18, in Slowenien 24, im Libanon 260. Aber Sie erzeugen hier durch solche Parolen Stimmung. Das ist schändlich. Sie sollten endlich damit aufhören! Hören Sie auf, Pegida und AfD hinterherzurennen!
(Beifall bei der LINKEN – Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Wer erzeugt denn hier gerade Stimmung? Ich glaube, da sind wir ja wohl die falsche Adresse! – Michael Grosse- Brömer [CDU/CSU]: Richten Sie sich da mal lieber an Ihre eigene Fraktion! Eine Unverschämtheit ist das!)
Meine Kollegin ist, was den grünen Antrag betrifft, schon auf einige Kritikpunkte im Hinblick auf die verbliebenen Beschränkungen beim Zugang zum Arbeitsmarkt eingegangen. Ich finde, dass der grüne Antrag zwar in die richtige Richtung geht, hier aber etwas zu kurz springt.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach ja? Wo denn?)
– Ja. – Für die Linke gilt das Prinzip der gleichen Rechte. Wir machen keine Ausnahmen bei Arbeit und Beschäftigung. Wir unterstützen allerdings die Forderungen des grünen Antrags.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für Sie springt ja jeder zu kurz! Sie können ja auch alles besser!)
– Ja, natürlich. Wir machen es auch besser, Herr Kollege; lesen Sie sich unsere Anträge durch.
(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn?)
Wir stimmen auch nicht im Bundesrat einer Verschärfung des Asylrechts zu und kommen dann mit solchen Anträgen im Bundestag.
(Beifall bei der LINKEN)
Trotzdem unterstützen wir Ihre Forderungen. Aber Sie müssen eben auch ergänzt werden – Kritik sollte hier erlaubt sein –, damit das Recht auf Arbeit eben nicht von migrationspolitischen Erwägungen abhängig gemacht wird.
Wir fordern ein gleiches Recht auf Arbeit von Beginn an. Das beinhaltet eben auch die Abschaffung der sogenannten Vorrangprüfung; meine Kollegin hat es gesagt.
Daneben fordert die Linke die Abschaffung der Beschäftigungsverbote, die die Ausländerbehörden gegenüber Personen mit einer Duldung erteilen können.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Unterirdisch!)
Dabei unterstellen die Behörden, dass deren Abschiebung aus Gründen scheitere, die sie selbst zu vertreten hätten, zum Beispiel, weil sie die für die Abschiebung notwendigen Papiere nicht besorgen würden. Oder ihnen wird – zumeist eben auch völlig haltlos – unterstellt, dass sie nur wegen des Sozialhilfebezugs nach Deutschland eingereist seien.
Ich frage mich wirklich: Was ist das für ein Wahnsinn? Erst durch das Arbeitsverbot werden die Betroffenen nämlich zwangsweise zu Empfängerinnen und Empfängern von staatlichen Transferleistungen.
(Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Sie könnten nur ihre Pässe zeigen!)
Die Gemeinnützige Gesellschaft zur Unterstützung Asylsuchender e. V. führt hier ein sehr interessantes Beispiel aus Ostwestfalen an – gerade die CDU/CSU sollte hier einmal gut zuhören –: Frau K. ist türkische Staatsangehörige. Sie hat eine Duldung und lebt seit zwölf Jahren in Deutschland. In ihrer Duldung steht: „Beschäftigung nur mit Zustimmung der Ausländerbehörde … gestattet“. Sie hat eine Stelle in der Gastronomie gefunden und beantragt die Arbeitserlaubnis. Doch diese wird ihr verwehrt. Sie sei ja ausreisepflichtig, und eine Arbeitserlaubnis würde dem zuwiderlaufen und zu einer Aufenthaltsverfestigung führen. – So wird sie sich eben trotzdem noch in Deutschland aufhalten, aber arbeiten darf sie nicht.
Das bringt auf den Punkt, wie absurd das im Ausländerrecht geregelt ist. Das muss sich ändern. Die Vorrangprüfung und die Beschäftigungsverbote gehören einfach abgeschafft. Ich bin froh, dass Sie gesagt haben: Der Zug hat sich in Bewegung gesetzt. Aber noch mehr würde ich mich freuen, wenn der Zug endlich einmal auf die Zielgerade einbiegen und sich nicht nur im Schneckentempo in Bewegung setzen würde.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir wollen auch die Wohnortverpflichtungen in Flüchtlingsunterkünften und die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit durch die Residenzpflicht wirklich umfassend aufheben. Ich glaube nämlich, das ist eines der Integrationshemmnisse für viele Flüchtlinge in Deutschland.
Ich möchte auch noch darauf aufmerksam machen, dass wir als Linke es ablehnen, Menschen nur nach ihren Qualifikationen zu bewerten und gerade im Rahmen der Flüchtlings- bzw. Migrationspolitik zu sagen: Sie sind für die deutsche Wirtschaft nützlich; deshalb ist es in Ordnung und muss etwas in der Gesetzgebung geschehen. – Wir sind vielmehr der Auffassung, dass das nur den Nützlichkeitsrassismus fördert und Wasser auf die Mühlen von Pegida ist, in deren Zehnpunkteprogramm auch steht: Fachkräfte sind willkommen, aber der Rest soll draußen bleiben.
Das ist eine erschreckende Logik, und ich fordere dazu auf, einfach einmal darüber nachzudenken, welche Auswirkungen man mit so einer Logik hier in Deutschland vielleicht mitbefördert.
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Das ist unglaublich!)
Zuletzt möchte ich auf eine Initiative zum Zeichen gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit und für einen grundsätzlichen Wandel in der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und der Europäischen Union aufmerksam machen. Wir freuen uns, dass es am 20. Juni 2015 eine entsprechende Veranstaltung geben wird, und ich hoffe, an diesem Tag viele Menschen um 13 Uhr am Oranienplatz zu einer Demonstration bis zum Brandenburger Tor anzutreffen – es wird viele Redebeiträge von Flüchtlingsverbänden und Musik geben –, um ein starkes Zeichen zu setzen. Ich hoffe, dass sich auch die CDU/CSU das anschauen kann. Sie, Frau Kollegin, sind herzlich willkommen. Dann können Sie sich vielleicht ein anderes Bild machen.
(Beifall bei der LINKEN – Jutta Eckenbach [CDU/CSU]: Das ist unverschämt!)
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten Kerstin Griese, SPD-Fraktion, das Wort.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt mal ein bisschen Sachlichkeit in die Debatte!)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 109 |
Agenda Item | Arbeitsmarktpolitik für Asylsuchende |