Kerstin GrieseSPD - Arbeitsmarktpolitik für Asylsuchende
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau Kollegin Dagdelen, wirklich ärgerlich und auch schädlich für diese Debatte ist,
(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: Ja, schädlich!)
dass Sie so tun, als sei dieses ganze Land rassistisch und flüchtlingsfeindlich. Das stimmt nicht.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir haben so viel ehrenamtliches Engagement in den Städten, vor Ort, quer durch alle Vereine, Parteien, politische Richtungen und Kirchengemeinden. Es gibt so viel Engagement für Flüchtlinge wie noch nie. Wir haben eine komplett andere Situation als vor 20 Jahren, und ich bin sehr dankbar dafür, dass das so ist.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es hilft der Sache nicht, das Gegenteil zu behaupten. Natürlich ist noch nicht alles gut. Vieles kann noch besser werden. Aber wir haben in den letzten Monaten in diesem Bereich so viel verbessert wie noch nie. Wir haben das in dieser Koalition geschafft. Manchmal hat es mich auch gewundert, dass wir es zusammen geschafft haben.
(Heiterkeit bei der SPD)
Wir haben die Arbeitserlaubnis erleichtert, die Residenzpflicht abgeschafft und das Asylbewerberleistungsgesetz verbessert. Wir haben wirklich viel verändert, und wir sind für alle Anregungen dankbar, was man noch mehr tun kann. Für die Flüchtlinge muss noch mehr getan werden – dazu kommen wir noch –, aber so zu tun, als gäbe es nur Rückschritte, ist komplett falsch und hilft der Sache und vor allen Dingen den Flüchtlingen überhaupt nicht.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, in diesem Jahr werden 400 000 Menschen aus schwerster Not zu uns kommen und bei uns Asyl beantragen. Unser Land will und soll eine Willkommenskultur zeigen. Das kostet Geld. Deshalb ist es gut, dass es heute Abend im Kanzleramt ein Gespräch darüber gibt, wie die Leistungen für Flüchtlinge, für Asylbewerber finanziert werden können.
Der Bund hat bereits jeweils 500 Millionen Euro zusätzlich für dieses und noch einmal für nächstes Jahr zur Verfügung gestellt. Auch das ist nicht „nichts“, sondern es ist eine ganze Menge. Aber ich sage auch ganz klar: Es reicht noch nicht aus. Die Situation in den Kommunen zeigt, dass der Bund noch weiter und noch mehr unterstützen muss.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
In der Frage, was eine gelingende Integration ausmacht – darum geht es nämlich –, geht es um drei Bereiche: Gesundheit – dieser Bereich wäre eine eigene Debatte wert –, Sprache und Integration durch Arbeit. Wir konzentrieren uns gerade bewusst auf die Themenfelder Sprache und Arbeit, die auch zusammengehören. Denn gerade nach einer Flucht mit traumatischen Erlebnissen ist es zur Stabilisierung sehr wichtig, hier einen Arbeitsplatz zu finden, soziale Kontakte zu haben, Wertschätzung zu erleben. Oft hilft das dabei, schlimme Erfahrungen zu verarbeiten.
Die Grünen fokussieren sich in ihrem Antrag und in der Debatte auf 1 000 neue Stellen bei der Bundesagentur für Arbeit. Das klingt erst einmal gut. Ein Sofortprogramm klingt nach Aktivität. Manchmal nutzt das mehr denjenigen, die laut danach rufen, als denen, für die es sein soll. Ich glaube, wir müssen erst einmal die vorhandenen Aktivitäten besser vernetzen und unterstützen, und wir brauchen eindeutig mehr Mittel für den Spracherwerb.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dass wir einen Fachkräftemangel haben, ist schon angesprochen worden. Wir brauchen Menschen, die bei uns leben und arbeiten wollen. Wir brauchen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten, und wir brauchen sie mit ihren Familien. Wir wollen sie in dem Willen und Wunsch, rasch Arbeit zu finden, unterstützen, damit sie nicht auf staatliche Leistungen angewiesen sind.
Es ist durchaus ein Fortschritt in der Debatte, dass neben den humanitären Argumenten, die mir sehr sympathisch sind und die ich immer in den Vordergrund stelle, jetzt auch ökonomische hinzukommen und die großen Unternehmen, das Handwerk, der Mittelstand und die Arbeitgeberverbände sich für Flüchtlinge engagieren. Die Wirtschaftswoche hat neulich sogar getitelt, „Manager wollen sich um die Flüchtlingspolitik kümmern“, und ein großer Automobilkonzern hat einer Landeshauptstadt Geld für die Einrichtung eines „Welcome- Fonds“ gespendet und Flüchtlingsprojekte unterstützt.
Diese Aktivitäten helfen, die Stimmung in unserem Land und die Situation der Flüchtlinge zu verbessern. Ich unterstütze das ausdrücklich.
(Beifall bei der SPD)
Ich bin froh, dass jetzt auch die Arbeitgeberverbände eine rasche Integration von Flüchtlingen in den Arbeitsmarkt fordern und dass sie fordern, dass junge Menschen, die hier eine Ausbildung machen, ein Bleiberecht bekommen, damit sicher ist, dass sie sie auch abschließen können. Denn das alles zeigt, dass Flüchtlinge in unserem Land als Bereicherung und Chance erfahren werden. Das ist der Wandel, in dem wir uns befinden, und das ist eine gute und richtige Entwicklung, die wir unterstützen wollen.
(Beifall bei der SPD)
Wir haben schon einiges zur Unterstützung getan. Wir haben die Arbeitserlaubnis nach drei Monaten statt wie früher nach einem Jahr ermöglicht. Wir haben eingeführt, dass die Vorrangprüfung nach kurzer Zeit wegfällt. Die Residenzpflicht haben wir übrigens völlig abgeschafft, Frau Kollegin. Da waren Sie noch im falschen Film; das war veraltet.
(Widerspruch der Abg. Sevim Dagdelen [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Sie ist in vielen Dingen im falschen Film!)
Wir haben im Bereich der Sprachkurse dafür gesorgt, dass die Mittel für die Integrationskurse um 25 Millionen Euro auf 269 Millionen Euro erhöht werden.
Das sind wichtige Schritte, aber es muss noch mehr folgen. Es gibt die Sprachkurse, die berufsbezogene Deutschkenntnisse vermitteln, und wir unterstützen ausdrücklich die Forderung von Ministerin Andrea Nahles, dass wir hier mehr Geld brauchen. Wir brauchen ein Anschlussprogramm, ein eigenständiges Bundesprogramm, mit dem die Sprachförderung zur Integration in den Arbeitsmarkt weitergeführt und verbessert wird.
Wir brauchen aber auch eine bessere Vernetzung. Denn oft scheitert es an den Schnittstellen. Vielen fehlt der grundständige Sprachkurs; sie brauchen gerade diesen zuerst. Wir müssen zudem die richtig guten Förderprojekte zur Vermittlung in Arbeit, die es bereits gibt, weiterführen und unterstützen.
In meinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen hat die Bundesagentur für Arbeit 32 zusätzliche Vermittlungsfachkräfte eingestellt, die die Potenziale der Flüchtlinge erkennen und sie auf den Arbeitsmarkt vorbereiten sollen. Das ist ein richtig guter praktischer Schritt.
(Beifall bei der SPD)
Sie arbeiten zusammen mit den Bleiberechtsnetzwerken, die eine sehr erfolgreiche Quote haben. Dadurch können tatsächlich viele Menschen vermittelt werden. Meine Kollegin Daniela Kolbe hat schon das Modellprojekt „Early Intervention“ vorgestellt, das ein Beispiel für gelingende Integration durch Spracherwerb, durch Anerkennung der Abschlüsse und durch Vermittlung in Arbeit ist. Wir haben das Förderprogramm „Integration durch Qualifizierung“, das schon seit 2005 daran arbeitet, Menschen mit Migrationshintergrund in Arbeit zu bringen. Auch das ist ein wichtiger Schritt.
Ich führe das auf, um deutlich zu machen: Das müssen wir verstetigen, das müssen wir fortführen, das müssen wir auch besser koordinieren. Ich wünsche mir, dass heute Abend im Kanzleramt auch darüber gesprochen wird. Denn wichtig ist, dass eine Jobvermittlung in Zukunft nicht an der Dublin-Regelung scheitern darf. Ein Ausbildungsplatz darf nicht am Aufenthaltsstatus scheitern. Und eine Arbeitsmöglichkeit darf nicht an fehlenden Sprachkenntnissen scheitern. Da wollen und müssen wir noch mehr tun.
(Beifall bei der SPD)
Ein letzter Punkt, der auch dazu gehört und mir am Herzen liegt, ist die Betreuung, Unterbringung und Versorgung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge. Das sind oft Jugendliche, das sind oft junge Männer, die dringend mehr Unterstützung brauchen. Ich bin sehr froh, dass Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig das Programm „Willkommen bei Freunden“ aufgelegt hat, um sich dieser Gruppe, um die man sich bisher viel zu wenig gekümmert hat, anzunehmen und ihr eine Perspektive zu geben, sie zu begleiten und möglichst in eine Ausbildung zu vermitteln.
(Beifall bei der SPD)
Es liegen viele Chancen darin, dass Menschen zu uns kommen. Wir arbeiten daran, ihre Situation zu verbessern. Ich appelliere noch einmal eindeutig an die Runde heute Abend im Kanzleramt: Wir brauchen dafür mehr Geld: mehr Geld für Sprachkurse, für die Unterstützung der Kommunen, für die Fortführung der erfolgreichen Projekte zur Arbeitsvermittlung. Wir brauchen eine gemeinsame Kraftanstrengung von Bund, Ländern, Kommunen und Zivilgesellschaft, damit wir ein Land sind, das Menschen willkommen heißt und ihnen eine Chance gibt – eine Chance auf gute Arbeit und gutes Leben.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Andrea Lindholz, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 109 |
Agenda Item | Arbeitsmarktpolitik für Asylsuchende |