11.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 109 / Zusatzpunkt 4

Volker BeckDIE GRÜNEN - Aktuelle Stunde zu dem Thema "Ehe für alle"

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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Es geht in dieser Debatte nicht um juristisches Klein-Klein, sondern um eine Grundsatzfrage. Es geht um gesellschaftlichen Respekt gegenüber einer Minderheit. „ Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren.“ – Das ist Artikel 1 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Wer gleiche Rechte verweigert, verweigert auch gleiche Würde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

So nehmen die Lesben und Schwulen in Deutschland diese Debatte wahr. Sie nehmen diesen Menschen mit Ihrem harten Festhalten an einer Minderheitsmeinung und der Geiselnahme des gesamten deutschen Parlamentes für Ihre Position die Würde, die Anerkennung und den Respekt, den sie verdient haben und den die Verfassung auch für sie so will.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)

Was führen Sie dafür ins Feld? Die Kanzlerin sagt: Ich tue mich mit der völligen Gleichstellung schwer. – Im Präsidium der CDU soll sie es ein bisschen näher ausgeführt und gesagt haben, es gebe einen Unterschied zwischen der Ehe, die zwischen Mann und Frau geschlossen wird, und der Lebenspartnerschaft von zwei Menschen gleichen Geschlechts.

(Max Straubinger [CDU/CSU]: Da hat sie recht! Da gibt es auch einen Unterschied!)

– Ja, da hat sie recht! – Und wie ist das mit den Unterschieden im demokratischen Rechtsstaat? Lesen Sie einmal Artikel 3 Grundgesetz. Unser Grundgesetz weiß um die Verschiedenheit der Menschen. Es zählt sogar ganze Litaneien von Kategorien auf, nach denen man die Menschen in Gruppen unterscheiden kann, und sagt dann: Diese Unterscheidungen dürfen keine Abstriche bei der Gleichheit vor dem Gesetz rechtfertigen.

Im demokratischen Rechtsstaat ist es so, dass Sie Ungleiches nur dann ungleich behandeln dürfen, wenn Sie dafür ein legitimes Ziel haben und wenn diese Ungleichbehandlung erforderlich und angemessen bezogen auf das Ziel ist. Dies sagt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte im Rahmen ständiger Rechtsprechung. Das sagt auch das Bundesverfassungsgericht so.

Es ist eben nicht so, wie Ihre Leute in den Talkshows immer erzählen, dass man Gleiches gleich und Ungleiches ungleich behandeln müsse. Das Gegenteil ist der Fall. Gleiches muss man nicht gleich behandeln. Das ist schon gleich.

(Beifall der Abg. Ulli Nissen [SPD])

Ungleiches muss man gleich behandeln, wenn man keinen guten Grund hat, unterschiedliche Rechte an die Differenz zu knüpfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Das ist Demokratie, das ist Rechtsstaatlichkeit, und das ist eine Politik des Respekts. Die geht Ihnen leider vollkommen ab.

Dann wird mit der Tradition und der Geschichte oder gar der Religion argumentiert; mein Fraktionsvorsitzender hat schon das richtige Zitat gebracht. Was gibt die Tradition als Rechtsquelle her bei den Menschenrechten von Lesben und Schwulen? Bis 1969 wurde Homosexualität unter erwachsenen Männern mit dem Strafrecht verfolgt. 50 000 Männer haben ihre Existenz in dieser Republik bis 1969 verloren aufgrund von strafrechtlicher Verfolgung nach § 175 Strafgesetzbuch. Ist es dann in einer solchen Rechtssituation von Relevanz, was 1949 jemand zu dieser Frage im Zivilrecht gedacht hat? Das war eine Frage, die gar nicht denkbar war, nicht diskutabel. Deshalb: Das Eherecht verändert sich, wie wir in die Gesellschaft und zu den Menschen schauen.

Das Verfassungsgericht hat es doch schon längst gemacht. Aber immer gegen Sie. In den 90er-Jahren hat das Verfassungsgericht in der Entscheidung zum Kindschaftsrecht gesagt: Auch Kinder in nichtehelichen Lebensgemeinschaften bilden mit ihren Eltern eine Familie, und zwar eine Familie nach Artikel 6 des Grundgesetzes. 2013 hat das Bundesverfassungsgericht das Gleiche im Urteil zur Sukzessivadoption über die lebenspartnerschaftliche Familie gesagt. Wenn sich die Familie in Artikel 6 GG wandeln kann, dann kann sich die Ehe in Artikel 6 GG genauso wandeln.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Sie müssen mir schon einmal erklären, warum ausgerechnet in der deutschen Verfassung, die eigentlich als Negation auf die Barbarei des Nationalsozialismus geschrieben wurde, stehen soll, dass man eine Minderheit nachhaltig diskriminieren soll? Wenn das in anderen demokratischen Verfassungen – in Südafrika, Argentinien, Uruguay, in den USA und den Niederlanden, in Spanien, Portugal, Irland, Dänemark – überall anders ist, müssen Sie mir das einmal erklären. Der Wortlaut gibt gar nichts her. Sie behaupten aber, diese Art von Menschenverachtung gegenüber der homosexuellen Minderheit sei in unsere Verfassung eingeschrieben. Das kann historisch nicht der Fall sein. Das ist vom Wortlaut her nicht der Fall, und das gibt auch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes nicht her. Ganz im Gegenteil: Das Verfassungsgericht hat jeden Schritt zur Gleichberechtigung seit 2005 selber auf den Weg bringen müssen.

Gehen Sie voran. Beenden Sie die Geiselhaft der Mehrheit des Deutschen Bundestages und des Bundesrates. Lassen Sie den Respekt, den unsere Bevölkerung gegenüber der lesbischen und schwulen Minderheit hat, endlich in einem Gesetzesbeschluss zum Ausdruck kommen. Geben Sie die Ehe frei.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)

Vielen Dank, Volker Beck. – Einen schönen Tag von meiner Seite, Ihnen und den Gästen auf der Tribüne!

Nächster Redner, dem ich zu seiner Eheschließung gratulieren möchte, ist Dr. Stefan Kaufmann für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5228381
Wahlperiode 18
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zu dem Thema "Ehe für alle"
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