11.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 6

Birgit WöllertDIE LINKE - Gesundheitsversorgung

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Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer auf der Tribüne! Sie haben drei Schwerpunkte genannt, Herr Minister. Lassen Sie uns zunächst einmal fragen, wie es tatsächlich mit der nachhaltigen Versorgung in allen Teilen unseres Landes aussieht und was am Ende bei Ihrem Gesetz herauskommt. Es geht nämlich nicht um ein Weiter-so, sondern darum, die Gesundheitsversorgung überall zu sichern. Sie ist aber nicht mehr überall gesichert.

Lassen Sie mich kurz etwas zu Ihrem Ziel und Ihrer Problemstellung sagen. Sie beziehen sich darauf, dass wir mit dem GKV-Finanzstruktur- und Qualitäts-Weiterentwicklungsgesetz, also dem Gesetz zur gesetzlichen Krankenversicherung, im Januar 2014 nachhaltige Strukturen geschaffen haben, die eine bessere Versorgung ermöglichen. Ich frage mich: Ist das Ignoranz oder Wunschdenken? Die Spitzenverbände der Krankenkassen sagen für 2016 eine Steigerung der Beitragssätze um 0,1 oder 0,2 Prozentpunkte voraus, die diesmal nur von den Versicherten zu tragen ist. 0,1 Prozentpunkte sind 1,2 Milliarden Euro. Das können Sie ausrechnen. Bis 2019 werden gar Steigerungen um 0,5 bis 1 Prozentpunkte prognostiziert. Vielen Dank auch, dass jetzt die Versicherten ihre Strukturen selbst finanzieren müssen, und das auch noch mit zweifelhaftem Erfolg.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Zweiter Punkt: Terminservicestellen. Diese hat die Linke seit 2010 gefordert. Das ist völlig okay. Auch ich finde, dass die Sachsen flink waren. Sie haben das seit Ende vergangenen Jahres. Das war in der Presse und heute früh im Morgenmagazin Thema. Im Gegensatz zu dem Kollegen von der FDP, der gestern bei den Fachärzten meinte, dass das gar nicht nötig sei und – darauf haben sie ja angespielt – die freie Arztwahl einschränke, haben die Patientinnen und Patienten bewiesen, dass sie viel Grips haben. Sie haben nämlich vorher beim Arzt ihres Wunsches nachgefragt und sind nicht gleich zur Terminservicestelle gelaufen. Die Sachsen waren auch noch so klug, das an die Überweisung eines Hausarztes oder einer Hausärztin zu binden, der die Dringlichkeit – sie wird in drei Kategorien eingeteilt – zu entnehmen ist. Danach bemisst sich die Schnelligkeit der Vermittlung. Das ist eine durchaus vernünftige Regelung. Das muss ich an dieser Stelle sagen.

Wo ich ins Grübeln komme, ist, dass das bei den Fachärzten auf einmal gemeinsam mit der AOK geht; denn es gibt eine zusätzliche Honorierung. Das lässt mich nachdenken.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Jens Spahn [CDU/CSU]: Nennt sich Kapitalismus!)

Drittens: Abbau von Überversorgung. Man kann es ja wirklich fast schon nicht mehr hören. Wer legt eigentlich fest, wann über- und unterversorgt ist? Wir brauchen uns doch gar nicht über 110 oder 140 Prozent zu unterhalten. Es muss endlich eine vernünftige Grundlage für eine ordentliche Bedarfsplanung hergestellt werden.

(Beifall bei der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Lesen!)

Dazu gehört die Infrastruktur. Neben Alter und Geschlecht sind ferner zu berücksichtigen die Sozialstruktur der Bevölkerung und die Morbidität. Ich nenne Ihnen ein Beispiel aus Potsdam. Potsdam hat eine Überversorgung an Kinderärztinnen und Kinderärzten; sie haben einen Versorgungsgrad von 163,3 Prozent. Trotzdem wird den jungen Frauen bei der Schwangerenberatung gesagt: Besorgen Sie sich im Umland von Potsdam eine Kinderärztin oder einen Kinderarzt, bevor Ihr Kind geboren wird. Sie bekommen sonst keinen rechtzeitig für die Früherkennungsuntersuchung. – Wie geht denn das zusammen? Gar nicht. Dazu steht in Ihrem Gesetzentwurf aber nicht viel.

Nächster Punkt: Zweitmeinungsverfahren. Das ist erstens jetzt schon möglich, und zweitens reduzieren Sie das im Gesetz auf bestimmte notwendige, mengenanfällige Operationen. Das heißt, Sie schränken es ein. Wir wollen aber grundsätzlich ein Zweitmeinungsverfahren bei schweren Erkrankungen. Zum Beispiel muss eine Patientin oder ein Patient auch bei einer Chemotherapie oder bei radiologischen Therapien eine Zweitmeinung einholen können. Warum denn eigentlich hier nicht? Ein Zweitmeinungsverfahren nur zur Kostenreduzierung ist an dieser Stelle falsch.

(Beifall bei der LINKEN)

Das Nächste sind die spezialisierten Behandlungszentren für Menschen mit Behinderung. Da sagen wir: Ja, bei besonderen Bedarfen. Aber wir werden genau schauen, ob Sie gleichzeitig vorantreiben, was schon längst überfällig ist, nämlich den barrierefreien Ausbau der gesundheitlichen Versorgung, damit die Zugänge für alle Menschen gesichert sind. Auf deren Kosten darf das nicht gehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Frau Kollegin, Sie denken an die Redezeit?

Ich komme sofort zum Schluss. – Warum enthalten wir uns nun doch bei Ihrem Gesetzentwurf?

(Zurufe von der CDU/CSU: Aha!)

Ein paar kleine Pünktchen sind enthalten, bei denen ich noch Hoffnung habe – ich bin mir da aber nicht sicher –, zum Beispiel die Strukturfonds und der Innovationsfonds. Wir werden sehen – wir werden das sehr kritisch begleiten –, ob das wirklich in die Versorgungsforschung und in neue Versorgungsformen fließt. Denn Sie haben den Kreis derjenigen, wer sich alles aus dieser Kasse bedienen können soll, ja schon wieder erweitert.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Danke, Frau Kollegin Wöllert. – Nächster Redner für die SPD ist Dr. Karl Lauterbach.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Rudolf Henke [CDU/CSU])


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5228637
Wahlperiode 18
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Gesundheitsversorgung
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