11.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 6

Karl LauterbachSPD - Gesundheitsversorgung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Zunächst einmal zögere ich ein bisschen mit meiner Kritik, Frau Wöllert. Ich habe nämlich mit Genugtuung gehört – das findet meine Zustimmung –, dass Sie sich enthalten wollen. Das ist ein wichtiger Schritt nach vorne, dafür danke ich Ihnen.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er ist auch nicht ganz verständlich, der Schritt!)

– Nein, die Enthaltung war sachlich begründet, und das muss man anerkennen. – Aber ich möchte auf die von Ihnen beklagte fehlende Parität eingehen. Dass wir mit diesem Gesetz den Zusatzbeitrag in der Größenordnung von einem Zehntel Beitragssatzpunkt im nächsten Jahr erhöhen müssen, bedeutet für den klassischen Rentner im Durchschnitt 1 Euro pro Monat. Wäre der Zusatzbeitrag paritätisch gezahlt worden, hätte das eine Nettodifferenz von 50 Cent ausgemacht.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat uns Daniel Bahr auch immer vorgerechnet! Das war aber nicht gut! – Gegenruf des Abg. Jens Spahn [CDU/CSU]: Schön, dass Sie sich daran noch erinnern!)

So sehr ich es für richtig halte, zur Parität zurückzukehren – das ist auch langfristig ein sozialdemokratisches Ziel –, so darf man doch nicht den Eindruck erwecken, als ob es hier zu hohen Zusatzbeiträgen käme. Wir verbessern die Versorgung in vielen Bereichen. Wir vereinfachen viele bürokratische Verfahren. Wir bilden mehr Hausärzte aus. Wir erleichtern die Einrichtung von Medizinischen Versorgungszentren. Wir regeln den Anspruch auf ein Zweitmeinungsverfahren. Wir verkürzen die Wartefristen für einen Termin beim Facharzt. Im Rahmen des Entlassmanagements gibt es eine neue Leistung für diejenigen, die aus dem Krankenhaus entlassen werden und keine sofortige Anschlussbehandlung haben. All diese neuen Leistungen bauen wir auf, und zwar für 1 Euro für den Durchschnittsrentner im Monat. Ich glaube, diese Investitionen sind das wert. Wir stehen hier für eine Verbesserung der Versorgung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass das Gesetz seinen Namen verdient. Es ist tatsächlich ein Gesetz der Versorgungsstärkung. Dabei wird an vielen Stellschrauben gleichzeitig gedreht, und zwar auf eine unbürokratische Art, die gleichzeitig sehr wirksam ist. Das Gesetz halte ich auch handwerklich für gelungen. Ich will dafür ein paar Beispiele bringen.

Wir haben die Bedarfsplanung – wo ist ein Bedarf gedeckt, und wo ist er nicht gedeckt? – angepasst. Wir machen die Bereiche kleinräumiger. Was nutzt – sage ich einmal – ein zu 100 Prozent gedeckter Bedarf, wenn der Bezirk so groß ist, dass es Unter- und Überversorgung nebeneinander gibt, wenn ein Stadtteil total überversorgt und ein anderer Stadtteil unterversorgt ist? Das ist das bisherige Problem.

Betrachten wir einmal ganz Deutschland als Versorgungsbereich: Dabei würde festgestellt, dass die Versorgung bei 100 Prozent läge und es kein Problem gäbe. Die Tatsache, dass wir die Versorgungsbereiche kleiner machen, wird zu einer Veränderung bei den Arztsitzen führen. Das ist im Prinzip das, was wir hier wollen. Diese Art von Bedarfsplanung ist aus meiner Sicht ein wesentlicher Schritt nach vorne, den wir immer gefordert haben. Wir machen die Bezirke, in denen der Versorgungsbedarf gemessen wird, kleiner.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich glaube, dass die Vermittlung eines Arzttermins innerhalb der Vier-Wochen-Frist durch die Terminservicestellen ein wichtiger Schritt zum Abbau der Zweiklassenmedizin ist. Es ist klar: Der Privatversicherte bekommt den Facharzttermin immer sofort. Er ist ein gern gesehener Gast bei fast jedem Facharzt und wird leider oft auch mit Leistungen behandelt, die er gar nicht benötigt. Für denjenigen aber, der noch keinen Arztkontakt hatte, der aber wegen einer Erkrankung, die er nicht einschätzen kann, in Sorge ist, ist der erste Facharzttermin oft von größter Bedeutung. Diesen sollte er innerhalb von vier Wochen bekommen. Wenn dieser Termin im ambulanten Sektor nicht angeboten werden kann, muss man auch ins Krankenhaus ausweichen können, was zum Beispiel in Sachsen nach wie vor nicht der Fall ist. Wie gesagt: Das ist ein wesentlicher Schritt nach vorne, ein Schritt in Richtung Abbau der Zweiklassenmedizin.

Wir haben den Kommunen die Möglichkeit gegeben, selbst Medizinische Versorgungszentren einzurichten. Diese Zentren können auch so aufgebaut sein, dass dort Hausärzte und nicht nur Facharztgruppen zusammenarbeiten. Das ist sehr viel leichter gestaltbar und leichter organisierbar. Auch das ist ein wesentlicher Schritt in Richtung einer besseren hausärztlichen Versorgung. Hinzu kommen die Ausbildungsangebote, die wir für Hausärzte und versorgungsnahe Fachärzte geschaffen haben. Sie haben auch die Tausende von Stellen gar nicht erwähnt, die wir schaffen, um für eine bessere Hausarztausbildung zu sorgen.

(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Hätte ich gern getan, aber ich hatte nur fünf Minuten Redezeit!)

Wir führen Chronikerprogramme für Menschen mit Rückenleiden und Depressionen ein, zwei große Volkskrankheiten, von denen immer mehr Menschen betroffen sind. Bisher gibt es in Deutschland keine evidenzbasierte Chronikerversorgung. Die Einführung dieser Programme ist aus meiner Sicht ebenfalls handwerklich gut gemacht.

Wir führen das Zweitmeinungsverfahren ein. Man kann zwar sagen: Das ist überall notwendig. Aber wir fangen mit den Krankheiten an, bei denen wir wissen, dass es sich um mengenanfällige Leistungen handelt. Übrigens, Frau Wöllert, bei der Krebsversorgung wird die Zweitmeinung auch jetzt schon bezahlt. Wenn Sie im Rahmen einer Chemotherapie oder einer onkologischen Untersuchung eine Zweitmeinung benötigen, wird auch jetzt schon die Zweimeinung bezahlt.

(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Aber ihr schränkt das ein! Das war der Punkt!)

Es gibt andere Bereiche, in denen es nicht so ist, aber Ihr Beispiel war hier nicht zielführend.

Zum Abschluss – ich sehe, meine Redezeit ist schon abgelaufen –: Man darf nicht vergessen, dass wir die Hochschulambulanzen fördern. Die Hochschulambulanzen versorgen in Deutschland zum Teil die schwersten und die teuersten Fälle, machen im Durchschnitt mit diesen Fällen aber immer einen Verlust. Das heißt, wir bestrafen in Deutschland im Moment eine Struktur, auf die wir dringend angewiesen sind. Auch das beseitigen wir.

Ich könnte das breit ausführen. Meine Kolleginnen werden das tun; ich werde es nicht. Ich sage: Ich könnte. Ich weiß, dass ich das nicht darf. Nichtsdestotrotz schließe ich mit meinem letzten Satz: Es ist ein Gesetz, das ich wie folgt bezeichnen würde: Das ist nicht eine spektakuläre umstrittene Maßnahme, die jeder kapiert und an der man sich reiben kann – ich weiß nicht, woran ich jetzt konkret denke –, sondern es ist ein Gesetz mit vielen Einzelmaßnahmen, die in der Fachwelt unumstritten sind und die wir gegen die Lobbywiderstände im System durchsetzen konnten.

Ich danke für die Aufmerksamkeit und bitte um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank, Karl Lauterbach. – Nächste Rednerin: Maria Klein-Schmeink für die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5228693
Wahlperiode 18
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Gesundheitsversorgung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta