Jens SpahnCDU/CSU - Gesundheitsversorgung
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Grunde geht es bei diesem Gesetz – genauso wie bei einigen anderen, über die wir in den letzten Jahren beraten haben – um die Frage, wie wir in Zukunft die medizinische bzw. die ärztliche Versorgung im ländlichen Raum sowie in bestimmten Stadtteilen sicherstellen können. Dass es dabei auch um bestimmte Stadtteile geht, geht oft unter. Ein Beispiel: In Berlin-Charlottenburg gibt es die meisten Kinderärzte, aber in Marzahn die meisten Kinder. Ähnliches gilt für viele andere Städte. Es gibt große Unterschiede in der Versorgung innerhalb der Städte, aber vor allem auch im Vergleich zum ländlichen Raum. Wenn wir sehen, dass ein Großteil der Hausärzte im Schnitt 55 Jahre und älter ist, dann wissen wir, was in fünf, zehn oder zwölf Jahren passiert, wenn diese Ärzte ihre Praxen aufgeben: Sie suchen Nachfolger, finden aber keine. Wenn wir heute die Weichen nicht richtig stellen, dann wird es schwierig mit der ärztlichen Versorgung im ländlichen Raum. Deswegen ist dieses Gesetz – in Fortsetzung weiterer Gesetze, die wir zuvor verabschiedet haben – eines der wichtigsten Gesetze für die Infrastruktur im ländlichen Raum.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Dazu braucht es – das muss man ehrlich zugeben; das haben Sie ebenfalls anerkannt – einen Instrumentenkasten. Es wird nicht die eine Maßnahme, nicht den einen Hebel geben, den man umlegen muss, und dann sind die Probleme gelöst. Man könnte denken, dass es mehr Ärzte auf dem Land geben würde, wenn nur die Bezahlung besser sein würde. Aber Geld alleine löst das Problem offenkundig nicht. In Mecklenburg-Vorpommern ist die Kassenärztliche Vereinigung gar nicht mehr in der Lage, all das Geld an die Ärzte auszuschütten. Man könnte als Hausarzt dort richtig gut verdienen. Trotzdem lassen sich derzeit viel zu wenige Hausärzte in Mecklenburg-Vorpommern nieder. Das zeigt: Es geht nicht nur um Geld, sondern auch um Rahmenbedingungen und Arbeitsbedingungen. Deswegen geht es in diesem Gesetz auch um folgende Fragen: Was ist mit dem Notdienst? Hat der Hausarzt auf dem Land zwei-, dreimal Notdienst am Wochenende, während sein Kollege in einer großen Stadt nur einmal im halben Jahr Notdienst leisten muss?
(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch schon längst geregelt!)
Es geht außerdem um die Frage der vernetzten Zusammenarbeit. Wir fördern Praxisnetze sowie die Zusammenarbeit von ambulanter und stationärer Versorgung, von niedergelassenen Ärzten und Krankenhäusern in der Versorgung. Es geht auch um die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen. So können entsprechend ausgebildete Pflegekräfte Routinehausbesuche machen und dabei Blutdruck messen und Verbände anlegen, um die Ärzte zu entlasten und durch diese Art der Zusammenarbeit die Versorgung zu verbessern. Dieses Bündel an Maßnahmen macht den Wert des Gesetzes aus. Wenn man ehrlich ist, suchen Sie doch nur das Haar in der Suppe, das es Ihnen ermöglicht, abzulehnen; denn Sie wissen genau, dass vieles von dem, was wir vorhaben, gut und richtig ist.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Ich will zwei Themen aufgreifen, die bereits genannt wurden. Das eine ist die Zeit des Wartens auf einen Facharzttermin. Wir alle wissen aus den Debatten vor Ort: Das ist mit Abstand das größte Aufregerthema im deutschen Gesundheitswesen. Natürlich kann ich darauf verweisen, dass man beispielsweise in Schweden und Holland sechs, acht oder sogar zwölf Monate auf einen Facharzttermin warten muss. Man vergleicht sich aber nicht mit den Schweden und den Holländern, sondern mit dem Nachbarn, der Beamter ist und übermorgen einen Termin hat, weil er privat versichert ist.
In diesem Vergleich – der eine hat einen Termin in zwei Tagen, der andere muss wochenlang warten – liegt zu Recht ein großes Aufregungspotenzial. Deswegen – ich hoffe, das hat die Ärzteschaft nach anfänglichen Widerständen auch erkannt – gibt es ein gemeinsames Interesse aller im Gesundheitswesen Verantwortlichen, von Ärzten, von uns in der Politik und von allen anderen, die mitgestalten, dass wir dieses Aufregerthema endlich abräumen, indem wir den Patienten ein verlässliches Angebot machen und ihnen einen verlässlichen Ansprechpartner bieten, an den sie sich wenden können, wenn sie die Überweisung zu einem Facharzt haben. Das ist eine Servicestelle, die sie über Telefon oder über eine App erreichen können – auch das wird in Zukunft möglich sein –, um zeitnah einen Termin zu bekommen, um die Versorgung besser zu organisieren oder eine Behandlung im Krankenhaus möglich zu machen. Dem Patienten ist es am Ende, wenn er dringend einen Arzt braucht, egal, welcher Arzt ihn behandelt. Er will zeitnah einen Arzt in der Nähe haben, egal ob er im Krankenhaus ist oder ob es ein niedergelassener Arzt ist. Genau diesem Interesse des Patienten tragen wir mit unserer Regelung Rechnung. Das wissen eigentlich auch Sie, und das könnten Sie an der Stelle einmal würdigen.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Jetzt zur Zweitmeinung, Frau Kollegin Wöllert, weil Sie das angesprochen haben. Sie sagten, es gehe nur um Kostenreduktion.
(Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Vor allem!)
Da vergessen Sie einen wichtigen Aspekt. Was nützt es Ihnen als Patient, wenn Sie qualitativ super operiert wurden – wir sehen richtigerweise auch eine Ergebnisqualität bei Operationen und Behandlungen im Krankenhaus vor –, diese Operation aber unnötig war? Jede Operation ist auch immer eine potenzielle Gefährdung des Patienten. Deswegen geht es bei diesem Thema nicht nur um Kostenreduktion. Im Gegenteil: Es geht um eine gute Behandlung des Patienten, und es geht darum, ihn vor unnötigen Gefahren zu bewahren. Deswegen ist die Regelung, die wir vorsehen, nämlich ein strukturiertes Zweitmeinungsverfahren anzubieten, insbesondere in den Bereichen, bei denen man vermuten darf, dass es auch ökonomische Interessen für mehr Behandlungen und Operationen gibt, ein wichtiges Angebot für den Patienten, ihn zu schützen. Auch das sollten Sie nicht kleinreden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Sie haben gerade spannenderweise auf die Kostensteigerung hingewiesen; das ist etwas Neues für die Linke. Sie haben gerade zum ersten Mal in einer gesundheitspolitischen Debatte, wenn ich einmal die letzten zwölf Jahre, die ich überblicken kann, nehme, erkannt, dass Mehrausgaben irgendjemand bezahlen muss. Sie haben zum ersten Mal gemerkt, dass, wenn man zusätzliches Geld für die Versorgung ausgibt, das natürlich am Ende irgendjemand bezahlen muss.
(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das ist doch Quatsch!)
Ich gratuliere jedenfalls zu der Erkenntnis. Die haben wir bisher von der Linkspartei in diesem Hohen Haus noch nicht vernommen.
(Beifall bei der CDU/CSU – Birgit Wöllert [DIE LINKE]: Was denken Sie, was wir gedacht haben? Sterntalersystem?)
Sie fordern nur immer mehr Leistungen, mehr Ausgaben, immer mehr, mehr, mehr; aber damit, dass das jemand bezahlen muss, haben Sie sich bisher nicht beschäftigt. Insofern gratuliere ich zu diesem Schritt.
Ja, Sie haben recht: Natürlich führt das, was wir nach unserem GKV-Versorgungsverstärkungsgesetz tun, im Moment im Krankenhausbereich, in der Palliativversorgung zu Mehrausgaben. Aber mit diesen Mehrausgaben – das haben wir gerade für dieses Gesetz dargelegt, und das werden wir in den nächsten Wochen auch für die Krankenhäuser diskutieren – wollen wir vor allem Strukturen verändern. Wir wollen dahin kommen, dass wir Schritt für Schritt die Versorgung effizienter machen und sie da, wo es noch Lücken gibt, besser machen.
Meine feste Überzeugung ist, dass Sie, wenn Sie nicht einfach nur mehr Geld in das System geben, sondern die Ausgaben mit Strukturveränderungen verknüpfen und am Ende eine effizientere und bessere Versorgung des Patienten hinbekommen, dann auch Akzeptanz bei den Versicherten haben, wenn diese ein wenig mehr bezahlen müssen; denn in Wahrheit wissen die Menschen doch – wir sollten es ihnen jedenfalls ehrlich sagen; Sie tun das leider nicht immer –, dass es, wenn wir in einer älter werdenden Gesellschaft eine gute, hochwertige Gesundheitsversorgung wollen, in den nächsten Jahren teurer wird. Ich habe den Eindruck, die Menschen sind bereit, das zu bezahlen, wenn wir es ihnen ehrlich sagen und wenn wir ihnen vor allem erklären können, wofür wir dieses Geld ausgeben. Genau das tun wir mit den entscheidenden Weichenstellungen in diesem Gesetz. Schön, dass Sie das endlich erkannt haben.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Herr Kollege, war das jetzt das Schlusswort?
Nein, ich habe noch ein bisschen.
Ja, Sie haben noch ein paar Sekunden. Ich frage Sie, ob Sie eine Zwischenfrage oder -bemerkung zulassen wollen.
Na klar.
Dann bitte, Frau Klein-Schmeink.
Sie sprachen gerade davon, dass es in der Bevölkerung und bei den Versicherten große Akzeptanz dafür gibt, dass man mehr Geld bezahlen muss, wenn man auch in Zukunft gut versorgt sein will. Ich glaube, das würden hier im Raum alle bestätigen. Aber diese Akzeptanz hängt sehr eng damit zusammen, dass man das Gefühl hat, dass es auf der einen Seite gerecht zugeht und auf der anderen Seite alles getan worden ist, dass die Versorgung auch in Zukunft gut sein wird. Dazu gehört unter anderem, dass die Versorgungseinrichtungen gut erreichbar sind.
Die Große Koalition hat gesetzlich geregelt, dass sämtliche Kostensteigerungen im Gesundheitswesen allein von den Versicherten zu tragen sind; das war eine grundlegende Veränderung. Deshalb wird es in relativ kurzer Zeit zu deutlich höheren Zusatzbeiträgen kommen, die nur von den Versicherten zu zahlen sind. Halten Sie das durch, und werden Sie in der Lage sein, bis Ende der Wahlperiode genau diesen Weg zu gehen? Sind Sie sicher, dass Sie gemeinsam mit Ihrem Koalitionspartner durchsetzen wollen, dass es Kostensteigerungen bis zu 1,5 Prozent nur zulasten der Versicherten geben wird? Oder kommt es am Ende nicht doch zu Leistungseinschränkungen? Werden Sie also nicht mehr den Mut haben, das, was notwendigerweise zu tun ist, tatsächlich durchzusetzen?
Diese Frage war trotz ihrer Länge in gewisser Weise eine Suggestivfrage.
Auch das ist erlaubt.
Auch das ist erlaubt; das stimmt. – Ich will trotzdem versuchen, darauf einzugehen. Schließlich bringen Sie diese Gedanken immer wieder vor.
Wir haben die Kassen mit der Finanzierungsreform, die wir im letzten Jahr durchgeführt haben, wieder in einen Preiswettbewerb miteinander eintreten lassen. Dieser Wettbewerb hat es möglich gemacht, dass seit 1. Januar letzten Jahres etwa 20 Millionen Deutsche weniger Beitrag zahlen als vorher.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Der Wettbewerb der Kassen untereinander hat dazu geführt, dass die Kassen einen niedrigeren Beitrag genommen haben, nämlich nur den, den sie tatsächlich brauchten.
Ja, wir haben den Arbeitgeberanteil festgeschrieben. Wir haben damit übrigens fortgesetzt, was Rot-Grün 2004 richtigerweise schon einmal gemacht hat. Dieses Vorgehen ergab sich aus der Erkenntnis, dass steigende Lohnnebenkosten die Arbeit in Deutschland verteuern, dass also auch steigende Gesundheitskosten, die in einer älter werdenden Gesellschaft zwangsläufig sind, den Faktor Arbeit und damit die Schaffung von Arbeitsplätzen in Deutschland teurer machen. Es war ein Kompromiss – wie gesagt, so etwas gab es schon unter Rot-Grün –,zu sagen: Wir schreiben zur betriebswirtschaftlichen Planbarkeit für die Unternehmen den Arbeitgeberanteil fest – im Moment sind es 7,3 Prozent – und lassen die künftigen Kostensteigerungen in den Zusatzbeitrag einfließen, der dem Wettbewerb ausgesetzt ist und dadurch nach unten reguliert werden soll.
Wie man damit in Zukunft umgeht, wird eine der großen Fragen der Gesundheitspolitik werden; da haben Sie recht. Wir nutzen diese Legislatur, in der wir noch Überschüsse und Rücklagen haben, um genau die Strukturveränderungen im Krankenhausbereich, in der flächendeckenden Versorgung, in der Zusammenarbeit von ambulanter und stationärer Versorgung herbeizuführen, über die wir gerade diskutiert haben. Wir wollen mit dem zusätzlichen Geld effizientere Strukturen schaffen, um im nächsten Schritt – das wird sicherlich ein Thema ab 2016/2017 werden, auch in der programmatischen Auseinandersetzung, die dann zu führen ist – darüber zu reden – das werden wir alle tun müssen –, wie wir künftige Kostensteigerungen finanzieren. Ich glaube nicht, dass es richtig ist, am Ende alle Kostensteigerungen beitragsfinanziert zu decken. Man wird über andere Modelle reden müssen. Der Krankenversicherungsbeitrag wird nach allen Hochrechnungen irgendwann in den nächsten zehn Jahren den Rentenversicherungsbeitrag überholen. Spätestens dann wird es ganz andere politische Debatten geben. Aber es ist schön, dass Sie diese Frage stellen. Das macht nämlich deutlich, dass Forderungen nach immer mehr nicht angezeigt sind, sondern dass es im Kern darum gehen muss, das Geld effizient auszugeben.
Helfen Sie bei der Umsetzung dieses Gesetzes mit. Suchen Sie nicht das Haar in der Suppe, wie Sie es gerade getan haben, um zu begründen, warum Sie bei der Abstimmung mit Nein stimmen. Helfen Sie jetzt mit, Versorgung effizienter zu machen, und bringen Sie sich dann, und zwar jenseits Ihres Schlagworts, das Sie bei dieser Gelegenheit immer verwenden, in der Finanzierungsdebatte in dem Wissen ehrlich ein, dass steigende Beiträge die Arbeit in Deutschland teurer machen. 2016, 2017, 2018, wenn wir all diese Debatten wieder führen werden, geht es darum, wie wir Gesundheit in Deutschland in Zukunft finanzieren wollen. Denn eines ist sicher – dabei bleibe ich –: Eine gute, qualitativ hochwertige Versorgung wird in einer älter werdenden Gesellschaft Geld kosten. Die Menschen wüssten das, wenn wir es ihnen häufiger ehrlich sagen würden.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn die Strukturreform?)
Vielen Dank, Herr Kollege Spahn. – Nächster Redner: Harald Weinberg für die Linke.
(Beifall bei der LINKEN)
Source | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
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Electoral Period | 18 |
Session | 109 |
Agenda Item | Gesundheitsversorgung |