11.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 109 / Tagesordnungspunkt 7

Hans-Joachim SchabedothSPD - Exportüberschüsse

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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Stellen Sie sich einmal folgende Szene vor: Das Kind kommt mit dem Stolz aus der Schule heim, die beste Klassenarbeit geschrieben zu haben, doch die Eltern wollen diesen Stolz nicht teilen. Sie beklagen auch noch, das eigene Kind habe durch seine Spitzenleistung die Messlatte für die Arbeitsleistung aller anderen nach oben verschoben.

Nach der Lektüre des vorliegenden Antrags der Linkspartei frage ich mich: Hatten Sie solche Eltern?

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN)

– Trotzdem, damit müssen Sie fertigwerden. – Ihre Sorge finde ich schon ein wenig verwunderlich. Warum sind es ausgerechnet die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft, die Sie heute zum Anlass nehmen, um Ihre im Parlamentswochenrhythmus übliche Alarmismussirene erschrillen zu lassen? Was stört Sie an den deutschen Exporterfolgen? Sie behaupten, diese Exportüberschüsse seien maßgeblich auf das Lohndumping in Deutschland zurückzuführen. Das ist nicht nur ein schlechtes Argument, das ist ein sehr schlechtes Argument. Das kann man nicht ernst nehmen, und Sie werden sich schon fragen lassen müssen, ob Sie noch recht bei Trost sind, wenn Sie mit abgebauten Exportüberschüssen eine Wende in der Lohnpolitik einleiten wollen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Eine solche Wende gäbe es tatsächlich, und zwar Richtung Südpol.

(Herbert Behrens [DIE LINKE]: IG Metall! Mamma mia!)

Die deutsche Wettbewerbsfähigkeit beruht keineswegs auf Lohndumping. Wer das sagt, der erzählt Unsinn. Gerade die Arbeitskosten in der Exportindustrie liegen in der Spitzengruppe. Die Löhne tun dies auch. Die deutschen Exporterfolge erklären sich durch die Fähigkeit, im Qualitätswettbewerb mit den Konkurrenten besser zu sein.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Spezialisierte Kundenwünsche können passgenauer erfüllt werden. Im globalen Innovationswettbewerb verfügt die deutsche Wirtschaft über eine fast einmalige Basis an gut ausgebildeten Fachkräften. Wir haben in Deutschland eine breit aufgestellte, mittelständisch geprägte Produktionsbasis, die im internationalen Wettbewerb ihre Innovationsführerschaft und ihre Einzigartigkeit bislang noch – ich komme noch darauf zurück – behaupten konnte.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Deshalb werden gerade in der deutschen exportorientierten Industrie Spitzeneinkommen gezahlt, die sich auch im europäischen Vergleich sehen lassen können. Wieso reden Sie hier von Billiglöhnen? Von Billiglöhnen zu sprechen, ist wirklich dummes Zeug, oder – wenn Sie es höflicher haben wollen – kontrafaktisch.

Ich kann den Antragstellern nur in einem Punkt folgen. Es wäre in der Tat keine gute Situation, wenn sich der Wohlstand eines Landes auf Dauer nur auf seine Exporterfolge stützen würde. Stabiles Wachstum und nachhaltige Sicherung des sozialen Fortschritts sowie der ökonomischen und ökologischen Erfolge kann es ohne eine Vitalisierung der Binnennachfrage und hinreichende Investitionen in die soziale und die industrielle Infrastruktur nicht geben. Das ist relativ unstrittig. Der Antrag der Linksfraktion liefert dazu keine Offenbarung, sondern strapaziert eine Binsenweisheit, die zudem mit mangelhaften Schlussfolgerungen behaftet ist. Sie bieten uns nichts, was uns in der Sache weiterhelfen könnte. Sie können doch nicht wirklich erwarten, dass deutsche Politiker dazu aufrufen: Völker dieser Welt, kauft weniger Güter aus deutscher Produktion und deutsche Dienstleistungen, damit unsere Handelsbilanz wieder in Ordnung kommt.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Verkauft uns mehr!)

Sollen wir denn dem deutschen Konsumenten wirklich empfehlen, statt Autos aus der inländischen Produktion lieber die Wagen aus China, Indien oder Griechenland zu kaufen?

Wenn sich die deutschen Exporterlöse vermindern, weil beispielsweise die Sanktionen gegen Russland greifen, dann mag das noch in Ihr falsches Konzept passen; denn auch das verändert die Handelsbilanz. Aber was Ihr Votum zur Steigerung der Binnennachfrage betrifft, hätten Sie Ihre Argumente aus schwarz-gelben Regierungszeiten besser den Realitäten von heute angepasst.

Herr Schabedoth, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Ernst zu? – Ich will in diesem Zusammenhang nur darauf hinweisen, dass nach jetzigem Stand die Debattenzeit bis 23 Uhr dauert. Ich bitte, das ein bisschen im Blick zu haben, wenn es um die Entscheidung geht, ob eine Zwischenfrage gestellt werden soll oder nicht. Ich glaube, es wäre nicht gut, wenn wir hier um 23 Uhr mit nur noch vier oder fünf Kollegen sitzen würden. Ich bitte, das ein bisschen im Blick zu haben.

Bei meiner Debattenzeit liege ich bei fünf Minuten. Ich will die mir verbleibenden sechs Minuten nicht ganz ausschöpfen.

Dann lassen Sie es.

Aber vielleicht provoziert mich Herr Ernst dazu, meine gesamte verbleibende Redezeit in Anspruch zu nehmen.

Herr Ernst.

Lieber Achim, da wir uns 30 Jahre kennen, bleibe ich beim Du. Vorhin wurde das Stabilitätsgesetz erwähnt. Dieses Gesetz wurde damals nicht von den Linken im Bundestag beschlossen – wir waren damals gar nicht dabei –, sondern von den Sozialdemokraten und der CDU/CSU einschließlich Herrn Strauß, die offensichtlich in Kenntnis dessen, was ökonomische Ungleichgewichte weltweit und für das jeweilige Land bedeuten, zu dem Ergebnis gekommen sind: Es ist Ziel staatlicher Wirtschaftspolitik, ausgeglichene Handelsbilanzen zu erreichen. – So steht es in diesem Gesetz. Waren all diejenigen, die das Gesetz beschlossen haben, nach deiner Ansicht Trottel? Genau das schließe ich aus deinem Diskussionsbeitrag.

Dass in der Exportindustrie die höchsten Löhne gezahlt werden, ist sicherlich unstrittig; so schlau sind wir auch. Aber die Lohnentwicklung in der Bundesrepublik Deutschland hat nach 14 Jahren Stagnation letztendlich dazu beigetragen, dass die Binnennachfrage so gering war, dass wir weniger im Ausland kaufen konnten und die Defizite der anderen Länder verursacht haben. Ein außenhandelswirtschaftliches Gleichgewicht bedeutet doch, dass man so viel importiert, wie man exportiert; das gilt auch für die Leistungsbilanz. Genau das findet in der Bundesrepublik Deutschland nicht statt. Angesichts dessen könnte man zu dem Ergebnis kommen – genau das hat der Kollege Schlecht angesprochen –, dass wir unsere Importe durch eine entsprechende Lohnpolitik so weit befördern müssen, dass wir wieder zu einem wirtschaftlichen Gleichgewicht kommen. Oder bist du der Auffassung, dass dieses Ziel im Stabilitätsgesetz über Bord geworfen werden muss? Dann würde ich die Regierung aber bitten, ein entsprechendes Gesetz einzubringen; denn noch gilt das Stabilitätsgesetz.

(Beifall bei der LINKEN)

Kollege Ernst, das Stabilitätsgesetz enthält mehrere Komponenten. Dort steht unter anderem, dass die staatliche Politik Sorge tragen muss, dass Vollbeschäftigung

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Preisstabilität!)

und eine auskömmliche Preisstabilität herrschen. Das alles muss man miteinander verbinden. Das macht die Kunst des Regierens aus. Dass man bei einem Parameter unter der Zielmarke liegt und bei einem anderen Parameter darüber, ergibt sich aus der Dynamik des sogenannten magischen Vierecks. Ausgerechnet Sie thematisieren zwar die Leistungsüberschüsse, nicht aber die Tatsache, dass es noch immer 2 Millionen Arbeitslose gibt. Das verwundert mich; denn unsere Leistungen auf dem Arbeitsmarkt hängen auch damit zusammen, dass die Waren, die wir produzieren, internationale Wertschätzung erfahren. So werden die Kapazitäten der deutschen Wirtschaft ausgelastet und Arbeitsplätze in unserem Land gesichert. – Wenn Sie sich wieder hinsetzen, kann ich noch weitere Ausführungen dazu machen. Ich habe noch vier Minuten Redezeit.

Kollege Ernst und alle, die zuhören: Starke Gewerkschaften und einsichtsvolle Arbeitgeber haben mit ihren letzten Lohnabschlüssen der Binnenkonjunktur erheblichen Auftrieb verschafft. Das kann man doch wohl sagen. Das relativ stabile Preisniveau hat die Masseneinkommen noch nachfragewirksamer gemacht. Man mag es für ökologisch bedenklich halten, aber die gesenkten Ausgaben für unsere Importe von Erdöl haben die Binnennachfrage zusätzlich belebt, aber die Bilanz verschlechtert.

Nicht zuletzt hat der von uns realisierte Mindestlohn Millionen Menschen in diesem Jahr die größte Einkommensverbesserung ihres bisherigen Berufslebens gebracht. Was das millionenfach für den Binnenmarkt bedeutet, dazu will ich nicht wiederholen, was von sozialdemokratischer Seite schon bei vielen anderen Debattenanlässen gesagt worden ist.

Aber noch ein Wort zur Belebung der öffentlichen Investitionstätigkeit. Auch in dieser Beziehung gilt eigentlich nie: Genug ist genug. Man kann immer noch mehr tun. Aber was schon getan worden ist, ist mehr als nichts und kann sich jedenfalls sehen lassen. Kritik scheint mir hier nur ratsam, wenn es nach dem Muster geht: Das noch Bessere ist stets der Feind des schon Guten. Das gilt im Übrigen auch für die Einkommen der abhängig Beschäftigten. Sie verdienen wirklich jeden Euro mehr. Aber – das ist meine Mahnung an die Linkspartei – überlassen wir es doch weiterhin den Tarifvertragsparteien, dazu das richtige Maß von Branche zu Branche zu finden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich vertraue hier den Tarifvertragspartnern und ihrer Regulierungskompetenz mehr als jeder Beschlussvorlage der Linkspartei.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Du warst auch schon klüger!)

Was an rechtlichen Rahmensetzungen notwendig ist, um die Tarifbindung zu sichern, das werden wir immer wieder gerne, auch ohne Ihre Mahnung, auf die Höhe der Zeit bringen. Vergessen Sie nicht: Jedes Mehr an Einkommen muss irgendwann einmal verdient oder umverteilt werden – das ist alles nicht so einfach –, bevor es nachfragewirksam werden kann und vielleicht auch – auch das ist kein Gesetz – importstimulierend zur Geltung kommen könnte.

Der vorliegende Antrag und seine Begründung ignorieren, dass über deutsche Wettbewerbsfähigkeit und Arbeitsplatzsicherheit nicht im Kosten-, sondern im Qualitätswettbewerb entschieden wird. Jeder deutsche Exportverlust schlägt in der europäisch verflochtenen Wirtschaft auf die europäischen Partner zurück. Die Wende in der Lohnpolitik ließe sich dann wohl noch schwerer realisieren.

Die eigentlichen Gefahren für den deutschen und europäischen Wohlstand sowie für außenwirtschaftliche Stabilität verkennen Sie. Die liegen darin, dass wir geopolitische Unsicherheiten haben. Das Welthandelsvolumen ist schon seit Anfang dieses Jahres reduziert. Die Bremsspuren merken Sie auch beim deutschen Export. Das ist keine gute Entwicklung. Die von Ihnen so vehement kritisierte aktuelle Exportstärke ergibt sich nie im Selbstlauf.

Dazu will ich noch einen Gedanken äußern. Die einzigartige deutsche Wertschöpfungskette zwischen traditionsreichen und zugleich modernen, wissensbasierten Industrien könnte zerreißen. Statt uns über aktuelle Exporterfolge aufzuregen, sollten wir doch lieber gemeinsam darüber nachdenken, wie wir durch das staatliche Engagement, am besten in europäischen Absprachen, die deutsche Leistungsfähigkeit bei der Energiewende ausbauen und besser nutzen können.

Es stellt sich auch die Frage: Was muss heute getan werden, um die ökologische und soziale Nachhaltigkeit der industriellen Produktion zu fördern und zu verbessern? Wirtschaftsminister Gabriel muss man dabei nicht zum Jagen tragen. Das wäre auch etwas schwer.

(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Er hat zusammen mit den Industriegewerkschaften und den Wirtschaftsverbänden ein Bündnis für Industrie ins Leben gerufen. Ziel dieses Bündnisses ist es, die Wandlungsprozesse der modernen Arbeitswelt so zu fördern und zu gestalten, dass gutes Arbeiten und gutes Leben ein festes Fundament finden, statt zu erodieren. Allen Akteuren ist dabei hoffentlich vor Augen, dass das auch mehr Teilhabe der abhängig Beschäftigten an den Entscheidungsprozessen und an den Produktionsergebnissen bedeutet.

Noch hat die deutsche Industrie beste Voraussetzungen, den Klimawandel zu bewältigen, Energie- und Ressourceneffizienz zu steigern, moderne Übertragungsnetze und Infrastrukturen aufzubauen und die gesamte Industriestruktur ökologisch und zukunftstauglich zu machen. Noch ist die deutsche Industrie in der Poleposition bei der Nutzung der Chancen, die uns mit der weiteren Digitalisierung bei der Produktion von Gütern und Dienstleistungen ins Haus stehen. Die aufgelaufenen Investitionsdefizite, die wir alle miteinander zu Recht beklagen, könnten durch nachholendes Engagement noch ausgeglichen werden.

Das Ziel, bei der Elektromobilität Antreiber statt Getriebener zu sein, ist immer noch erreichbar – noch. Wer die Arbeitsplätze von morgen sichern will, wer ökonomische mit sozialen und ökologischen Fortschritten verbinden will, der sollte besser nicht über die Exporterfolge der deutschen Wirtschaft jammern. Stattdessen sollten wir alles tun, um unsere wirtschaftliche Leistungsfähigkeit zu erhalten,

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

und das nicht nur, um tatsächlich eine Wende in der Lohnpolitik zu ermöglichen, sondern auch, um die europäische Wirtschaft zu stärken – das hängt auch damit zusammen – und in der globalen Wirtschaft als sozial verantwortlicher Akteur gefragt und geschätzt zu bleiben. Diese Chance haben wir.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als letzter Redner in dieser Debatte hat Andreas Lämmel von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Michael Schlecht [DIE LINKE]: Das ist der Wirtschaftsexperte!)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5228948
Wahlperiode 18
Sitzung 109
Tagesordnungspunkt Exportüberschüsse
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