12.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 110 / Tagesordnungspunkt 24

Eva HöglSPD - Speicherpflicht und -frist für Verkehrsdaten

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Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Im Jahr 1987 habe ich gemeinsam mit vielen Bürgerinnen und Bürgern in der Bundesrepublik Deutschland gegen die geplante Volkszählung demonstriert. Vielleicht haben das auch einige von Ihnen gemacht.

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: Nein!)

Wenige Jahre später polarisierte der große Lauschangriff – der wurde auch hier im Deutschen Bundestag intensiv diskutiert – die Debatte. Selbstverständlich waren der Lauschangriff und auch die Volkszählung wesentliche Eingriffe in unsere Grundrechte. Deswegen diskutieren wir immer hier im Deutschen Bundestag und in der gesamten Gesellschaft sehr sorgfältig über das Sammeln, Speichern, Erheben und Verwerten von privaten Daten. Wir machen das auch emotional und leidenschaftlich; denn es geht um unsere Grundrechte. Das ist nur richtig und angemessen. Wir beschäftigen uns jetzt hier mittlerweile seit zehn Jahren mit der Einführung einer Speicherpflicht für persönliche Daten, die von Strafverfolgungsbehörden zur Verbrechensbekämpfung genutzt werden sollen. Wir machen uns diese Entscheidung nicht leicht.

Seit 1987, seit der Volkszählung – wenn man sich das heute anschaut, kommt es einem fast lächerlich vor, gegen was wir damals mobilisiert haben –, hat sich unsere Zeit verändert. Die Verbrecher und Verbrecherinnen nutzen digitale Daten und Telekommunikation zur Vorbereitung und Durchführung ihrer Verbrechen. Auf der anderen Seite werden auch immer mehr persönliche Daten gesammelt und gespeichert. Dadurch entsteht auch – das gehört ebenfalls zur Wahrheit – ein Dickicht, ein Wust von Daten, der bei vielen Bürgerinnen und Bürgern – so formuliert es im Übrigen das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung 2010 – ein diffuses Gefühl des Beobachtetseins entstehen lässt.

Dieses Gefühl nehmen wir bei unserer Debatte sehr ernst. Dieses Gefühl verstärkt sich – wie ich finde, merkwürdigerweise – bei den Bürgerinnen und Bürgern noch, wenn der Staat, wenn Strafverfolgungsbehörden die Daten nutzen. Ich finde, man müsste viel sensibler sein, wenn private Unternehmen die Daten nutzen. Ich wundere mich manchmal über diese Schieflage in der Diskussion.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn wir staatliche Behörden ermächtigen, die Daten für die Strafverfolgung zu nutzen, ist das natürlich ein Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Dieser Eingriff muss selbstverständlich gerechtfertigt sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinen Urteilen zur Volkszählung, zum großen Lauschangriff und auch zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung 2010 klargestellt. Dasselbe gilt für das Urteil des Europäischen Gerichtshofs 2014. Die Daten können genutzt werden, und es gibt eine Verhältnismäßigkeit bei der Nutzung.

Es gibt also gute Gründe für die Vorratsdatenspeicherung. Ich möchte Ihnen dazu ein Beispiel nennen. Ich nehme kein Beispiel aus dem Bereich des Terrorismus, der Kinderpornografie und auch nicht der Vergewaltigung, sondern ich nehme ein sehr praktisches Beispiel. Jahrelang hat ein Mann aus seinem Lkw auf Transporter, Pkws und Gebäude geschossen – vielleicht erinnern Sie sich daran –, deutschlandweit insgesamt über 760-mal. Eine Pkw-Fahrerin wurde schwer verletzt. Es war pures Glück, dass es nicht mehr Verletzte, geschweige denn Tote gab.

Die Ermittlungsbehörden haben daraufhin die Mobilfunkdaten eines Tatverdächtigen mit den Funkzellen mutmaßlicher Tatorte und Tatzeiten auf Hunderten von Kilometern deutscher Autobahnen abgeglichen. Dieser Abgleich der Daten verstärkte den Verdacht der Ermittler zum Beweis. Der Täter konnte letztlich überführt werden.

(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Anlassbezogen!)

– Ich komme darauf; ich kenne die Kritik. – Es war purer Zufall – darum geht es mir –, dass die Ermittlungsbehörden überhaupt die Daten abgleichen konnten; denn es bestand überhaupt keine gesetzliche Pflicht für die Mobilfunkunternehmen, die Daten zu erheben, zu speichern und vorzuhalten. Hätte der Täter ein anderes Mobilfunkunternehmen gewählt, das die Standortdaten nicht gespeichert hätte, dann wäre der Täter nicht ermittelt worden.

Solche Beispiele gibt es viele. Deswegen diskutieren wir heute über die Einführung einer Speicherpflicht. Wir dürfen es nicht dem Zufall überlassen, ob die Strafverfolgungsbehörden Zugriff auf Daten haben, und wir dürfen es nicht dem Zufall und der Wahl des Telekommunikationsunternehmens überlassen, ob diese Straftaten aufgeklärt werden können.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Ja, das geschieht anlasslos. Das geschieht notwendigerweise anlasslos; denn das Beispiel zeigt: Es hätte im Vorhinein gar keinen Anlass gegeben, die Daten genau dieses Täters zu speichern, weil man den Täter gar nicht kannte. Deswegen kommt man an der Hürde „anlasslos“ nicht vorbei, weil man in vielen Fällen gar keinen konkreten Anlass für die Speicherung hat. Deswegen müssen wir die anlasslose Speicherung ermöglichen, und deswegen ist es richtig, dass wir andere Wege gefunden haben, der Einschränkung des Europäischen Gerichtshofs gerecht zu werden, dass nicht anlasslos alle Kommunikationsdaten gespeichert werden dürfen, weswegen jetzt auch nach der Datenart und der Dauer der Speicherung differenziert wird.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sage es ganz deutlich: Das ist keine leichte Entscheidung; das habe ich schon erwähnt. Die Hürde „anlasslos“ ist eine schwierige. Aber ich finde, Bundesjustizminister Heiko Maas und Bundesinnenminister Thomas de Maizière haben maximal gut verhandelt und einen exzellenten Gesetzentwurf erarbeitet, der im Übrigen die europaweit restriktivste Speicherfrist von Telekommunikationsdaten vorsieht.

Es geht darum, dass Richterinnen und Richter die Möglichkeit bekommen, nach sorgfältiger Abwägung aller Interessen den Zugriff auf Telekommunikationsdaten zu erlauben, wenn es um schwerste Straftaten geht. Genau darum geht es. Die Betroffenen werden vorher informiert. Das ist eine ganz entscheidende Eingrenzung. Bisher – das war auch bei dem Beispiel der Lkw-Anschläge der Fall – erfolgte der Zugriff ohne die vorherige Information.

Die jetzt vorgesehene Speicherung der Daten ist – auch darauf möchte ich hinweisen – viel restriktiver und eingeschränkter als die gegenwärtige Praxis vieler Telekommunikationsunternehmen, die Daten vorzuhalten.

(Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU]: So ist es!)

Das ist eine ganz entscheidende Einschränkung. Ich glaube, das muss ein Weckruf sein, dass wir viel sensibler damit umgehen sollen, wem wir erlauben, unsere Daten zu speichern und letztendlich auch zu nutzen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Heiko Maas hat das Thema Berufsgeheimnisträger bereits erwähnt. Ich will den Punkt noch einmal aufgreifen. Das ist selbstverständlich ein sensibles Thema, und es ist für uns sehr wichtig, dass Berufsgeheimnisträger ausgenommen werden. Wir können das nicht im Vorhinein machen, liebe Kolleginnen und Kollegen, weil wir die Berufsgeheimnisträger und -trägerinnen schützen wollen. Denn wir wollen sie nicht nur dann schützen, wenn sie über ihre Festnetznummer, die sich dann vielleicht in einer Datei findet, telefonieren, sondern auch dann, wenn sie unterwegs sind oder wechselnde Anbieter nutzen.

Deswegen kann man keine Datei der Berufsgeheimnisträger erstellen, sondern wir nehmen sie von der Verwertung ihrer Daten aus. Sie sind ausgenommen, wenn die Daten genutzt werden sollen, und da sie vorher informiert werden, haben sie die Gelegenheit, gegenüber den Strafermittlungsbehörden anzugeben, dass sie als Berufsgeheimnisträger ein Auskunftsverweigerungsrecht haben und ihre Daten nicht genutzt werden können. Ich finde, das ist eine sehr gute und richtige Regelung.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir wollen den Tätern die Möglichkeit nehmen, nur deshalb straflos davonzukommen, weil wir ihre Daten unangetastet lassen. Ich halte das für unbedingt notwendig. Ich halte die vorgesehene Speicherpflicht für geeignet und nach dem, was wir miteinander diskutiert haben, auch für verhältnismäßig und damit für verfassungsgemäß.

Wir machen uns trotzdem die Entscheidung nicht leicht. Wir diskutieren hier und auch in der Gesellschaft ausführlich über die gesamten Aspekte. Ich finde den Vorschlag gut. Wir können ihn guten Gewissens annehmen. Ich freue mich auf die weiteren Beratungen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Das Wort hat die Kollegin Halina Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5233515
Wahlperiode 18
Sitzung 110
Tagesordnungspunkt Speicherpflicht und -frist für Verkehrsdaten
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