12.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 110 / Tagesordnungspunkt 25

Dirk WieseSPD - Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass endlich über das Für und Wider von Freihandelsabkommen diskutiert wird. Das ist eine große Errungenschaft, die in den letzten Monaten endlich erreicht wurde.

(Beifall bei der SPD)

Aber seien Sie ehrlich, lieber Kollege Klaus Ernst. Franz Müntefering hat einmal gesagt: „Opposition ist Mist“. Seien Sie wenigstens so ehrlich, und schreiben Sie im September 2017 auf Ihre Wahlplakate: „Regieren ist Mist“. Dann geben Sie den Bürgerinnen und Bürgern wenigstens eine ehrliche Antwort.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie müssen lesen, was ich dazu gesagt habe! Aber dem verweigern Sie sich ja!)

Sie haben jeglichen Gestaltungsspielraum aufgegeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Gegensatz dazu hat die deutsche Sozialdemokratie den Anspruch, zu gestalten, der Globalisierung Regeln zu geben, Leitplanken zu setzen und sich für eine Stärkung des internationalen Rechts einzusetzen. Willy Brandt hat einst gesagt: „Der beste Weg, die Zukunft vorauszusagen, ist, sie zu gestalten“, und das macht die SPD.

(Beifall bei der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die Richtung ist egal! Wohin ist wurscht!)

Ich kann vor dem, was Bernd Lange in den letzten Wochen und Monaten im Europaparlament geleistet hat, nur den Hut ziehen. Er versucht, Handelspolitik zu gestalten. Er duckt sich nicht weg, und er wird auch weiterhin versuchen, etwas Gutes zu erreichen. Dafür gebührt Bernd Lange ein großes Dankeschön von dieser Seite.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat denn die SPD die Abstimmung verhindert im Parlament? – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])

– Herr Ernst und Herr Kindler, Sie können noch mehr Zwischenrufe machen. Aber die SPD-Bundestagsfraktion ist die einzige Fraktion im Deutschen Bundestag, die sich seit Januar 2014 in einer Arbeitsgruppe mit den Freihandelsabkommen auseinandersetzt. Wo machen Sie das denn bitte schön?

(Beifall bei der SPD – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein toller Scherz! Wo sind denn die Anträge hier im Plenum? Was kommt denn dabei heraus?)

Wir führen im Willy-Brandt-Haus eine Konferenz zu Freihandelsabkommen durch, auf der wir Reformvorschläge diskutieren. Wir reden auch darüber, wie man die ISDS reformieren kann. Das geht über TTIP und CETA hinaus. Wir haben mit den Kolleginnen und Kollegen von CDU und CSU die Mauritius-Konvention auf den Weg gebracht. Damit gelten für schon bestehende Investitionsschutzverträge neue Transparenzregeln.

Ich freue mich über die Worte des Kollegen Lämmel in der heutigen Debatte, als durchgeklungen ist, dass er die Vorschläge von Sigmar Gabriel zu einem internationalen Handelsgerichtshof begrüßt.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist Lobhudeln! Das ist alles!)

Kollege Janecek, Sie haben gerade gesagt, dass Sie nicht für TTIP sind. Aber Sie entscheiden letztlich nicht darüber. Ich glaube, das machen Winfried Kretschmann und die exportorientierte Automobilwirtschaft in Baden- Württemberg. Daran müssen Sie sich wahrscheinlich noch gewöhnen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Deswegen kann man aber trotzdem dagegen sein, Herr Wiese!)

Aber zurück zu Ihnen von der Linksfraktion. Herr Ernst, Sie merken doch gar nicht, dass andere Regionen in der Welt dabei sind, uns abzuhängen. Allein in Asien sind 100 Freihandelsabkommen in Kraft, und während ich spreche, werden gerade 75 weitere verhandelt. Sie werden es nie verstehen: Wenn man in der internationalen Handelspolitik nichts macht, dann heißt das nicht, dass nichts passiert.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmt! Wir sind Exportweltmeister!)

Es heißt vielmehr, dass die anderen es machen und man selber nur zuschaut. Europa ist keine Insel.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Deutschland ist in der internationalen Handelspolitik kein abgeschotteter Raum.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Stimmt auch!)

Wir als Sozialdemokratie wollen für unser Land und die Menschen vor Ort

(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Verkauft Daimler keine Autos?)

soziale und wirtschaftliche Perspektiven erreichen, statt den Stecker zu ziehen und zu hoffen, dass der Strom irgendwo anders herkommt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das ist aus den 80er-Jahren! – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Das ist niveaulos!)

Ihre Obstruktionspolitik, die sich auch in Ihrem Antrag zeigt, führt in der Konsequenz dazu, dass das alte IS-System mit allen seinen Defiziten bestehen bleibt. Sie wollen gar keine Reform des bestehenden Systems.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir wollen keine Schiedsgerichte! Das steht doch drin!)

Mit Ihrer Dagegen-Haltung unterstützen Sie doch gerade unregulierte Märkte. Sie wollen die Globalisierung gar nicht gestalten. Die Großkonzerne werden Ihrer Fraktion für diese Haltung danken. Herzlichen Glückwunsch dafür!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um die Schiedsgerichte! Wollen Sie die, oder wollen Sie sie nicht? Sind Sie dafür oder dagegen? Das Herumgeeiere geht weiter wie bisher! Wo ist denn Ihre Position? Ihr habt doch keine Position!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundesminister Gabriel hat Vorschläge erarbeitet, die deutlich machen, wie man Handelspolitik gestalten kann, nämlich indem man sich auf den Weg zu einem internationalen Handelsgerichtshof macht. Diese Position der Sozialdemokratie – das wissen wir – ist nicht einfach. Aber das bedeutet es, Politik zu gestalten. Das ist Politikgestaltung: sich auf den Weg zu machen, statt sich wegzuducken, wie Sie es machen.

Sigmar Gabriel hat die Vorschläge des Professors Krajewski aufgegriffen, die Ihnen bekannt sind. Für vergleichbare Rechtsstaaten soll es keine ISDS geben. Aber wir müssen darüber hinaus die ISDS reformieren. Es sind doch viel mehr Abkommen in der Pipeline als nur diese beiden. Das wissen Sie auch.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: In die Debatte kommen, wenn man es nicht braucht! Was ist das für eine Logik?)

Weitere Punkte sind: keine weiter gehenden Rechte für Investoren als nach dem Grundgesetz möglich, Einschränkung von Investorenrechten und die Präzisierung von Schutzstandards. Alle Richter sollen unabhängig und kompetent sein, von den Vertragsparteien ernannt werden, und zwar mit einem festen Geschäftsverteilungsplan und einem verbindlichen Verhaltenskodex.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das kriegen Sie doch in 14 Tagen nicht mehr hin! Mein Gott!)

Es sollen die UNCITRAL-Transparenzregeln gelten: transparent und öffentlich. Neben der Einrichtung einer zweiten Instanz soll auch über die Einklagbarkeit von Arbeits- und Sozialschutzstandards nachgedacht werden. An diesem Punkt bin ich doch bei Ihnen.

Seien Sie doch einmal froh, dass Sigmar Gabriel so einen Vorschlag zu den Schiedsgerichten gemacht hat. Ganz ehrlich: Bei Ihrer neuen Fraktionsdoppelspitze brauchen Sie demnächst ein permanentes Schiedsgericht im Deutschen Bundestag,

(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Nicht neidisch sein!)

weil Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch in Ihrer Fraktion demnächst wahrscheinlich ständig Konflikte austragen. Auf der Fraktionsebene könnten wir ein solches Dauerschiedsgericht einrichten.

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Weiter so! – Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Muss man sich das wirklich anhören? – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei einem Aufsatz würde ich sagen: Thema verfehlt!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, wenn Sie in Ihrem Antrag schon Zitate verwenden, dann zitieren Sie den Interviewtext bitte als Ganzes und nicht so, dass es so aussieht, als ob die Sozialdemokratie in Europa zersplittert sei. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann sieht die Punkte strittig, mit denen sich auch die deutschen Sozialdemokraten im Bundestag kritisch auseinandersetzen. Er sagt:

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)

Faymann erteilt TTIP keine grundsätzliche Absage, sondern will dieses Abkommen, wie die SPD, reformieren; er will gestalten. Das ist etwas ganz anderes, als Sie wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Er will die Schiedsgerichte nicht! Das hat er gesagt! Das ist unser Antrag! Lesen bildet!)

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der Abgeordneten Hänsel?

Ja klar, selbstverständlich.

Bitte schön, Frau Hänsel.

Danke schön, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Wiese, Sie machen hier jetzt den starken Max.

(Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])

Das alles ist ja auch schön und gut. Sie sagen, wie Gabriel sich hier einsetzt, was alles auf der Tagesordnung ist usw.

In dieser Woche erfolgte im Unterausschuss eine Unterrichtung. Es ging unter anderem darum, was beim G-7-Gipfel diskutiert und behandelt wurde. Ich habe nachgefragt, ob die alternativen Ideen zu einem internationalen Schiedsgericht zur Sprache gekommen sind und ob die Diskussionen, die wir hier führen, beim G-7-Gipfel behandelt oder auch nur mit einem Wort einmal erwähnt wurden. Die Antwort war: Nein, es wurde auf dem G-7-Gipfel überhaupt nicht darüber diskutiert, ob die Schiedsgerichte vielleicht hinterfragt werden. Das war kein Thema.

(Peter Beyer [CDU/CSU]: Sie wissen schon, wer das verhandelt?)

Ich frage mich, wie Sie sich eigentlich hierhinstellen und uns so eine Nummer vorspielen können. Sie bauen einen Popanz auf, hinter dem real überhaupt nichts steht. Das ist nur heiße Luft.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Hänsel, ich danke Ihnen für die Frage und dafür, dass ich das noch einmal klarstellen kann. – Wir haben zusammen in dem Unterausschuss gesessen, und die Verantwortliche aus dem Bundeskanzleramt, sozusagen die Sherpa, die den G-7-Gipfel vorbereitet hat, hat auf Ihre Frage hin gesagt, dass das nicht konkret besprochen worden ist. Sie müssen ja wissen, wer am Tisch gesessen hat.

In der Abschlusserklärung steht etwas zum Freihandelsabkommen mit Japan und zum transpazifischen Abkommen. Außerdem steht darin, dass der WTO-post- Bali-Prozess vorangebracht werden soll, und am Ende steht der entscheidende Satz – diesen haben Sie gerade auch bewusst unterschlagen –, dass wir bis zum Jahresende nicht zu einem Abschluss der TTIP-Verhandlungen kommen werden. Sie sagen doch immer, das werde in nächster Zeit abgestimmt und dass bis zum Jahresende etwas vorliegen soll.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber CETA ist fertig! Lesen Sie nicht?)

In der G-7-Erklärung steht, dass bis zum Jahresende Grundzüge vorliegen sollen, worauf sich geeinigt werden könnte. Es sind viele Konjunktive an dieser Stelle. Das heißt, wir Sozialdemokraten – und Sigmar Gabriel im Besonderen – haben noch Spielraum dafür, Verbesserungen durchzusetzen. Lassen Sie uns das doch versuchen! Wieso sollen wir das denn nicht machen?

(Beifall bei der SPD – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oje! Sigmar Gabriel hat einen Spielraum!)

Wenn Sie mit Ihren Forderungen durchkommen, dann bleibt das alte ISDS-System bestehen. Das kann doch nicht richtig sein. Deshalb brauchen wir bessere Regeln für den Welthandel. Darum machen wir das. Das ist der Anspruch der Sozialdemokratie.

Das heißt aber auch – um darauf zum Schluss noch einmal einzugehen –, dass wir auch stärker darauf drängen müssen, dass die Buy-American-Clause fällt. Hier haben wir ein offensives Interesse – gerade auch für unsere mittelständischen Unternehmen, zum Beispiel bei mir vor Ort im Sauerland.

Wir wissen doch, wie die Debatte läuft. Im nächsten Jahr stehen in den USA die Präsidentschaftswahlen an. Das wird den ganzen Prozess verzögern; das wird nicht vorangehen. Darum ist es gut, dass wir über den Freihandel diskutieren und Verbesserungen erreichen wollen. Wir dürfen aber nicht den Kopf in den Sand stecken und alles permanent ablehnen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Professor Dr. Heribert Hirte, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5233919
Wahlperiode 18
Sitzung 110
Tagesordnungspunkt Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen
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