Tom KoenigsDIE GRÜNEN - Seenotrettung und EU-Asylpolitik
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seenotrettung, das können wir, das geht. Die Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger mit 180 Festangestellten und 800 Freiwilligen rückt jedes Jahr 2 000-mal aus und rettet Hunderte. Nord- und Ostsee sind sicher. Das wünschten wir uns auch für das Mittelmeer.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Rüdiger Veit [SPD])
Das geht. Es ist eine Verpflichtung der Europäischen Gemeinschaft; denn es handelt sich um unsere europäischen Grenzen. Es ist außerdem eine Verpflichtung jedes einzelnen Mitgliedstaats. Stichwort „Mare Nostrum“, die italienische Marine hat gezeigt, dass es geht. Das zeigen inzwischen auch eigentlich dafür nicht geschaffene Organisationen wie Frontex, Triton und Poseidon, oder welche Meeresgötter wir noch anrufen. Hinzu kommt: Jeder einzelne Mitgliedstaat hat seine Verpflichtungen. Deutschland stellt Fregatten, Tender und Einsatzgruppenversorger zur Verfügung. Das ist gut.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Was wir brauchen, ist eine effektive, koordinierte europäische Seenotrettung. Dahin müssen wir kommen, und auch das geht. Was leider noch nicht geht, ist das Aufnahmeverfahren. Wir brauchen ein menschenwürdiges, einheitliches und effektives europäisches Aufnahmeverfahren. Darüber wird jetzt noch verhandelt, hoffentlich unter aktiver und erfolgsorientierter Beteiligung. Auch die Verteilung stellt noch ein Problem dar. Hierzu gibt es einen Vorschlag der EU-Kommission. Hoffentlich kommen wir zu einem guten Ergebnis.
Was noch überhaupt nicht geht, ist die Familienzusammenführung durch legale Einreise. Selbst bei Menschen, die das Recht haben, hierher einzureisen, dauert das konsularische Verfahren noch acht bis elf Monate. Syrische Flüchtlingsfamilien sitzen in irgendwelchen Lagern und erhalten wegen eines Engpasses im Konsulat ihre Papiere nicht. Das geht nicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ja, das ist ein Verwaltungs- und Kapazitätsproblem. Das wird dann aber zu einem Menschenrechtsproblem. Ich weiß, dass es schwierig ist, Personal zu finden. Ich weiß, dass wir das im Nachtragshaushalt regeln. Wenn wir aber mit einem solchen Problem konfrontiert sind, müssen wir notfalls einen Krisenstab bilden. Schließlich können wir auch auf Erdbeben innerhalb von zwei Tagen reagieren. Warum nicht auf diese humanitäre Katastrophe?
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel fragte unlängst: Warum können syrische Flüchtlingsfamilien nicht mit der Fähre nach Europa kommen?
(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])
Das ist richtig. Das hat er aber leider nicht im Kabinett gesagt. Wir brauchen Möglichkeiten der legalen Einreise. Da geht mehr,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)
zum Beispiel humanitäre Visa wenigstens in den Fällen, wo das Recht zur Einreise, das Recht auf Asylgewährung offensichtlich ist – wenigstens da, wenn nicht mehr.
Was gar nicht geht, sind die Ablenkungsdiskurse, mit denen versucht wird, von Themen zu reden, die offensichtlich nicht schnell lösbar sind. Das eine sind die Ursachen der Flucht im Heimatland. Wir haben über Eritrea geredet. Da wird sich kurzfristig leider nichts ändern, bedauerlicherweise auch nicht in Syrien. Das sind Ablenkungsdiskurse.
Ein anderer, noch sehr viel gefährlicherer ist der Krieg gegen die Schlepper. Im Chinesischen Meer versucht man eine Militarisierung des Vorgehens gegen Schlepperbanden und geht damit letzten Endes wie gegen Piraten vor. Das sind aber keine Piraten, wie die Bundesregierung uns dankenswerterweise auf entsprechende Fragen antwortet. Jetzt werden wir durch freundliche Briefe des Außenministers und der Verteidigungsministerin darauf hingewiesen, dass es zunächst um die erste Phase gehe, nämlich die Informationsgewinnung bezüglich der Schlepperbanden. Die nächste Phase sei dann die militärische Intervention – ich frage mich: wie eigentlich? –; aber darüber sei man ja noch in Verhandlung. Man ist aber nicht nur in Verhandlung. Auf europäischer Ebene hat man das schon beschlossen und lobbyiert kräftig, um ein Mandat des Sicherheitsrates zu bekommen. Da kann man ja nur hoffen, dass die Russen ihr Veto einlegen;
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
denn das ist quasi eine Aufforderung zum Kollateralschaden. Wie soll das eigentlich gehen? Das sind allenfalls polizeiliche Aufgaben. Aber militärische? Wollen wir auf die Boote schießen, oder was? In der Öffentlichkeit ist man immer sehr zurückhaltend. Sehr viel weniger zurückhaltend ist man in den Verhandlungen. Ich hoffe, dass es dem Sekretariat der Vereinten Nationen, das auch schon seine Bedenken geäußert hat, gelingt, die Herren permanenten Repräsentanten, auch der europäischen Länder, davon abzubringen,
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Annette Groth [DIE LINKE])
einschließlich der Hohen Repräsentantin der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, Mogherini.
Ich fasse zusammen: Was wir brauchen, ist eine effektive, koordinierte europäische Seenotrettung, ein menschenwürdiges, einheitliches, schnelles Aufnahmeverfahren und legale Einreisemöglichkeiten für Flüchtlinge.
Vielen Dank.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Danke schön. – Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5234240 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 110 |
Tagesordnungspunkt | Seenotrettung und EU-Asylpolitik |