Ole SchröderCDU/CSU - Seenotrettung und EU-Asylpolitik
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Deutschland und Europa stehen vor der größten Herausforderung im Bereich der Asylpolitik seit den 90er-Jahren.
(Beifall des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Seit Jahren steigen die Asylbewerberzahlen in Deutschland sprunghaft an: von circa 77 600 Asylbewerbern im Jahr 2012 auf über 202 000 Asylbewerber im Jahr 2014. Allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres sind über 140 000 Asylbewerber zu uns gekommen; davon kam fast die Hälfte aus den als sicher zu betrachtenden Westbalkanstaaten, also aus Europa. Insbesondere unsere Kommunen stoßen an ihre Belastungsgrenzen.
Europaweit ist im Jahr 2014 die Zahl der registrierten Asylbewerber um knapp 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr auf einen Spitzenwert von 626 000 gestiegen.
(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie einen falschen Sprechzettel, Herr Schröder?)
Natürlich, Kollege Koenigs, geht es darum, dass wir die humanitäre Katastrophe auf dem Mittelmeer abwenden.
Meine Damen und Herren, bisher ist es uns, wie auch der Vorredner deutlich gemacht hat, nicht gelungen, ein einheitliches Asylsystem in Europa zu implementieren. Wir haben zwar Richtlinien verabschiedet, aber wie so häufig in Europa hapert es an der Implementierung. Stattdessen wandern Flüchtlinge von den europäischen Außengrenzen in großer Zahl, ohne registriert und versorgt zu werden, weiter nach Nordeuropa.
Wir haben zurzeit eine De-facto-Verteilung auf wenige Mitgliedstaaten. Drei Viertel aller Asylverfahren in 2014 entfallen auf nur fünf EU-Mitgliedstaaten, allen voran Deutschland. Unser Ziel ist humanitäre Hilfe für die wirklich Schutzbedürftigen. Wir können aber nicht jeden aufnehmen, der sich ein besseres Leben verspricht. Das würde unser Asylsystem und vor allem auch die Willkommenskultur in Deutschland und in ganz Europa gefährden.
(Beifall des Abg. Stephan Mayer [Altötting] [CDU/CSU])
Der Europäische Rat hat am 23. April 2015 klargemacht, dass es jetzt in erster Linie darauf ankommt, Leben zu retten und die Seenotrettung auf dem Mittelmeer zu gewährleisten. Als Sofortmaßnahmen sind die finanziellen Mittel für die Frontex-Operationen Triton und Poseidon verdreifacht worden. Der Einsatzraum der Operation Triton ist bis an die libysche Küste herangeführt worden. Seit Anfang Mai sind zwei deutsche Marineschiffe, die Fregatte „Hessen“ und der Einsatzgruppenversorger „Berlin“, zur Seenotrettung im südlichen Mittelmeer vor Ort. Aber natürlich müssen auch die afrikanischen Staaten ihren völkerrechtlichen Verpflichtungen zur Seenotrettung nachkommen. Ich denke, dass muss in einer solchen Debatte auch erwähnt werden.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)
Ein weiterer Schwerpunkt liegt bei der Bekämpfung der kriminellen Schlepperbanden. Das ist ganz entscheidend; denn natürlich stehen wir vor einem Dilemma: Je mehr Menschen wir retten, desto einfacher machen wir es eben auch den Schleppern. Natürlich ist die Seenotrettung notwendig. Gleichzeitig aber ist es notwendig, die Schlepperbanden zu bekämpfen. Dazu zählt auch die Zerstörung der Schlepperboote, die Zerstörung der Werkzeuge dieser Schlepper, wenn es völkerrechtlich möglich ist.
(Rüdiger Veit [SPD]: Das geschieht doch schon seit Jahren!)
Wir verbessern außerdem die Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern – das ist ganz entscheidend –, insbesondere mit Libyen und Ägypten. Nur so ist es möglich, auch die Fluchtursachen zu bekämpfen.
Herr Kollege Schröder, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Trittin?
Gerne.
Bitte schön.
Herr Kollege Schröder, kann ich Ihre Äußerung, dass es nötig sei, Boote zu zerstören, so verstehen, dass Sie hier namens der Bundesregierung erklären, dass Sie zur Schaffung der völkerrechtlichen Voraussetzungen als Bundesrepublik Deutschland aktiv ein solches Mandat beim Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dafür anstreben? Das wäre ja die Konsequenz Ihrer Äußerung.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: So hat es sich angehört! Das stimmt!)
Diese Frage sollten Sie hier vielleicht einmal beantworten.
Herr Trittin, wir sind uns doch darüber einig, dass es notwendig ist, die Schlepperbanden zu bekämpfen. Ich habe manchmal, wenn ich mir Reden von Mitgliedern Ihrer Fraktion anhöre, das Gefühl, dass Sie die Schlepper mittlerweile als eine humanitäre Organisation ansehen.
(Rüdiger Veit [SPD]: Das ist doch Unsinn!)
Wir müssen das Treiben der Schlepper bekämpfen. Dazu ist es selbstverständlich notwendig, deren Werkzeuge zu zerstören. Das wird ja schon auf hoher See gemacht. Inwieweit das innerhalb der 12-Seemeilen-Zone möglich ist oder sogar auf libyschem Territorium, das wird gerade in der EU diskutiert. Dem Ergebnis kann ich natürlich nicht vorgreifen. In der ersten Phase geht es erst einmal darum, sich überhaupt ein Lagebild zu machen und sich Klarheit darüber zu verschaffen, ob die zweite und die dritte Phase notwendig sind, um die Schlepperbanden wirklich effektiv zu bekämpfen. Ich glaube das schon. Ich stelle aber einmal die Frage zurück. Wollen Sie wirklich sagen – das klang ja aus der Rede von Herrn Koenigs heraus –: „Wir retten, da sind wir uns alle einig; aber die Bekämpfung der Schlepperbanden lassen wir sein“? Das wäre ja Ihre Schlussfolgerung, wenn ich Sie richtig verstanden habe, Herr Trittin.
Meine Damen und Herren, ganz entscheidend ist, dass wir unseren humanitären Verpflichtungen nachkommen, dass wir das ernst nehmen. Das werden wir auch weiter tun. Ganz besonders wichtig ist die Hilfe vor Ort im Nahen und Mittleren Osten. Hiermit erreichen wir die meisten Menschen. Das sehen auch alle Helfer so.
Außerdem haben wir unser nationales Resettlement- Programm für besonders Schutzbedürftige ausgebaut. Wir gehören damit zu den Vorreitern in Europa. Die Kommission ist mit ihrem Vorschlag für ein EU-Resettlement-Programm unserem Ansatz ja auch gefolgt. Jetzt sollte schnell darüber entschieden werden, dass nach Möglichkeit auch alle anderen Mitgliedstaaten diesem Beispiel folgen.
Herr Staatssekretär, es sind noch zwei weitere Zwischenfragen von den Herren Koenigs und Nouripour angemeldet. Wollen Sie die zulassen?
Ich würde angesichts der fortgeschrittenen Zeit eine Zwischenfrage zulassen.
Dann ist es der Kollege Nouripour. Er hatte sich als Erster gemeldet. – Herr Kollege Koenigs, Sie dann nicht.
Bitte. – Ich beantworte eine Zwischenfrage. Sie können sich ja das nächste Mal um mehr Redezeit bemühen.
(Widerspruch bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Herr Staatssekretär, herzlichen Dank, dass Sie die Frage zulassen. Wie wir in unserer Fraktion die Redezeiten verteilen, ist unsere Angelegenheit.
Ich möchte etwas zurückweisen und eine Frage stellen. Zurückweisen möchte ich das, was Sie permanent als Pappkameraden aufstellen: Wir können nicht alle aufnehmen. – Nein, wir können auch nicht alle Chinesen aufnehmen. Das wäre zu viel. Das ist aber hier gar nicht das Thema. Deshalb ist es einfach nur Stimmungsmache, immer davon zu sprechen, dass wir nicht alle aufnehmen können.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)
Ich komme zu meiner Frage. Sie haben ja gesagt, es passiert bereits auf hoher See, dass die Werkzeuge der Schlepper zerstört werden. Das ist so, wie Sie es formuliert haben, nicht richtig. Richtig ist, dass die Fregatte „Hessen“ beispielsweise die Flüchtlinge aufnimmt und dann die leeren Boote zerstört. Das geschieht nicht, weil das Schlepperboote sind, sondern weil es das Internationale Seerecht so will, dass leere Geisterschiffe nicht einfach so herumschippern; denn das wäre eine Gefährdung der Sicherheit.
Wenn Boote draußen sind, befinden sich Menschen in ihnen. Dann kann man sie nicht aus der Luft zerstören. Wie wollen Sie denn – aus der Luft auf einen Hafen schauend, in dem sich ein leeres Boot befindet – beurteilen, ob es ein Fischerboot ist, ob es ein Schlepperboot ist oder ob es vielleicht tagsüber ein Fischerboot und nachts ein Schlepperboot ist? Wie wollen Sie das eigentlich unterscheiden?
(Rüdiger Veit [SPD]: Man muss es sich anschauen!)
Ich glaube, Sie machen den Fehler, den zweiten vor dem ersten Schritt zu machen. Zunächst einmal würde ich es begrüßen, wenn Sie sich, bevor Sie hier mögliche Hindernisse benennen und Probleme formulieren, in einem ersten Schritt einmal dazu bekennen würden, dass es richtig ist, Schlepperboote, wenn sie denn als solche identifiziert werden, zu zerstören. Dieses Bekenntnis zur Bekämpfung der Schlepperkriminalität habe ich von Ihnen bisher nicht gehört, sondern Sie haben bis jetzt nur Probleme formuliert.
Für mich kommt es darauf an, dass wir uns zunächst einmal darüber einig sind, was notwendig ist. Notwendig ist, diesen kriminellen Schleppern und Netzwerken, die mit der humanitären Katastrophe, mit dem Leid der Menschen Millionen verdienen, das Handwerk zu legen. Ich glaube, darüber sollten wir uns erst einmal einig sein.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Natürlich ist es im Einzelfall nicht einfach, zu identifizieren, ob es sich um ein Schlepperboot handelt oder nicht; aber natürlich ist das möglich. Vor diesem Problem stehen wir auch bei anderen internationalen Einsätzen. Natürlich kann man sehen: Ist das ein Fischerboot, das als solches betrieben wird, oder wird dieses Fischerboot unter Umständen als Schlepperboot für den Menschenhandel missbraucht? Es geht vielleicht nicht immer, aber es gibt Möglichkeiten – auch durch internationale Zusammenarbeit, durch Zusammenarbeit mit den Transitländern, beispielsweise durch Informationen, die aus den Häfen kommen –, die Informationen so zu verdichten, um eine solche Entscheidung am Ende zu fällen. Ich glaube, dass Sie nicht nur Hindernisse bei der Bekämpfung der Schlepperkriminalität sehen sollten, sondern dass wir uns gemeinsam dafür einsetzen sollten, dass das, was wir vorsehen, möglich ist, um diese humanitäre Katastrophe zu bekämpfen.
Meine Damen und Herren, für die Bundesregierung kommt es vor allem darauf an, dass wir die unkontrollierte Weiterwanderung und die De-facto-Verteilung nach Deutschland stoppen. Der Vorschlag der Kommission für ein vorläufiges Verteilungssystem zugunsten von Italien und Griechenland geht unseres Erachtens in die richtige Richtung. Das betrifft circa 40 000 Personen. Auf Deutschland entfallen davon insgesamt etwa 8 700.
Dieser Vorstoß stößt innerhalb der Mitgliedstaaten teilweise auf Widerstand. Wir als Bundesregierung unterstützen ihn, auch wenn natürlich noch einige Fragen zu klären sind. Asylbewerber müssen dort versorgt und registriert werden, wo sie ankommen. Wir unterstützen deshalb die Einrichtung von sogenannten Hotspots. Die Asylbewerber, die erkennbar ohne Schutzgrund sind, müssen sofort wieder zurückgeführt werden.
Voraussetzung für die Umverteilung von Asylbewerbern ist in jedem Fall, dass die Mitgliedstaaten das gemeinsame europäische Asylsystem auch konsequent und gleichwertig anwenden. Es geht also darum, dass wir anbieten – insbesondere Italien und Griechenland –, Flüchtlinge zu übernehmen. Im Gegenzug erwarten wir aber auch die Implementation des europäischen Rechts, das heißt Relocation gegen Implementation.
Meine Damen und Herren, wir müssen in Deutschland unsere Hausaufgaben machen, auch innerhalb Europas. Das heißt, wir müssen den Asylmissbrauch in Bezug auf die Westbalkanstaaten effektiv bekämpfen, um genügend Kapazitäten zu haben, um uns um die wirklich Schutzbedürftigen zu kümmern.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Meine Damen und Herren, es muss europäische Aktivitäten geben, wie wir das Problem der Asylbewerber in Europa in den Griff bekommen. Die Bundesregierung stellt sich diesen Aufgaben. Ich fand es wohltuend, lieber Herr Koenigs, dass Sie heute nicht nur Betroffenheit formuliert haben, wie wir das so häufig aus Ihrer Fraktion kennen, sondern sich auch intensiv mit Möglichkeiten der Problemlösung auseinandergesetzt haben; denn genau darum geht es bei diesem komplexen und schwierigen Thema. Ich fordere Sie als Opposition auf, sich an diesem Diskurs zu beteiligen und für Problemlösung zu sorgen. Das ist notwendig in dieser Zeit.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Vielen Dank. – Der Kollege Trittin hat eine Kurzintervention angemeldet. Bitte schön.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5234251 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 110 |
Tagesordnungspunkt | Seenotrettung und EU-Asylpolitik |