Ulla Schmidt - Seenotrettung und EU-Asylpolitik
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Seit anderthalb Jahren bin ich jetzt hier im Bundestag und kann mit dazu beitragen, denen eine Stimme zu geben, die sonst keine Lobby haben. Ich habe verstanden, dass das Bohren dicker Bretter mit ein Teil von Politik ist. Ich finde aber: Wenn es um das Leben von Menschen geht, dann können wir uns nicht mit dem Bohren von Brettern aufhalten. Es sind dabei nicht ausschließlich die über 800 Toten, die wir im vergangenen April zu beklagen hatten. Es sind auch nicht ausschließlich die fast 2 000 Menschen, die in diesem Jahr umgekommen sind, und auch nicht die 366, die im Oktober 2013 umgekommen sind und zu denen ich meine erste Rede hier im Bundestag gehalten habe. Es ist diese unglaublich große Zahl von 25 000 Menschen, die seit Anfang des Jahrtausends beim Versuch, das Mittelmeer zu überqueren, umgekommen sind. 25 000, ich finde, das ist eine unglaublich große Zahl.
(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Seit so langer Zeit sehen wir zu, seit so langer Zeit lassen wir zu, seit so langer Zeit verschließen wir die Augen vor einer menschlichen Tragödie, die sich mit grausamer Alltäglichkeit an unseren Küsten abspielt. Ja, es sind unsere Küsten – es sind nicht die Küsten der Italiener, es sind nicht die Küsten der Griechen und auch nicht die der Malteser –, weil wir Europäerinnen und Europäer uns dazu entschieden haben, dass Europa mehr sein soll als ein gemeinsamer Binnenmarkt, weil wir uns entschieden haben, gemeinsame Werte nach innen und nach außen zu vertreten, gegen alle Widerstände und für das, was uns wichtig ist und woran wir glauben.
Wir beschweren uns zu Recht, wenn andere diese Werte mit Füßen treten, weil sie uns schaden oder bedrohen wollen. Aber was passiert eigentlich, wenn wir diese Werte selbst aus den Augen verlieren? Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Erklärung des Europäischen Rates zur Flüchtlingskatastrophe im Mittelmehr beginnt mit den Worten:
(Rüdiger Veit [SPD]: Schön wär’s!)
– Genau. – Aber was ist seitdem passiert? Ich möchte drei entscheidende Maßnahmen vorstellen, die wir schon lange fordern und die durchaus zur Verbesserung beigetragen haben.
Die erste ist eine Verdreifachung der Finanzmittel für Triton und Poseidon. Inzwischen – das ist meine Information – ist klar, dass es stimmt, was der Staatssekretär gesagt hat, Frau Jelpke: dass Triton sehr wohl bis vor die libysche Küste fahren kann. Das ist eine unglaublich wichtige Maßnahme, weil da – wie Sie es gesagt haben – die meisten Boote starten; deswegen muss Triton auch da vor Ort sein. Das entspricht auch der Forderung aus dem Antrag der Grünen; auch sie fordern die Verdreifachung der Mittel. Deshalb glaube ich, dass das ein ganz entscheidendes Kriterium ist.
Die zweite Maßnahme – darüber haben wir heute schon gesprochen – ist eine verstärkte internationale Zusammenarbeit beim Vorgehen gegen Schlepper. Ich glaube, dass wir uns erst einmal einig sein sollten, entschieden gegen Schlepper vorzugehen; da hat Herr Koenigs recht. Was ich aber nicht sehe, Herr Staatssekretär, ist, dass wir, wie Sie es gesagt haben, den zweiten Schritt vor dem ersten machen, wenn wir uns erst einmal fragen: „Wie kann das Ganze eigentlich faktisch funktionieren, wie können wir das überhaupt realisieren?“, bevor wir die völkerrechtlichen Möglichkeiten prüfen. Ich glaube, dass es an dieser Stelle noch ganz viele Fragezeichen gibt. Auch ich habe von Ihnen dazu noch keine Antwort bekommen, wie das tatsächlich im Einzelnen aussehen soll.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Die dritte Maßnahme – auch die ist entscheidend – ist eine schnelle und gemeinsame Durchsetzung gemeinsamer europäischer Standards. Bevor wir keine gemeinsamen Standards haben und diese nicht auch tatsächlich durchsetzen, werden wir immer wieder Migrationsbewegungen innerhalb der Europäischen Union haben. Deshalb müssen wir da auf jeden Fall heran, und deshalb ist es gut, dass auch diese Maßnahme beschlossen wurde.
Die Europäische Kommission hat in ihrer Migrationsagenda weitere Maßnahmen vorgestellt. Dazu gehört unter anderem, dass 40 000 Flüchtlinge aus Griechenland und Italien auf der Grundlage eines Verteilungsschlüssels umzusiedeln sind, zum Zweiten, dass wir in den nächsten zwei Jahren 20 000 Flüchtlinge aufnehmen und diese neu ansiedeln werden. Das Dritte – das ist zumindest eine Möglichkeit der erweiterten legalen Migration –ist die Überarbeitung der Bluecard-Regelung für hochqualifizierte Arbeitskräfte. Ich sage eindeutig: Auch das ist eine Maßnahme. – Ich wünsche mir aber, dass weitere hinzukommen.
Ich finde, das sind wichtige Schritte, die zeigen: Der Wille, hier zumindest auf der europäischen Ebene etwas zu ändern – ich rede noch nicht über die Mitgliedstaaten –, ist endlich da. Das ist auch gut so, meine Damen und Herren, dafür hat sich unsere Bundesregierung lange starkgemacht. Wir sind an dieser Stelle – das ist mein Eindruck – schon sehr viel weiter, als wir es noch vor wenigen Wochen waren.
(Beifall bei der SPD)
Einige der von Ihnen in den Anträgen aufgeführten Punkte haben sich damit erledigt. Bei anderen gibt es weiterhin einen Dissens. An anderen Stellen sollten wir – da bin ich mit Ihnen einig – durchaus noch weiter Druck machen. Ich glaube, dass diese Migrationsagenda ein guter Schritt in die richtige Richtung ist. Aber es muss unbedingt noch weiter gehen.
Wo es aber weiterhin einen Dissens gibt – Sie fordern es wieder in Ihrem Antrag –, ist das Free-Choice-Verfahren, das wir ablehnen. Free Choice bedeutet, dass sich jeder Flüchtling den Mitgliedstaat aussuchen kann, in dem er seinen Asylantrag stellt. Wir haben die Befürchtung, dass es dann zu einer Reduzierung der Standards kommt, weil die Mitgliedstaaten hoffen: Je geringer die Standards sind, desto weniger Flüchtlinge kommen zu uns. – Deshalb lehnen wir das entschieden ab. Wir glauben, dass das auch im Sinne der Flüchtlinge ist, die zu uns kommen.
Es gibt einen zweiten Punkt, bei dem noch ein eindeutiger Dissens besteht.
Frau Kollegin Kampmann, ich muss Sie an die Zeit erinnern. Jetzt bitte nicht noch „zweitens“, „drittens“, „viertens“, sondern bitte zum Schluss kommen!
Es gibt nur noch „zweitens“, liebe Frau Präsidentin; das betrifft die Abschaffung von Frontex. Auch da können wir nicht zustimmen. Wir sagen aber, dass es eindeutig ein Seenotrettungsmandat von Frontex geben muss. Wir hatten dieses Thema diese Woche im Innenausschuss. Da wurde eindeutig gesagt: Das macht einen großen Teil der Arbeit von Frontex aus. Deshalb ist es nur ehrlich, wenn wir hier ein rechtliches Seenotrettungsmandat hinbekommen. – Dafür werden wir uns weiter starkmachen. Ich glaube, dass wir dann auf dem richtigen Weg sind und weiter in eine gute Richtung gehen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Nina Warken, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5234321 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 110 |
Tagesordnungspunkt | Seenotrettung und EU-Asylpolitik |