Lars CastellucciSPD - Seenotrettung und EU-Asylpolitik
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist daran erinnert worden, dass im April schätzungsweise 800 Menschen im Mittelmeer zu Tode gekommen sind. Es ist gesagt worden, dies sei der Fall gewesen, weil sie sich auf diesen Weg begeben hätten. Sie hätten sich auf den Weg über das Mittelmeer begeben müssen, und sie seien im Inneren dieses Bootes zusammengepfercht worden.
Zur Ehrlichkeit gehört aber auch: Sie sind umgekommen, weil Europa nicht geholfen hat.
(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Unsere Verabredung in der Bundestagsdebatte war, dass wir das nicht noch einmal zulassen wollen. Jetzt ist die Frage: Haben wir heute eine Seenotrettung, die der Lage angemessen ist, ja oder nein? Ich weiß es nicht.
Ich sehe, dass sich viel bewegt hat. Ich sehe, dass viele europäische Staaten Schiffe entsenden.
(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele nicht!)
Ich sehe, dass die italienische Regierung das Programm Mare Sicuro gestartet hat, das Rettungseinsätze bis vor die libysche Küste umfasst.
Es ist nicht so, Frau Jelpke, dass Flüchtlinge nur im Notfall gerettet werden, sondern im Notfall müssen Flüchtlinge gerettet werden. Das bedeutet Seenotrettung. Ich weiß nicht, was Sie an dieser Stelle kritisieren wollten.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Frontex!)
Zurzeit ist es so, dass die Dichte von Schiffen im Mittelmeer zugenommen hat und damit die Wahrscheinlichkeit, dass Flüchtlinge, die in Seenot geraten, rechtzeitig aufgefunden werden können, gestiegen ist.
Ich habe einige befremdliche Sitzungen hinter mir, in denen es um Listen ging, wie hoch die Zahlen bei Mare Nostrum waren und wie hoch sie jetzt sind und wie viele Fregatten und Helikopter im Einsatz waren. Ich muss Ihnen sagen: Das ist mir völlig egal.
(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist keine koordinierte Seenotrettung!)
Denn die einzige politische Frage, die wir zu beantworten haben, ist: Ist das, was zurzeit vorhanden ist, der aktuellen humanitären Lage angemessen? Wir müssen uns dafür einsetzen, dass es angemessen ist.
(Beifall bei der SPD)
Wir waren mit der Deutsch-Italienischen Parlamentariergruppe in Italien und haben dort mit Verantwortlichen gesprochen. Sie haben uns klar gesagt, im Moment sähen sie, dass die Ressourcen gestiegen sind und dass es viel europäische Unterstützung gibt. Das sind gute Nachrichten. Dazu muss man sagen: Diese Aufstockung erfolgte erst nach der Katastrophe. Jeder, der in der Kommunalpolitik ist, kennt das: Bevor ein Zebrastreifen aufgemalt wird, muss erst etwas passieren.
Die Kapazitäten werden aber möglicherweise nicht reichen, wenn es noch einmal zu einer solchen Katastrophe wie im April kommt, bei der die Menschen gerettet und an Land transportiert werden müssen, und im gleichen Moment ein Signal vom anderen Ende des Mittelmeers gesendet wird. Das war auch eine Aussage, die wir von den Verantwortlichen auf den Schiffen gehört haben. Mit anderen Worten: Wir werden in den nächsten Wochen immer weiter und minutiös beobachten müssen, ob die Kapazitäten reichen. Wenn sie nicht reichen, muss dort auch mehr passieren; denn unsere erste Aufgabe ist, Leben zu schützen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])
Wenn die Menschen an Land transportiert worden sind, dann stellt sich die Frage: Was passiert dann? Die Präfektin von Catania hat uns sehr eindrücklich gesagt: Vielen Dank, dass die Dänen, die Briten und die Deutschen Schiffe entsenden, aber sie bringen all diese Menschen zu uns nach Catania, einer Stadt mit 300 000 Einwohnern. – Deswegen kämpfen wir auch dafür, dass es einen europäischen Verteilungsschlüssel gibt.
(Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)
Das ist selbstverständlich. Es muss eine größere europäische Solidarität geben.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Man kann sich in Europa nicht immer nur das heraussuchen, wovon man etwas hat und profitiert, sondern man muss auch die Lasten teilen. Es wäre sogar gut, wenn wir Flüchtlinge nicht als Lasten begreifen würden; denn die Bevölkerung unseres Kontinents altert und schrumpft. Wenn Menschen zu uns kommen, die einen großen Lebenshunger haben, die sich mit ihren Familien ein neues Leben aufbauen wollen und die Kompetenzen besitzen, die vielleicht hier oder dort gebraucht werden, dann ist das auch eine Chance für unseren Kontinent, und diese Chance müssen wir auch bestmöglich nutzen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])
Einen Punkt will ich noch verstärkt betonen, nachdem ich für den Rückweg von Italien diese Zeitschrift, den aktuellen L‘Espresso, mitgenommen habe.
(Der Redner hält eine Zeitschrift hoch – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)
– Ja, so heißt sie. Das hat aber einen sehr ernsten Hintergrund, weil sie eine Fotoserie von Menschen enthält, die sich auf Flüchtlingsbooten auf dem Meer befinden. – Ich muss wirklich klar sagen: Ich bitte alle in diesem Haus darum, hier kein Aber oder irgendwelche anderen Relativierungen zu gebrauchen, wenn es um Schleuser und Schlepper geht, sondern mit uns gemeinsam dafür zu kämpfen, dass wir diesen Verbrechern das Handwerk legen. Das steht auf der Tagesordnung.
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)
Sie können sich die Bilder in dieser Zeitschrift anschauen. Die Menschen haben nichts am Leibe, das Holzboot geht unter, und das Schlauchboot nebenan entfernt sich immer weiter. Es hatte nicht genügend Platz für alle Menschen und ist gar nicht mehr für alle erreichbar. – Die Menschen werden von schlimmsten Verbrechern ins Elend und in den Tod gestürzt. Denen müssen wir selbstverständlich das Handwerk legen. Das ist eine ganz zentrale Aufgabe,
(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
und hier darf es wirklich keine Relativierungen geben, zu denen es in diesem Hause immer wieder kommt.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war überzeugend, das war gut!)
Vielen Dank. – Jetzt hat Andrea Lindholz, CDU/ CSU-Fraktion, das Wort.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5234348 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 110 |
Tagesordnungspunkt | Seenotrettung und EU-Asylpolitik |