17.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 111 / Tagesordnungspunkt 1

Annette Widmann-Mauz - Hospiz- und Palliativversorgung

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Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Am Ende eines Lebens, dann, wenn nicht mehr die Frage, ob, sondern nur noch, wann und wie man sterben wird, im Mittelpunkt steht, geht es in erster Linie darum, den Menschen Ängste zu nehmen, Schmerzen zu lindern und Raum und Zeit für Begegnung, Zuwendung, Nähe, Geborgenheit und Mitmenschlichkeit zu ermöglichen. Oft bleiben nur Monate, Wochen oder Tage, in denen wir mehr Leben, mehr Lebensqualität geben können. Das ist das Ziel der Hospizbewegung und der Palliativmedizin, und wir wollen sie darin unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Heute beraten wir in erster Lesung den Gesetzentwurf zur Verbesserung der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland – und nicht, wie man aufgrund der Berichterstattung im Fernsehen heute Morgen hätte vermuten können, einen Gesetzentwurf zum assistierten Suizid. Unser Ziel ist es, dass allen Menschen in Deutschland in Zukunft ein möglichst flächendeckendes Angebot dieser Hospiz- und Palliativleistungen zur Verfügung steht.

Dieses Gesetz betrifft einen Bereich unseres Lebens, der uns allen nahegeht, weil wir ihn alle irgendwann vor uns haben. Wir wissen oder ahnen, wie herausfordernd es ist, einen schwerstkranken oder sterbenden Angehörigen zu versorgen und zu begleiten. Es ist eine innere Zerreißprobe zwischen Hinwendung und Überforderung, Nähe und schmerzvollem Miteinander.

Viel ist in diesem Bereich in den vergangenen Jahren geschehen, vor allem dank des Einsatzes der Hospizbewegung. Neben denjenigen, die in der Hospiz- und Palliativversorgung arbeiten, engagieren sich circa 80 000 Menschen ehrenamtlich in diesem Bereich.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Die Bundesregierung und die Koalitionsfraktionen messen daher dem weiteren Auf- und Ausbau der Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland eine hohe Bedeutung zu. Wir wollen erreichen, dass die Palliativmedizin und die Hospizkultur möglichst überall dort zum Tragen kommen, wo Menschen sterben: zu Hause oder im Hospiz, aber natürlich auch in Krankenhäusern und in Pflegeheimen, in den Städten genauso wie auf dem Land.

Konkret bedeutet dies: Die Palliativversorgung wird ausdrücklicher Bestandteil der Regelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung. Zur Steigerung der Qualität der Palliativversorgung, zur Zusatzqualifikation der Ärzte und Pflegekräfte sowie zur besseren Vernetzung mit und Koordinierung von allen anderen an der Versorgung beteiligten Berufsgruppen und Einrichtungen wird es mit diesem Gesetz zusätzlich vergütete Leistungen geben.

Ihre letzte Lebensphase wollen viele Menschen zu Hause verbringen. Damit die weißen Flecken in der Palliativversorgung, die es noch gibt, von der Landkarte verschwinden, ist die häusliche Krankenpflege in der ambulanten Palliativversorgung von erheblicher Bedeutung. Dass palliative Leistungen auch zur häuslichen Krankenpflege gehören und sie auch für einen längeren Zeitraum als die üblichen vier Wochen verordnet werden können, wird daher ausdrücklich in diesem Gesetz festgeschrieben. Der Gemeinsame Bundesausschuss wird damit beauftragt, die Richtlinie über die Verordnung von häuslicher Krankenpflege entsprechend zu überarbeiten.

Viele Menschen, liebe Kolleginnen und Kollegen, wollen oder können allerdings nicht zu Hause gepflegt werden. Für sie sind zum Beispiel stationäre Hospize ein guter Ort, um die ihnen noch verbleibende Zeit zu verbringen. Die finanzielle Ausstattung stationärer Kinder- und Erwachsenenhospize wird deshalb verbessert, zum Beispiel durch die Erhöhung des Mindestzuschusses der Krankenkassen, damit derzeit unterdurchschnittlich finanzierte Hospize einen höheren Tagessatz je betreuter Person erhalten können. Zudem tragen die Krankenkassen künftig einheitlich 95 Prozent statt bisher 90 Prozent der zuschussfähigen Kosten. Damit reduziert sich der Kostenanteil, den Hospize durch Spenden aufbringen müssen, ohne dass sie ihren Charakter, nämlich den des bürgerschaftlichen Engagements und der engen Verankerung in der Zivilgesellschaft, verlieren oder er ihnen genommen wird. Denn dieser Charakter prägt und trägt die Hospizbewegung. Es ist uns wichtig, das auch bei diesen Finanzfragen immer wieder zum Ausdruck zu bringen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei den Zuschüssen für ambulante Hospizdienste können künftig neben den Personalkosten – ebenfalls entgegen manchem Medienbericht – auch die Sachkosten berücksichtigt werden. Zudem wird ein angemessenes Verhältnis von haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeitern sichergestellt. Wir wollen, dass ambulante Hospizdienste stärker in die Sterbebegleitung in Pflegeheimen einbezogen werden und Krankenhäuser künftig Hospizdienste mit Sterbebegleitungen auch in ihren Einrichtungen beauftragen können.

Zur Stärkung der Hospizkultur und der Palliativversorgung in den Pflegeheimen wird die Sterbebegleitung zukünftig ausdrücklicher Bestandteil des Versorgungsauftrags der sozialen Pflegeversicherung. Auch Kooperationsverträge mit Haus- und Fachärzten, die für die medizinische Versorgung der Bewohnerinnen und Bewohner besonders wichtig sind, werden in Zukunft nicht länger freiwillig sein. Ärzte, die diese Verantwortung und diese Herausforderung annehmen und sich daran beteiligen, werden in Zukunft dafür flankierend zusätzliche Vergütungen erhalten.

Für die Krankenhäuser haben wir vorgesehen, dass anstelle der Fallpauschalenlogik in Zukunft auch krankenhausindividuelle Entgelte für Palliativstationen mit den Krankenhausträgern vereinbart werden können – dann, wenn die Krankenhäuser dies wünschen.

Schließlich, meine Damen, meine Herren, wollen wir sicherstellen, dass Menschen am Ende ihres Lebens die Unterstützung und Betreuung erhalten, die sie sich vorstellen. Wir alle wissen: Über Sorgen und Befürchtungen, Werte und Wünsche zu sprechen, ist in dieser Lebensphase oft ein schwieriger und auch angstbesetzter Prozess, mit dem sich viele überfordert und manche auch alleingelassen fühlen. Diese Klärung gibt aber all den Betroffenen Sicherheit und stellt darüber hinaus für alle an diesem Prozess Beteiligten – die Angehörigen, die behandelnden Ärzte und die Pflegekräfte – eine ganz wichtige Leitlinie für ihren Umgang mit den Patientinnen und Patienten und für ihre Arbeit dar. Deshalb sehen wir im Gesetzentwurf – neben dem dringend notwendigen Anspruch auf Beratung zum Leistungsangebot in der Palliativ- und Hospizversorgung durch die gesetzlichen Krankenkassen – erstmals in Deutschland eine individuelle, ganzheitliche Beratung zu den Hilfen und Angeboten in den Bereichen der medizinisch-pflegerischen, psychosozialen und seelsorgerlichen Betreuung und Versorgung in der letzten Lebensphase in den stationären Pflegeeinrichtungen vor. Das ist ein neues Element, und damit sind wir Vorreiter in Europa.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Wir können, meine sehr verehrten Damen und Herren, insgesamt auf den positiven Erfahrungen und den Entwicklungen der letzten Jahre aufbauen. Vieles ist in Bewegung. Dazu beigetragen hat nicht nur, dass wir über alle Parteigrenzen hinweg gemeinsam einen breiten politischen Konsens aufbauen konnten. Dazu beigetragen hat vor allem auch, dass die vielen Akteure in den jeweiligen Verantwortungsbereichen in diesem besonderen Feld der Gesundheitspolitik mit großem Engagement aktiv zusammengearbeitet haben, ob das nun im Charta-Prozess oder im Nationalen Forum „Hospiz- und Palliativversorgung in Deutschland“ im Bundesgesundheitsministerium war. Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedanken –

Frau Kollegin.

– ich komme zum letzten Satz –; denn ich habe die Diskussionen als ausgesprochen konstruktiv und produktiv empfunden. Die Hospizkultur hat damit auch einen positiven Einfluss auf die politische Kultur gehabt. Ich freue mich auf die Beratungen im Deutschen Bundestag.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Für die Fraktion Die Linke hat nun die Kollegin Pia Zimmermann das Wort.

(Beifall bei der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5260604
Wahlperiode 18
Sitzung 111
Tagesordnungspunkt Hospiz- und Palliativversorgung
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