18.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 112 / Tagesordnungspunkt 6

Lisa PausDIE GRÜNEN - Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag, -geld, -zuschlag

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Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin Schwesig, wir haben heute den 18. Juni 2015. Anderthalb Jahre hat diese Große Koalition, haben Sie und Herr Schäuble uns warten lassen auf das sogenannte Familienpaket. Immer wieder wurde es verschoben mit dem Hinweis, es solle noch besser und gerechter werden; man verhandle, damit mehr als nur das Notwendigste herauskommt. Was werden Sie heute verabschieden? Es ist weniger als das Notwendigste. Das ist Koalitionsmathematik, und diese geht so: Für 2015 und 2016 machen Sie tatsächlich das Notwendigste, also das, was verfassungsrechtlich gemacht werden muss, um das Existenzminimum von Kindern zu wahren. Dabei kommen 4 Euro mehr Kindergeld für 2015 und 2 Euro mehr Kindergeld für 2016 sowie ein höherer Kinderfreibetrag heraus, und das machen Sie noch mit sechs Monaten Verspätung.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was ist aber mit 2014? Wegen Ihrer anderthalbjährigen Gespräche haben Sie das Jahr 2014 einfach ausgelassen. Das bedeutet in der Summe: Sie machen nicht mehr, sondern weniger als das verfassungsrechtlich Notwendige. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie machen das sehenden Auges; denn bereits im Existenzminimumbericht der Regierung von 2012 wird festgestellt, dass der Kinderfreibetrag im Jahre 2014 angehoben werden muss. Die Merkel-Regierung hatte im Jahre 2012 auch angekündigt, das termingerecht zu tun. Das hat nicht ganz geklappt. Sie haben es nicht getan. Sie haben es 2013 nicht getan, Sie haben es 2014 nicht getan, und Sie tun es auch nicht im Jahr 2015. Sie setzen ganz dreist darauf, dass schon keiner wegen entgangener maximal 72 Euro pro Kind klagen wird. Das finde ich schäbig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Dabei haben sich die Experten durch die Bank bei der Anhörung klar geäußert, vom Familienbund der Katholiken bis zum Neuen Verband der Lohnsteuerhilfevereine. Um es mit den Worten des namhaften Verfassungsrechtlers Professor Dr. Joachim Wieland zu sagen: Ein Verzicht auf eine rückwirkende Erhöhung ab 2014 hat das Merkmal eindeutiger Verfassungswidrigkeit. – Aber Sie wollen das heute einfach unter den Tisch fallen lassen. Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen. Deswegen haben wir heute einen Änderungsantrag eingebracht, über den wir namentlich abstimmen lassen werden, der nicht mehr, aber eben auch nicht weniger will, als dass die Verfassung durchgängig in allen Jahren eingehalten wird, eben auch im Jahr 2014.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir fordern Sie damit ein letztes Mal auf: Wenn Sie es schon zeitlich nicht hinbekommen, dann gestehen Sie den Familien in Deutschland zumindest rückwirkend ihr Verfassungsrecht auf die steuerliche Freistellung des sächlichen Existenzminimums und ein höheres Kindergeld zu.

Wenn ein Gesetzentwurf nicht einmal verfassungsrechtliche Normen einhält, dann verwundert es eigentlich kaum, dass er auch das politisch Notwendige nicht macht. Aber auch das muss man trotzdem einmal aussprechen. Mit diesem Gesetz bleibt das Dreiklassensystem in Deutschland in Bezug auf Kinder bestehen. Das heißt, der Großen Koalition, den beiden Volksparteien sind Kinder aus wohlhabenden Familien immer noch mehr wert als Kinder aus Mittelschichtsfamilien, und Kinder aus Hartz-IV-Familien gehen komplett leer aus. Das Ganze in Euro: Während 2015 die normale Mittelschichtsfamilie ganze 4 Euro Kindergeld pro Monat, also 48 Euro pro Jahr, mehr bekommt, sind es 68 Euro und damit 20 Euro mehr für eine Familie mit einem Kind, die ein Jahreseinkommen von über 250 000 Euro hat. In der Summe heißt das: Im Jahr 2015 wird es so sein, dass dank der Großen Koalition aus CDU, CSU und SPD eine Familie mit mehr als 250 000 Euro 1 139 Euro pro Kind mehr vom Staat bekommt als Familien, die über weniger als 60 000 Euro im Jahr verfügen. Und Sie nennen sich Volksparteien! Ich finde, Sie sollten sich schämen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Nur eines kann man Ihnen zugutehalten, nämlich dass Sie die rückwirkende Kindergelderhöhung in diesem Jahr von 4 Euro nicht vom Kinderregelsatz abziehen werden. Das machen Sie allerdings nicht aus Gutmenschentum, sondern weil die Bürokratiekosten dafür über 100 Millionen Euro betragen würden. Das ist daher eine gute Maßnahme.

Jetzt sagt die SPD: Okay, das ist in den anderthalb Jahren nicht so gut gelaufen. – Frau Schwesig hat von den ursprünglichen Plänen zur Angleichung von Kindergeld und Kinderfreibetrag leider nichts durchsetzen können. Auch die vollmundig geforderten 10 Euro Kindergelderhöhung wird es nicht geben. Aber schließlich haben Sie etwas für die Alleinerziehenden erreicht. Der Entlastungsbetrag wird erhöht. Das stimmt, und das finden wir ausdrücklich gut.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber es hat schon wirklich wehgetan, mit ansehen zu müssen, mit welcher tumben Ignoranz die Alleinerziehenden von Herrn Schäuble und von breiten Kreisen der CDU behandelt wurden, wie aus den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts entstiegen, als sei Schäuble ernsthaft der Meinung, dass Alleinerziehende mit Kindern auch heute noch keine Familien sind, zumindest keine richtigen. Vielleicht war es dann nur folgerichtig, dass ausgerechnet die Seniorenvertretung der Union da weiter war als der Herr in der Wilhelmstraße, vielleicht mit Blick auf ihre eigenen verlorenen Söhne und Töchter, und den Finanzminister öffentlich aufforderte, seinen Widerstand gegen die überfällige Anhebung des Entlastungsbetrags aufzugeben.

Die geplante Anhebung bewirkt bei einem mittleren Steuersatz, dass sie jetzt 45 Euro statt 30 Euro Entlastung pro Monat haben. Wie gesagt, das ist gut; aber es bleibt immer noch so: Im Vergleich zu Ehepaaren, die – mit und ohne Kinder – durch das Ehegattensplitting um bis zu 15 000 Euro im Jahr entlastet werden, ist das immer noch eine sehr geringe Summe. Diese Anhebung machen Sie nach elf Jahren. Das war überfällig. Außerdem hat in der Anhörung der Verband alleinerziehender Mütter und Väter deutlich gemacht: Eine reine Erhöhung des Entlastungsbetrages geht leider an über 60 Prozent der Alleinerziehenden vorbei, weil sie ihn in seiner bisherigen Form nicht in Anspruch nehmen können, zum Beispiel weil ein Kind volljährig ist, aber noch im Haushalt wohnt, oder weil eben über 40 Prozent von ihnen zu wenig verdienen und deshalb auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, oder, oder, oder.

Deutlich mehr Alleinerziehende würden profitieren, wenn der Entlastungsbetrag, wie wir es vorschlagen, umgewandelt würde zu einem Alleinerziehendenabsetzbetrag, also einem Betrag, der von der Steuerschuld abgezogen wird. Von einem solchen Absetzbetrag würden alle steuerpflichtigen Alleinerziehenden profitieren. Aber auch dazu hat es bei Ihnen nicht gereicht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Wäre die dann errechnete Einkommensteuer so niedrig, dass sich der Absetzbetrag nicht auswirken würde, dann käme es zu einer Steuergutschrift in Höhe des Absetzbetrages, und somit würden insbesondere auch Alleinerziehende mit niedrigem Erwerbseinkommen von einer im Steuerrecht verankerten Förderung profitieren. Weitere zentrale Baustellen sind Sie gar nicht erst angegangen.

Ich fasse zusammen: Diese Koalition mit dieser CDU schafft keinen substanziellen Abbau der Benachteiligung von Alleinerziehenden.

(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Das ist die pure Unwahrheit!)

Das zu sehen, schmerzt noch mehr, wenn man das wochenlange unwürdige Gezänk um 200 Millionen Euro mehr oder weniger für Alleinerziehende vergleicht mit der plötzlich über Nacht entschiedenen und verkündeten Steuerentlastung von 1,5 Milliarden Euro zur berühmt- berüchtigten Bekämpfung der kalten Progression, die dann einfach per Änderungsantrag in diesen Gesetzentwurf geschoben wurde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Koalition, man kann den Einkommensteuertarif auf Rädern gut oder schlecht finden; aber was man eben – jedenfalls normalerweise – nicht machen kann, das ist, eine inflationär begründete Verschiebung dieses Tarifs vorzunehmen, wenn es gar keine Inflation gibt. Ihr eigenes Ministerium hat in seinem ersten Bericht zur kalten Progression geschrieben, dass es aller Voraussicht nach keine kalte Progression im Jahr 2016 geben wird wegen der niedrigen Inflationsrate und weil die Anhebung des Grundfreibetrages, die im Gesetz schon drinsteht, diese niedrige Inflationsrate bereits über den Tarifverlauf kompensiert. Ich frage Sie: Ist das jetzt Ihre neue Masche – Probleme zu lösen, die es überhaupt nicht gibt? Erst die Ausländermaut, die ein Problem löst, das es ohne sie gar nicht gegeben hätte, und jetzt die Bekämpfung der kalten Progression, die es qua Definition bei null Inflation gar nicht gibt, also gar nicht geben kann?

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Ich komme zum Schluss.

Wenn Ihre Politik nur noch zum Symbol verkommt und Milliarden kostet, dann hat diese Regierung wirklich abgewirtschaftet und jeden Respekt vor den Wählerinnen und Wählern verspielt.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist alles falsch, aber dick aufgetragen!)

Noch ein letzter Appell: Seien Sie zumindest verfassungskonform, und stimmen Sie deswegen unserem Änderungsantrag und damit der rückwirkenden Erhöhung des Kindergeldes und des Kinderfreibetrages für 2014 zu!

Herzlichen Dank.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Markus Koob von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5266179
Wahlperiode 18
Sitzung 112
Tagesordnungspunkt Grundfreibetrag, Kinderfreibetrag, -geld, -zuschlag
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