18.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 112 / Tagesordnungspunkt 7 + ZP 1

Johannes KahrsSPD - Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare

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Geschätzte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben eben vom Kollegen Weinberg, den ich sehr schätze, weil er ein Hamburger Kollege ist, gehört, dass die Union eine wertegebundene Politik betreibt. Ich finde, wertegebundene Politik ist richtig. Wir Sozialdemokraten betreiben sie,

(Dr. Katarina Barley [SPD]: Seit über 150 Jahren!)

die Grünen betreiben sie; wir alle haben Werte, für die wir stehen. Die Frage ist: Für welche Werte steht denn die Union?

Seitdem ich im Deutschen Bundestag bin, seit 1998, kämpft die CDU/CSU immer gegen die Gleichstellung von Lesben und Schwulen. Jeden Fortschritt, den es gegeben hat, hat es gegeben, weil sich Rot-Grün durchgesetzt hat oder weil das Bundesverfassungsgericht etwas dazu gesagt hat. Aber es hat nie irgendeine Form von Fortschritt gegeben, weil die CDU/CSU etwas wollte oder gemacht hat. Sie sind immer genötigt worden oder Sie mussten, aber freiwillig haben Sie nichts getan. Das ist in meinen Augen Diskriminierung. Was Sie hier betreiben, wenn Sie sagen, dass Sie keine Öffnung der Ehe wollen, ist Folgendes: Sie behandeln hier Menschen nicht gleich. Das ist Diskriminierung. Wenn das die wertegebundene Politik ist, von der Sie hier reden, Kollege Weinberg, dann ist das nach meiner Meinung kein Wert, für den man hier kämpfen sollte,

(Beifall des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE])

kein Wert, der es wert ist, im Deutschen Bundestag propagiert zu werden. Sie sollten zusehen, dass Sie – vielleicht auf dem Parteitag in Karlsruhe – mal die Kurve kriegen, damit Sie wieder Werte vertreten, die in dieser Republik anerkannt sind und auch wir alle hier vertreten.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich glaube, dass wir diese Debatte natürlich jede Woche führen können. Seit 1998 haben wir das Gott sei Dank nicht gemacht; da haben wir das alle zwei bis drei Monate gemacht. Trotzdem hat es bei der Union in der Sache relativ wenig bewirkt.

Die Kollegin Sabine Sütterlin-Waack, die ich sehr schätze, hat darum gebeten, CDU und CSU mehr Zeit zu geben, um das als Volksparteien diskutieren zu können und die Gesellschaft mitnehmen zu können. Seit 1998 diskutieren wir diese Frage. Die Gesellschaft hat inzwischen die Union in jeder Kurve überholt. Die Gesellschaft ist weiter als die Union.

(Michaela Noll [CDU/CSU]: Das stimmt nicht!)

Mit wem wollen Sie denn diskutieren außer mit sich selber?

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Da wäre es doch vielleicht ganz gut, wenn die Union den Ratschlag annähme, den zum Beispiel der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche Deutschlands gegeben hat: Öffnen Sie die Ehe! – Begründet hat er das damit, dass die Öffnung der Ehe der traditionellen Form der Ehe nichts nimmt, sondern sogar ihre Bedeutung unterstreicht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Also hören Sie auf die evangelische Kirche! Als Protestant finde ich: Das ist immer eine gute Sache.

Schauen wir uns die Wirklichkeit doch einmal an – wir haben ja gerade über Adoption geredet –: Inzwischen leben 22 Prozent der Kinder in Baden-Württemberg nicht in klassischen ehelichen Familienverhältnissen; in Hamburg sind es 37 Prozent und in Berlin 49 Prozent. Die Lebensrealität stellt sich anders dar. Gerade in den Großstädten dominieren Alleinerziehende und alternative Familienkonzepte. Das muss man nicht immer gut finden; aber das hat dazu geführt, dass Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, meine sehr geschätzten Koalitionspartner, in keiner einzigen deutschen Großstadt mehr regieren.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Seitdem Frau Merkel im Amt ist, hat die Union in keiner einzigen deutschen Großstadt eine Wahl gewonnen.

(Zuruf von der CDU/CSU: Stimmt ja gar nicht!)

Das sollten Sie sich einmal vor Augen führen und vielleicht Ihrer Parteivorsitzenden einmal einen klugen Tipp geben.

In der Sache ist es so: Man kann einer gesellschaftlichen Entwicklung nicht dauerhaft hinterherlaufen. Ich kann nicht wollen, dass das bei unserem Koalitionspartner dauerhaft so ist. Deshalb wollen wir Ihnen jetzt helfen. Nach 20, 25 Jahren sollten Sie Ihre Debatte vielleicht einmal abschließen, schauen, wofür die Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland ist und wie es sich in der Mehrheit der Länder in Europa verhält, und sich einen Ruck geben. Im wahren Leben geht es doch darum, sich selbst zu überwinden, und nicht darum, dass die Familie sich überwindet. So kommt man vorwärts. Das bekommen wir allerdings nur gemeinsam hin. Da wir mit Ihnen eine Koalition bilden und viele gute Dinge mit Ihnen gemeinsam auf den Weg bringen – wir haben zusammen mit der Union den Mindestlohn beschlossen, die doppelte Staatsbürgerschaft beschlossen

(Zuruf von der CDU/CSU: Wir haben die Maut beschlossen!)

und die Gleichstellung der Frauen vorangetrieben –, könnten Sie auch an dieser Stelle einen Schritt weitergehen. Ich glaube, dass Frau Merkel keine Angst haben muss, rechte oder ganz rechte Wähler zu verlieren. Ich glaube, die hat sie eh schon verloren. Das haben Sie geschafft, als Sie die Wehrpflicht abgeschafft und andere Dinge beschlossen haben. Hier geht es in der Sache einzig und allein darum, darauf zu achten, dass man als Union die Entwicklung nicht komplett verpennt.

Eine letzte Bemerkung zu Frau Lay von der Linken sei mir gestattet. Sie haben hier gesagt, wir sollten Koalitionsbruch begehen und hier mit den Linken und den Grünen dafürstimmen. Ehrlich gesagt: Wären Sie in irgendeiner Form koalitionsfähig, könnte man darüber nachdenken.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)

Die Kollegen aus den neuen Ländern sind, ehrlich gesagt, relativ pragmatisch. In vielen Ländern regieren wir zusammen; das funktioniert auch ganz gut. Zu den Kollegen aus den westlichen Bundesländern muss man allerdings sagen: Mit so einem Haufen von politischen Irrläufern kann und wird die SPD nicht koalieren.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Jetzt kann ich nur Joschka Fischer zitieren: Mit Verlaub, Herr Kahrs, Sie sind ein …! Erinnern Sie sich an Joschka Fischer? Der Spruch passt auch auf Sie gut! Mann, unterirdisch!)

Das werden auch die Grünen nicht tun. Das wird nicht stattfinden. Deswegen war dieser Vorschlag vergiftet und dümmlich.

Vielen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5266500
Wahlperiode 18
Sitzung 112
Tagesordnungspunkt Eheverbot für gleichgeschlechtliche Paare
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