18.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 112 / Zusatzpunkt 3

Heinz-Joachim BarchmannSPD - Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ob nun „Pkw-Maut“ oder „Infrastrukturabgabe“ – dass die Pläne von Verkehrsminister Dobrindt und seinem Parteivorsitzenden eines der umstrittenen Projekte der Großen Koalition sind, wurde hier bereits ausführlich diskutiert. Und man muss es noch einmal in aller Ehrlichkeit sagen: Dafür, dass wir von der SPD Vorhaben in den Koalitionsvertrag schreiben konnten, die unser Land voranbringen und von denen wir absolut überzeugt sind – wie zum Beispiel den Mindestlohn, der bereits heute sehr vielen Menschen in Deutschland hilft –, mussten wir auch Punkte akzeptieren, die uns vielleicht nicht so gut passen.

Die CSU hat die Maut in den Koalitionsvertrag hineinverhandelt. Nein, sie ist weiß Gott nicht unser Herzensprojekt. Aber so funktioniert eben Demokratie. Dass die Maut im Bundestag verabschiedet wurde, ist vor allen Dingen der Koalitionsdisziplin zu verdanken.

(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)

Die einen bringen ihr Projekt durch und die anderen ein anderes, und am Ende sind alle einigermaßen zufrieden.

Was mich daran stört, ist allerdings etwas anderes, und deshalb freue ich mich, heute als Europapolitiker zur Maut sprechen zu können.

Als Sozialdemokraten haben wir der Maut unter drei Bedingungen zugestimmt: Es muss ein substanzieller Beitrag für die Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur erwirtschaftet werden. Es darf kein deutscher Autofahrer zusätzlich belastet werden. Und: Die gesetzliche Regelung muss mit dem europäischen Recht vereinbar sein.

Ob die geplanten Überschüsse generiert werden können und die Maut damit ihren gesetzlichen Zweck erfüllen kann – nämlich den Erhalt der Infrastruktur –, darüber wird die Zukunft entscheiden. Auch die Fragen, ob die Gesetzesvorhaben europarechtskonform sind und wen die Maut schließlich finanziell belastet, stehen weiterhin im Raum.

Das Gesetzgebungsvorhaben besteht aus zwei Teilen: Die Maut selbst soll durch ein Infrastrukturabgabengesetz eingeführt werden, das im Wesentlichen für Inländer und Ausländer gleichermaßen gilt. Durch ein weiteres Gesetz soll Fahrzeughaltern, die Kfz-Steuer zahlen, eine Steuerentlastung in gleicher Höhe gewährt werden, um eine Doppelbelastung durch die Kraftfahrzeugsteuer zu vermeiden.

Im europäischen Recht – das gilt auch in Deutschland – besteht der Grundsatz der Unionstreue. Danach unterstützen die Mitgliedstaaten die Union bei der Erfüllung ihrer Aufgaben und unterlassen alle Maßnahmen, die die Union gefährden könnten. Durch die Konstruktion des Gesetzesvorhabens mit der Einführung der Maut bei gleichzeitigem Ausgleich über die Kfz-Steuer ist aus meiner Sicht ein europarechtswidriger Diskriminierungstatbestand gegenüber EU-Ausländern durchaus ersichtlich.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Aha!)

Aus dem Verkehrsministerium wird hingegen immer wieder darauf verwiesen, dass die EU gar nicht zuständig sei. Es sei klar geregelt, dass die Steuern in der nationalen Hoheit eines jeden Landes selbst liegen. Ja, die Steuern sind nationale Kompetenz; das wurde eben schon gesagt.

Aber ganz egal, ob eine Kompetenz auf nationaler oder auf europäischer Ebene liegt: Wichtig ist die Gleichbehandlung in der ganzen EU. Eine Ungleichbehandlung kann auch von nationalen Gesetzen ausgehen. In solchen Fällen muss die Europäische Kommission eben zwangsläufig eingreifen, so wie sie das jetzt auch tut.

Die Kombination aus der gleichzeitigen und in der Höhe gleich bemessenen Entlastung deutscher Autofahrer wirft zumindest die Frage auf, ob hier eine unzulässige Benachteiligung von EU-Ausländern vorliegt. Wenn schon so etwas für die Maut gebraucht wird, dann muss sie gesetzlich auf einer einwandfreien und stabilen Basis stehen. Über die rechtlichen Fragen hat aktuell der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zu entscheiden, und man muss abwarten, wie diese Entscheidung letztlich ausfällt.

Wenn die Mautpläne aber tatsächlich vom EuGH beanstandet werden, dann werden die Richter sehr wahrscheinlich nicht beide Teile des Gesetzesvorhabens kippen. Das Mautgesetz selbst werden sie kaum infrage stellen können, sehr wohl aber das Verrechnungssystem mit der Kfz-Steuer, das deutsche Autofahrer bevorzugt.

(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann gibt es die Maut für alle! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das heißt: Maut für alle!)

Letztlich würde dann das Entlastungsgesetz durch den EuGH „kassiert“, und die Maut selbst bliebe bestehen, und zwar zulasten aller, auch und ganz besonders zulasten der deutschen Autofahrer.

Meine Befürchtung liegt darin, dass die Verantwortung für die Mehrbelastung deutscher Autofahrer anschließend in gewohnter Manier auf die Europäische Union und ihre Institutionen geschoben wird. Das machen einige im Südosten Europas bereits heute, wenn sie sich andauernd über die ständige Einmischung der EU in nationale Gesetzgebungskompetenzen beschweren. Aber genau in diese Richtung geht auch die aktuelle Argumentation: dass die EU aufgrund der nationalen Steuerhoheit gar nicht zuständig sei. Doch sie ist zuständig, wenn es um Diskriminierungstatbestände geht. Wenn die Maut für alle kommt, dann wird man auch dazu stehen müssen, dass Bürgerinnen und Bürger Mehrbelastungen spüren, und man muss sagen können, woher die Maut kommt: in diesem Fall nämlich nicht aus Brüssel, sondern aus Bayern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie müssen nun zum Schluss kommen, Herr Kollege Barchmann.

(Andreas Scheuer [CDU/CSU]: Das ist, glaube ich, auch besser!)

Ja. – Die Kommission achtet nur darauf, dass andere bei uns nicht diskriminiert werden, wie auch wir anderswo nicht diskriminiert werden wollen. Die Aufgaben der EU ständig infrage zu stellen, ist scheinheilig; denn diese Kritik schadet Europa und damit letztlich auch uns selbst.

Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank. – Als Nächster hat Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5266608
Wahlperiode 18
Sitzung 112
Tagesordnungspunkt Aktuelle Stunde zur Pkw-Maut
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