18.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 112 / Tagesordnungspunkt 8

Dietmar NietanSPD - Weltweite Lage der Religions- und Glaubensfreiheit

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

So lautet eine der Schlussfolgerungen des „Ökumenischen Berichts zur Religionsfreiheit von Christen weltweit“, den vor zwei Jahren die Deutsche Bischofskonferenz und der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland gemeinsam vorgelegt haben. Dieses Zitat macht deutlich, dass Religionsfreiheit nicht irgendein schönes Menschenrecht, sondern ein elementares Menschenrecht ist; denn für gläubige Menschen ist ihre Religion, ihr Glaube konstitutiver Teil ihres Menschseins. Wenn man den einschränkt oder ihnen diesen Teil nimmt, ist das ein Angriff auf das elementare Menschsein.

Weil das so ist, macht es auch Sinn – deshalb bin ich dankbar für diesen Antrag –, dass die Bundesrepublik einen entsprechenden Bericht verfasst. Darin sehe ich eine Chance; denn wenn die Bundesregierung als Organ eines säkularen, weltanschaulich neutralen Staates einen solchen Bericht vorlegt, dann steht er nicht im Verdacht, eine bestimmte Religion zu bevorzugen oder zu benachteiligen. Es muss dann aber auch deutlich werden, dass es nicht darum geht, irgendeine Religion in den Vordergrund zu stellen. Wir machen uns nicht zum Anwalt einer Religion, sondern zum Anwalt von Menschen, denen ein elementares Grundrecht genommen wird und die wegen ihres Glaubens oft sogar verfolgt und umgebracht werden.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Frank Heinrich [Chemnitz] [CDU/CSU])

Mindestens genauso wichtig für unsere Glaubwürdigkeit als Anwalt für Religionsfreiheit ist aber auch, wie wir es mit der Religionsfreiheit im eigenen Lande halten. Hier geht es nicht darum, dass es etwa in Deutschland staatliche Verfolgung im Sinne, dass hier Religionsfreiheit eingeschränkt wird, geben würde, sondern es geht mir viel mehr um die Frage der Haltung, des Umgangs und der Toleranz gegenüber der Ausübung von Religion im öffentlichen Raum. Religion ist eben keine Privatsache, die man aus dem öffentlichen Raum verbannen kann. Religionsfreiheit ist in Deutschland aus meiner Sicht schon dann tangiert, wenn zum Beispiel eine junge Christin in der Mensa einer öffentlichen Universität als rückschrittlich betrachtet wird und sich dumme Kommentare anhören muss, wenn sie sich vor dem Essen bekreuzigt. Hier müssen wir uns überlegen, ob wir in der Gesellschaft unterhalb der Schwelle von Übergriffen eine Tendenz zu wachsender Religionsfeindlichkeit sehen, die darin besteht, dass Menschen, die religiös sind, als von vorgestern, als nicht modern abgestempelt werden, als Menschen, die mit dem Zeigen ihres Glaubens in der Öffentlichkeit das allgemeine Wohlbefinden stören. Ich finde, da müssen wir als Politik mit gutem Beispiel vorangehen.

Was meine ich damit? Wir müssen zum Beispiel sicherstellen, dass sich jüdische Mitbürger in diesem Land überhaupt nicht die Frage stellen, ob sie, wenn sie aus dem Haus gehen, ihre Kippa aufsetzen oder aus Sicherheitsgründen nicht. Wir müssen sicherstellen, dass wir auch nicht der Versuchung unterliegen, im politischen Klein-Klein aus Ängsten Kapital zu schlagen, wenn irgendwo vor Ort die Frage eines Moscheebaus, der auch städtebaulich prägend sichtbar ist, verunglimpft wird.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wir müssen aber auch überlegen, wie wir bei allen unterschiedlichen Meinungen, die es dazu geben muss, zum Beispiel auch mit der Frage umgehen, dass Amtsträgerinnen und Amtsträger religiöse Symbole tragen. Ich sage sehr deutlich: Wer meint, dass Lehrerinnen muslimischen Glaubens kein Kopftuch in der Schule tragen dürfen, der muss dann auch kontrollieren, ob Lehrerinnen und Lehrer christlichen Glaubens mit einer Halskette, an der ein Kreuz hängt, in den Unterricht gehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

An dieser Stelle warne ich davor, dass eine Debatte, in der man glaubt, das Religiöse aus dem Raum des Öffentlichen verbannen zu können, am Ende dazu führt, dass wir über ganz andere Formen von Religionsfeindlichkeit auch hier bei uns reden müssen. Ich glaube, deshalb ist es wichtig, dass auch wir als Politik für religiöse Toleranz eintreten, allerdings gilt das auch für Kirchen und Religionsgemeinschaften. Auch diese müssen in ihrem täglichen Reden, aber auch Tun zeigen, dass sie gegenüber Andersgläubigen Toleranz üben, dass sie aber auch offen mit denen umgehen, die nicht glauben. Ich bin mir nicht bei jeder Äußerung von Religionsgemeinschaftsvertretern sicher, dass das verinnerlicht worden ist.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Bundespräsident Johannes Rau hat im Jahre 2004 in einer großen Rede zum 275. Geburtstag Gotthold Ephraim Lessings Folgendes gesagt:

Wenn wir im eigenen Land diese Frage nach der Toleranz und Wertschätzung des anderen in vorbildlicher Weise angehen, werden wir auch in unserem Bemühen um weltweite Religionsfreiheit glaubwürdig und damit erfolgreich sein.

Herzlichen Dank.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5266987
Wahlperiode 18
Sitzung 112
Tagesordnungspunkt Weltweite Lage der Religions- und Glaubensfreiheit
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine