18.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 112 / Tagesordnungspunkt 10

Astrid FreudensteinCDU/CSU - Armuts- und Reichtumsberichterstattung

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Vor vier Monaten hat der Paritätische Wohlfahrtsverband seinen Armutsbericht vorgestellt. „ Armut in Deutschland auf Höchststand“ stand darin als Fazit, und der Hauptgeschäftsführer sprach von einem „armutspolitischen Erdrutsch“. Viele Medien berichteten darüber, und viele haben dies quasi als Überschrift auch so übernommen.

Dieser Bericht vom Paritätischen Wohlfahrtsverband ist ein Ritual. Er kommt immer wieder heraus. Ich lese die Meldungen natürlich trotzdem, und sie schrecken mich zunächst auch auf. Ich habe dann darüber nachgedacht, wo die darin beschriebenen Zustände, diese angeblich massenhafte Verarmung, in unserem Land zutage treten. Ich war auch wieder ein bisschen ratlos. Aber ich war nicht die Einzige, der das so ging. Nach einigen Tagen setzte bei vielen ein Prozess des Nachdenkens ein. Immer mehr Journalisten, Wissenschaftler und Politiker schauten sich den Bericht offenbar genauer an und stellten dann tatsächlich auch kritische Fragen, ob das denn wirklich so sein kann, ob es tatsächlich so viele arme Menschen in Deutschland gibt. Was ist Armut überhaupt? Ist dieser Bericht nicht vielleicht auch von Interessen geleitet?

Ich möchte hier nicht über die Definition von Armut sprechen,

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das ist das Problem!)

die diesem Bericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbands zugrunde liegt. Ich möchte anhand dieses Beispiels nur zeigen, dass Zahlen und Statistiken unterschiedlich interpretiert und bewertet werden können. Das gilt nicht nur bei uns in der Politik; das gilt auch in der Wissenschaft. In den Sozialwissenschaften ist das sogar eine Art Grundprinzip. Deshalb wird jeder Bericht, egal ob er vom Paritätischen Wohlfahrtsverband oder von der Bundesregierung stammt, mit dem Vorwurf zu kämpfen haben, dass die Zahlen falsch interpretiert werden. Das liegt nahezu in der Natur der Sache.

Bei dem jetzt anstehenden Fünften Armuts- und Reichtumsbericht der Bundesregierung sind mit dem Beraterkreis und dem Gutachtergremium die wesentlichen Akteure, die wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Akteure, beteiligt. Außerdem ist das zugrundeliegende Datenmaterial komplett offengelegt. Mehr Transparenz, meine Damen und Herren, meine ich, geht nicht. Man kann der Bundesregierung also beim besten Willen nicht vorwerfen, hier irgendetwas zu verschleiern. Eine unabhängige Kommission, wie Sie sie nun fordern, die mit „Interessenvertretungen der von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffenen Personen“ besetzt ist, wäre tatsächlich auch nicht wirklich völlig unabhängig. Was Sie verlangen, ist de facto – ich drücke es einmal so aus – ein sozialistisches Komitee zur Bekämpfung von Ungleichheit im kapitalistischen Deutschland –

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Das haben Sie jetzt aber schön gesagt! – Beifall des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU])

– Sie hätten es kaum schöner sagen können, Herr Kollege –,

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Nein! Wir haben es schon viel schöner gesagt in unserem Zukunftsmanifest!)

an dessen Erkenntnissen am besten keine Kritik geäußert werden darf, weil sie wohl eher die reine Wahrheit sind.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Meinungsfreiheit!)

Die Handlungsempfehlungen dieser Kommission sollten dann auch direkt von Regierung und Parlament übernommen werden, was im Übrigen nicht mit meinem Verständnis von demokratisch gewählten Parlamentariern übereinstimmt. Wir sind ja schließlich keine Erfüllungsgehilfen einer Antiarmutskommission.

(Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Ja!)

Meine Damen und Herren von der Linken, Sie bezeichnen soziale Ungleichheit als „Ausfluss des kapitalistischen Produktions- und Verteilungsprozesses“. Da fiel mir schon glatt die Situation Ende der 80er-Jahre in der DDR ein. Die dortigen, ja nun nicht so kapitalistischen Produktions- und Verteilungsprozesse hatten dazu geführt, dass ein Fünftel der Bevölkerung vier Fünftel des Vermögens besessen hat. Das mit der sozialen Gleichheit war Ihrer Vorgängerpartei also trotz des fehlenden Kapitalismus offenbar auch nicht wirklich geglückt.

(Katja Kipping [DIE LINKE]: Wir haben halt gelernt! – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Vorvorgängerpartei!)

Wenn wir heute über die Situation in Deutschland sprechen, meine ich, könnte man zumindest diese Antikapitalismusrhetorik einfach einmal weglassen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katja Kipping [DIE LINKE]: Wenn ich Antikapitalismusrhetorik mache, klingt das anders!)

Ungleichheit entsteht im Übrigen zwangsläufig immer und überall dort, wo Menschen etwas unternehmen, vor allem wenn sie wirtschaftlich etwas unternehmen. Es ist eben nicht so, dass Ungleichheit ausschließlich strukturell oder schicksalhaft eintritt. Ungleichheit ist tatsächlich auch die Konsequenz unterschiedlicher Bildungs- und Ausbildungsbereitschaft. Sie ist auch die Folge von unterschiedlichem Arbeitseinsatz und von unterschiedlichen Vorstellungen vom eigenen Leben. Unsere Aufgabe in der Politik ist es, diese Ungleichheiten, wie auch immer sie entstehen, abzufedern. Der soziale Friede und der gesellschaftliche Zusammenhalt, das sind die Ziele unserer Sozialpolitik. Es sind eben nicht diese idealisierten Vorstellungen absoluter Gleichheit. Ich meine, dass die soziale Marktwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten bewiesen hat, dass sie dafür der richtige Weg ist. Was verhindert wirklich Armut in unserem Land? Es ist Ausbildung, und es ist Arbeit, gute und ordentlich bezahlte Arbeit.

(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Arbeit einfach fair entlohnt wird, dann ändert sich auch schon mal viel!)

Hier in Deutschland arbeiten immer mehr Menschen. Deshalb nimmt die Einkommensungleichheit auch nach und nach ab.

(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Tut sie nicht! – Gegenruf des Abg. Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Doch! – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie bleibt bestenfalls gleich!)

Das ist grundsätzlich eine gute Entwicklung. Auch mit Maßnahmen, die wir hier schon ergriffen haben, zum Beispiel mit dem Rentenpaket oder der Mütterrente, sinkt das Risiko für Frauen, im Alter arm zu sein. Sie sehen also: Wir nehmen Armut natürlich nicht einfach hin. Das darf Politik auch nicht. Aber ich kann mit Ihrem Gerechtigkeitsbegriff, der allein auf Gleichmacherei und Umverteilung setzt, wenig anfangen. Wir leben heute in einem sozialen Rechtsstaat. Nicht nur die ganz große Mehrheit der Menschen in unserem Land, sondern auch viele Theoretiker sehen vor allem die Chancengerechtigkeit als ganz entscheidend für unsere Zukunft an. Genau dafür müssen wir sorgen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist nämlich völlig unstrittig, dass jedes Kind in unserem Land ganz nach seiner Begabung bestmöglich gefördert werden muss, ganz egal, aus welchem Elternhaus es kommt. Es ist auch völlig unstrittig, dass jeder Jugendliche, der ausbildungsfähig und ausbildungswillig ist, eine Ausbildung bekommen muss. Das ist mein Verständnis von Gerechtigkeit. Mit Ihren Umverteilungsideen hat das wenig zu tun. Ich meine auch, dass der Armuts- und Reichtumsbericht dafür nicht herhalten muss.

Danke schön.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist die Kollegin Dagmar Schmidt, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5267390
Wahlperiode 18
Sitzung 112
Tagesordnungspunkt Armuts- und Reichtumsberichterstattung
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