18.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. EP / Session 112 / Tagesordnungspunkt 10

Dagmar SchmidtSPD - Armuts- und Reichtumsberichterstattung

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Sehr geehrte Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Was macht Armut mit Menschen? Sie haben eine schlechtere Gesundheit und leben kürzer. Armut grenzt aus. Am schlimmsten betrifft es die Kinder: Jedes fünfte Kind ist arm. Arm sein, was heißt das? Laut WSI oder IAB ist es so, dass jedes fünfte arme Kind in der Wohnung nicht ausreichend Platz hat, jedes dritte bekommt keine Brille und keine neue Kleidung bezahlt. Sieben von zehn armen Kindern können kein Kino, Konzert oder Theater und acht von zehn kein Restaurant besuchen. Sie sind also nicht dabei, wenn ihre Freundinnen und Freunde ihre Freizeit gestalten. Sie können das normale soziale Leben ihrer Klassenkameradinnen und -kameraden nicht teilen. Das ist eines reichen Landes unwürdig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Meine Vorrednerinnen und Vorredner haben die Lage beschrieben, wie sie nicht einmal in dem auch von uns scharf kritisierten Vierten Armuts- und Reichtumsbericht geleugnet wurde.

Deutschland ist ein starkes und reiches, aber in manchen Bereichen und für viele Menschen auch ein ungerechtes Land. Die Vermögensentwicklung ist zunehmend ungleicher, die Lohnentwicklung blieb hinter der Produktivitätsentwicklung zurück. Der Druck auf die Mittelschicht nahm zu und damit auch der Druck auf den Sozialstaat insgesamt. Das Auseinanderdriften der Einkommen und Vermögen, der anwachsende Niedriglohnsektor gefährden den gesellschaftlichen sozialen Zusammenhalt und sind ökonomisch riskant. Deswegen haben wir nicht lange darüber diskutiert, wie der alte Armuts- und Reichtumsbericht aussah, sondern wir haben gehandelt. Wir haben zuallererst den Arbeitsmarkt ins Visier genommen und mit dem Mindestlohn erstmals in Deutschland eine untere Entlohnungsgrenze eingezogen, eine der größten deutschen Sozialreformen, die 3,7 Millionen Menschen geholfen hat. Darauf sind wir stolz.

(Beifall bei der SPD)

Aber damit allein ist es nicht getan. Wir brauchen wieder starke Tarifpartner und gerechte Löhne. Deswegen haben wir mit der Erleichterung der Allgemeinverbindlichkeitserklärung, der Öffnung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes Wichtiges getan. Aber auch mit der Stärkung der Tariftreue im Vergabegesetz werden wir für bessere Löhne sorgen. Und wie Sie sich vorstellen können, sind wir auch darauf sehr stolz.

Es gibt nicht den einen Hebel zur Armutsbekämpfung, aber wir nehmen die verschiedenen Armutsrisiken ins Visier.

Das erste Armutsrisiko ist Arbeitslosigkeit, vor allem Langzeitarbeitslosigkeit. Hier nehmen wir uns einiges vor. Der Weg in Arbeit soll nachhaltig sein. Deswegen gibt es jetzt mehr Beratung, Begleitung und Zielgenauigkeit. Wir legen einen Schwerpunkt auf Menschen mit gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Menschen, die Kinder versorgen.

Das zweite große Armutsrisiko ist eine fehlende Berufsausbildung. Mit der Allianz für Aus- und Weiterbildung lassen wir der Wirtschaft das Argument, „die sind alle nicht ausbildungstauglich“, nicht mehr durchgehen. 20 000 zusätzliche Ausbildungsplätze sind eine Hausnummer. Die assistierte Ausbildung ist für viele junge Menschen eine wichtige Stütze auf dem Weg ins Berufsleben. Wir setzen die Einstiegsqualifizierung, die große Erfolge gezeitigt hat, mit 20 000 Plätzen jährlich fort, und wir stärken die Berufsorientierung, die Weiterbildung und die Nachqualifizierung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir wollen die zweite, manchmal auch die dritte oder vierte Chance; denn das ist allemal mehr wert, als die Transferleistung für den Einzelnen und für die Gesellschaft.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Krankheit ist ein weiteres Armutsrisiko. Deswegen haben wir mit dem Rentenpaket auch für Verbesserungen in der Erwerbsminderungsrente gesorgt. Aber wir stärken vor allem – und das nicht nur mit dem Präventionsgesetz – die Gesundheitsprävention insgesamt. Gesundheitsschutz ist Armutsprävention, auch daran arbeiten wir.

Ich komme zu einem besonders skandalösen Armutsrisiko: alleinerziehend zu sein oder viele Kinder zu haben. Drei Dinge brauchen Familien: Geld, Zeit und gute Betreuung. Deswegen erhöhen wir zur finanziellen Besserstellung von Familien den Kinderfreibetrag, das Kindergeld und den Kinderzuschlag. Wir hätten uns das alles schneller und auch mehr vorstellen können.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Zweiklassengesellschaft für Kinder!)

Es war uns aber besonders wichtig, endlich den Steuerfreibetrag für Alleinerziehende zu erhöhen. An dieser Stelle ein Dankeschön an Manuela Schwesig, dass sie nicht nachgelassen hat und die Erhöhung des Steuerfreibetrages für Alleinerziehende durchsetzen konnte.

(Beifall bei der SPD – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon haben die Armen nicht so viel!)

Mehr Zeit, das heißt Zeit für Kinder und trotzdem ein sicheres Auskommen. Den Weg beschreiten wir mit dem Elterngeld Plus. Das heißt aber auch, zwischen Teilzeit und Vollzeit frei wählen zu können. Deswegen werden wir das Rückkehrrecht in Vollzeit gesetzlich verankern.

(Beifall bei der SPD)

Um arbeiten zu gehen und die Familie ernähren zu können, muss die Betreuung stimmen. Deswegen haben wir in Betreuung investiert und das Sondervermögen Kinderbetreuungsfinanzierung auf 1 Milliarde Euro angehoben.

Ja, Deutschland ist ein starkes und reiches Land, aber eben auch in manchen Bereichen und für viele Menschen ein ungerechtes. Ich bin stolz darauf, dass wir es in den ersten anderthalb Jahren der Großen Koalition geschafft haben, Deutschland gerechter zu machen.

Glück auf!

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Electoral Period 18
Session 112
Agenda Item Armuts- und Reichtumsberichterstattung
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