Kai GehringDIE GRÜNEN - Investitionen in die Wissenschaft
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor knapp einem Jahr hat Ministerin Wanka ihr neues Domizil bezogen, den Neubau des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
(Dr. Philipp Lengsfeld [CDU/CSU]: Schönes Haus!)
Darin ist alles vom Feinsten: Büros mit Tageslicht, barrierefrei, inklusiv, kreative Sitzecken. Ausgezeichnet wurde das Gebäude mit dem Goldstandard für nachhaltiges Bauen. Es ist quasi CO 2 -neutral, durch und durch ein grünes Haus. Chapeau dazu!
(Beifall bei der CDU/CSU)
Ganz anders hingegen sieht es vielerorts an Universitäten und Fachhochschulen aus: Die Bauten bröckeln. Die Ausstattung ist veraltet. Hörsäle sind überfüllt. Es regnet hinein. – Jahrelange Unterfinanzierung hat zu Substanzverlust geführt. Bröckelnde Unis sind ein Trauerspiel und bedeuten eine schleichende Verschuldung zulasten künftiger Studierender und Forscher. Dazu kommt: Die meisten Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftler hangeln sich von Zeitvertrag zu Zeitvertrag. Beides wollen wir ändern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Wir legen heute ein grünes Investitionsprogramm für den Wissenschaftsstandort Deutschland vor, für kreative Köpfe und innovative Räume; denn sie sind zentrale Quellen für künftigen Wohlstand. Höhere Investitionen können ein Wissenschaftswunder initiieren, das unserem Land mehr Fantasie, Vielfalt und Fortschritt bringt. Wir laden Sie von der Koalition und Sie von den Linken ein, mitzumachen.
Unser Investitionsprogramm ist umso wichtiger für Sie von der Koalition, als Ihre Ministerin Wanka bisher keine einzige eigene Idee entwickelt hat. Es reicht nicht, bloß das Erbe der Wissenschaftspakte von Frau Bulmahn und Frau Schavan zu verwalten, genauso wenig wie folgenlose halbherzige Verfassungsänderungen. Wer sich auf Erreichtem ausruht, raubt Studierenden und Wissenschaftlern Chancen und riskiert die Zukunftsfähigkeit unseres Wissenschaftssystems.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Da klatscht noch nicht einmal die Linke!)
Wir helfen der Wissenschaft und einer ideenlosen Ministerin auf die Sprünge.
Vier Punkte sind besonders wichtig:
Erstens. Für Hochschulbau und Forschungsgeräte gibt der Bund bis Ende 2019 jährlich 1 Milliarde Euro. Bröckelnde Bauten zeigen, dass dringend deutlich mehr investiert werden muss. Die Länder haben erkannt, dass der Wegfall der Gemeinschaftsaufgabe „Hochschulbau“ durch die Föderalismusreform 2006 ein schwerer Fehler war, gerade angesichts unterschiedlicher Haushaltslagen in den Ländern und der Schuldenbremse. Wir fordern daher kurzfristig ein Modernisierungsprogramm für die Infrastruktur des Wissens.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])
Bis 2020 sollen Bauten und Ausstattung wieder auf der Höhe der Zeit sein. Von den Hörsälen bis zu den Bibliotheken, von der digitalen Informationsinfrastruktur über Forschungsgeräte bis hin zu den Wohnheimplätzen, überall herrscht Mangel. Um diesen zu beseitigen, wollen wir jährlich mindestens 2 Milliarden Euro zusätzlich in die Hand nehmen. Das brächte einen Schub.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Tatsächlich sind es 1,2 Milliarden Euro pro Jahr!)
Zweitens müssen wir eine dauerhafte Lösung für die Infrastruktur des Wissens finden. Wir müssen weitere Lücken schließen, zum Beispiel bei Forschungsinfrastrukturen, deren Bedarfe zwischen 5 Millionen und 50 Millionen Euro liegen. Trotz Bedarf gibt es hierfür kein Programm. Darauf hat unter anderem die DFG mehrfach hingewiesen.
An die Hochschulbauinfrastruktur stellen wir übrigens besondere qualitative Ansprüche. Es ist von einer Lebensdauer von rund 50 Jahren auszugehen. Daher ist der tagesaktuell billigste Bau nicht der beste.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielmehr müssen die Stätten der Wissenschaft Referenzbauten für Klimaneutralität, Ökologie und Nachhaltigkeit sein. Es bedarf herausragender Forschungs- und Lehrgebäude. Solche Gebäude dürfen keine Energieverschwender sein.
Wir brauchen eine Diskussion über Bedarfe und Anforderungen an die Infrastruktur des Wissens dringend; das fordert auch der Wissenschaftsrat. Der Bund darf sich dieser Debatte nicht verweigern.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Drittens muss endlich etwas für den wissenschaftlichen Nachwuchs getan werden. Ein Schritt ist die überfällige Novelle zum Wissenschaftszeitvertragsgesetz. Wir Grüne und die Linksfraktion haben die Nase voll von Ihrer Verschleppungstaktik in der Koalition. Deshalb haben wir gemeinsam für den 29. Juni eine Anhörung des Forschungsausschusses im Bundestag durchgesetzt. Die Debatte muss raus aus den Hinterzimmern und hinein in Parlament und Öffentlichkeit.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir werden Sie angenehm überraschen!)
Unsere grüne Novelle – auch Sie wissen das – liegt seit einem Jahr vor und kann von Ihnen noch vor der Sommerpause beschlossen werden. Sie von der Koalition müssen es nur wollen.
Das alleine aber reicht nicht. Deshalb schlagen wir Grüne einen weiteren Schritt vor. Ab 2016 soll ein Bund-Länder-Programm für 10 000 zusätzliche Nachwuchsstellen mit Langfristperspektive – vom Mittelbau bis zur Tenure-Track-Professur – sorgen.
(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wieso nur 10 000? Warum nicht 40 000?)
Denn wir wollen Perspektiven, verlässliche Verträge und klare Karrierewege in der Wissenschaft schaffen. Alles andere ist fahrlässig für den Wissenschaftsstandort.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Ein Wissenschaftswunder braucht auch privates Engagement. Deshalb wollen wir viertens kleine und mittlere Unternehmen bei Forschung und Entwicklung unterstützen, und zwar durch eine steuerliche Forschungsförderung. Diese Unternehmen sollen eine Steuergutschrift für all das bekommen, was sie für Forschung und Entwicklung ausgegeben haben.
(René Röspel [SPD]: Das habt ihr aber auch schon präziser formuliert!)
Es ist höchste Zeit für eine solche steuerliche Forschungsförderung zugunsten von KMUs.
All diese Vorschläge bringen unser Innovationssystem und damit unsere Gesellschaft voran und machen aus Universitäten, Fachhochschulen und Unternehmen noch attraktivere Denk- und Kreativräume; denn nicht nur Frau Wanka, sondern auch andere haben Goldstandard verdient.
Unsere Initialzündung für ein Wissenschaftswunder kann der Koalition helfen, falsche Prioritätensetzungen zu korrigieren, zum Beispiel das 10-Milliarden-Euro-Schäuble-Investitionsprogramm. Es ist echt erschreckend, welch antiquiertes und verstaubtes Investitionsverständnis dem zugrunde liegt. Keinen einzigen müden Cent gibt es darin für Bildung und Wissenschaft. Falscher geht es nicht. Genau in diesen Bereichen wird Zukunft vorbereitet und werden Chancen ermöglicht.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)
Herr Kollege, Sie denken doch an die Zeit?
Ein Wissenschaftswunder ist keine Hexerei, sondern das kann erarbeitet werden. Machen Sie mit, es zu initiieren, für sichere Karrierewege in der Wissenschaft, für moderne und ökologische Infrastrukturen des Wissens, für mehr Forschung durch kleine und mittlere Unternehmen. Darum muss es jetzt gehen. Dazu haben wir einen konzeptionellen Aufschlag gemacht. Jetzt sind Sie dran.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5267578 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 112 |
Tagesordnungspunkt | Investitionen in die Wissenschaft |