Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Demnächst jährt sich zum zweiten Mal der Abschluss des NSU-Untersuchungsausschusses. NSU ist das Kürzel für eine Nazibande. Über zehn Jahre zog sie raubend und mordend durch Deutschland, angeblich unerkannt und offenbar ungehindert.
Das Kürzel NSU steht aber auch für ein komplettes Staatsversagen. Deshalb enthielt der Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses auch 47 dringende Forderungen, was zu ändern sei. Also gefragt: Sind diese Änderungen inzwischen umgesetzt? Bei einigen ist das nicht einfach mit Ja oder Nein zu beantworten, andere brauchen Zeit. Aber insgesamt geht es mir, geht es der Linken zu langsam. Mehr Konsequenz ist längst überfällig.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Hinzu kommen politische Aktivitäten, die vorgeben, Missstände in Sicherheitsbehörden zu beheben, es aber nicht wirklich tun. Dazu gehört der neue Gesetzentwurf für den Verfassungsschutz – ein Placebo, wie etliche Experten auch im Innenausschuss fanden. Übel werden geregelt, statt behoben. Wir werden diesen Gesetzentwurf daher in der nächsten Sitzungswoche ablehnen.
Als Lehre aus dem NSU-Desaster hat die Linke nunmehr drei weitere Anträge gestellt. Wir wollen erstens eine unabhängige Polizeibeschwerdestelle auf Bundesebene, zweitens ein Aufenthaltsrecht für Opfer rechtsextremer Gewalt und drittens eine solidere Basis für Initiativen gegen Rechtsextremismus.
(Beifall bei der LINKEN)
Alle drei Anträge sind auch im Sinne der Opfer des NSU-Netzwerkes und gehen gleichwohl darüber hinaus. Sie wollen unser aller Demokratie stärken.
Zur unabhängigen Polizeibeschwerdestelle. Ich unterstelle im NSU-Komplex keinem Beamten Rassismus; aber die Ermittlungen trugen nahezu durchweg rassistische Züge. Die Opfer und Hinterbliebenen der Mordserie wurden als Täter verdächtigt und so von Amts wegen ein zweites Mal zu Opfern gemacht. Niemand nahm ihre Einwände, Hinweise und Beschwerden ernst. Es gab für sie einfach keinen Ansprechpartner, schon gar nicht einen unvoreingenommenen. Ich finde, das kann so nicht bleiben.
(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Eine unabhängige Beschwerdestelle wäre übrigens zugleich ein Angebot für Polizistinnen und Polizisten. Auch sie hätten einen Partner, wenn sie Unzulänglichkeiten im Dienst wahrnehmen und ihre Vorgesetzten nicht als Partner, die unvoreingenommen sind, erfahren. Zahlreiche Bürgerrechtsverbände und humanistische Organisationen fordern dies seit längerem – die Linke auch.
Ich komme zum zweiten Antrag, zum Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt. Rechtsextreme Gewalt nimmt bundesweit zu, insbesondere gegen Flüchtlinge und ihre Heime, gegen Migranten und ihr Umfeld insgesamt. Es ist höchste Zeit, dagegen Zeichen zu setzen – demonstrativ und faktisch. Die betroffenen Menschen brauchen unsere Solidarität, und sie brauchen Sicherheit. Deshalb will die Linke, dass von Gewalt Betroffene einen Aufenthaltsstatus erhalten, sofern sie noch keinen haben oder nur geduldet sind.
(Beifall bei der LINKEN)
Das würde obendrein den Gewalttätern auch jedwede Genugtuung – nach dem Kumpanei-Motto „Wir greifen an, und der Staat schiebt an“ – nehmen.
Ich möchte das Problem und das Anliegen anhand von zwei Beispielen illustrieren. Vor wenigen Wochen sollte ein 28-jähriger Asylsuchender aus dem Iran, der am Anklamer Bahnhof im November 2014 von Rechten angegriffen wurde, nach Italien abgeschoben werden. Die Ausländerbehörde hatte dies angeordnet, obwohl der Betroffene Zeuge und Opfer einer schweren Straftat wurde und die Täter bislang nicht vor Gericht standen.
Ähnlich erging es einem algerischen Asylsuchenden. Er war im Juni 2013 in Dresden rassistisch beleidigt und zusammengeschlagen worden. Die Staatsanwaltschaft erhob Anklage gegen den Täter. Der Betroffene wollte und sollte im Prozess als Nebenkläger auftreten. Doch dann verlängerte die Ausländerbehörde den Aufenthaltsstatus des Algeriers nicht mehr. So konnte er weder im Gerichtsprozess gegen die Täter aussagen noch seine Rechte als Nebenkläger wahrnehmen.
Leider sind diese beiden Fälle keine Ausnahmen. Deshalb muss die Regel zugunsten der Opfer geändert werden. Genau das ist der Sinn unseres Antrages.
(Beifall bei der LINKEN)
Zur Förderung gesellschaftlicher Initiativen gegen Rechtsextremismus: Diese engagieren sich vor Ort für Demokratie und Toleranz – die meisten hochprofessionell. Mithin sind sie unverzichtbar. Etliche Initiativen werden inzwischen besser als vordem aus Bundesmitteln gefördert – aber mitnichten gut. Das muss sich ändern. Das müssen wir, das muss der Bundestag ändern.
(Beifall bei der LINKEN)
Dabei geht es auch um Geld. Gefragt ist aber vor allem Verlässlichkeit, damit diese Initiativen endlich kontinuierlich arbeiten können.
Alle drei Anträge sind, finde ich, in unser aller Interesse. Deshalb hofft die Linke auf prinzipiellen Zuspruch, und zwar so, wie es im NSU-Untersuchungsausschuss möglich war: fraktionsübergreifend. Das ist unser Angebot.
(Beifall bei der LINKEN)
Herzlichen Dank. – Ich verlese das Protokoll des von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelten Ergebnisses der namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zum Antrag der Bundesregierung „Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der ‚United Nations Interim Force in Lebanon‘ (UNIFIL) auf Grundlage der Resolution 1701 (2006) vom 11. August 2006 und nachfolgender Verlängerungsresolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen, zuletzt Resolution 2172 (2014) vom 26. August 2014“, Drucksachen 18/5054 und 18/5252: abgegebene Stimmen 598. Mit Ja haben gestimmt 526, mit Nein haben gestimmt 65, Enthaltungen 7. Die Beschlussempfehlung ist angenommen. Berlin, den 19. Juni 2015, die Schriftführerinnen und Schriftführer.
Ich gebe nun als Nächstem das Wort dem Abgeordneten Günter Baumann, CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5271831 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 113 |
Tagesordnungspunkt | Schutz für Opfer rechter Gewalt |