19.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 113 / Tagesordnungspunkt 31

Lars CastellucciSPD - Schutz für Opfer rechter Gewalt

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich spreche zum Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aufenthaltsgesetzes – Aufenthaltsrecht für Opfer rechter Gewalt“. Zunächst einmal muss unmissverständlich klargestellt sein: Menschen anzugreifen, die gerade Schutz hier bei uns suchen, gehört zum Schändlichsten, was man sich überhaupt ausdenken kann.

(Beifall im ganzen Hause)

Dem müssen wir alles entgegenstellen, was wir als Rechtsstaat haben. Wir alle sind gefordert; denn es geht immer auch um Einstellungen und Haltungen; es geht um Vorurteile und kleine Diskriminierungen, die die Einstellung und Haltung, die zu so etwas führen, fördern.

Sie schlagen nun vor, dass diejenigen, die Opfer rechter Gewalt werden, automatisch ein Aufenthaltsrecht in Deutschland bekommen. Ich muss Ihnen sagen: Zunächst einmal halte ich das für eine charmante Idee. Wenn Sie sich im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur bewegen und jemanden darstellen würden, der sich mit anderen zusammensetzt und wirklich viel Hirnschmalz darauf verwendet, um herauszufinden, was man eigentlich tun müsste, um der Sache Herr zu werden, und welche Ideen man entwickeln müsste, dann würde ich Sie für preiswürdig halten. Aber für ein Gesetz reicht das nicht.

Es reicht auch deshalb nicht, weil Sie keine Analyse vorlegen, die eine belastbare Grundlage für diesen Ansatz enthält. Frau Pau, Sie sprechen selber davon, dass Einzelfälle keine Ausnahmen seien. Nur, woher nehmen Sie das? Wenn etwas zu machen ist, ausgehend von dem, was Sie gesagt haben, dann müssen wir mehr Engagement aufwenden, um das Dunkelfeld zu erhellen; wir müssen besser Bescheid wissen, bevor wir Gesetzentwürfe vorlegen.

(Petra Pau [DIE LINKE]: Lesen Sie das Buch von Barbara John!)

Sie erwähnen auch die Residenzpflicht, die wir längst abgeschafft haben. Das heißt, in vielen Teilen ist dieser Gesetzentwurf veraltet.

Schauen Sie, wenn auf dem Pausenhof jemand von seinen Schulkameradinnen oder Schulkameraden – Schulkameraden werden es wohl eher sein – vermöbelt wird, sollen wir dann ein Gesetz beschließen, dass derjenige in der Schule automatisch versetzt wird? Ich glaube, das ist nicht die richtige Antwort, weil das eine sachfremde Antwort ist. Sachlich richtig ist die Antwort, dass man diejenigen, die sich fehlverhalten, zur Rechenschaft zieht, dass man präventiv arbeitet und dass man sich für Zivilcourage einsetzt. Das ist etwas, was wir mit Programmen wie „Demokratie leben!“ fördern. Meine Kollegin Susann Rüthrich wird darauf eingehen.

Ich möchte eine Stelle aus der Problembeschreibung in Ihrem Gesetzentwurf zitieren. Frau Pau, ich weiß nicht, ob Sie diesen Satz aufgeschrieben haben. Ich frage Sie an dieser Stelle, welches Geschäft Sie eigentlich betreiben. Sie schreiben hier:

Der Passus „… der Anschein eines – und sei es unfreiwilligen – Zusammenwirkens …“ heißt: in Teilen eines möglicherweise sogar ganz bewussten Zusammenwirkens zwischen dem Staat und rechten Gewalttätern. Liebe Kolleginnen und Kollegen, da überziehen Sie wieder einmal.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Irene Mihalic [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist denn mit den V-Leuten im Verfassungsschutz? Das war ein Eigentor!)

Herr Castellucci, lassen Sie die Zwischenfrage von Frau Pau zu?

Ja. Bitte schön.

Frau Pau.

Ich empfehle, nachher den Blick auf das Protokoll der Rede zu richten. Ich habe genau ein solches Beispiel, in dem es um diesen Anschein geht – also nicht um irgendeine Regel –, hier zitiert. Es war das Beispiel eines Opfers von schwerer Gewalt, welches durch seine Abschiebung seines Rechts beraubt wurde, als Nebenkläger aufzutreten. Diese Abschiebung hat gleichzeitig den Tätern die Genugtuung verschafft, dass sie ihr Ziel erreicht haben.

Wir wissen genau: Es ist doch das Ziel dieser Gewalttäter, Migranten, Asylsuchende und in der sozialen Hierarchie vermeintlich unter ihnen Stehende einzuschüchtern und ihnen zu bedeuten: Wir wollen euch nicht hier haben. –

Jetzt geht es mir doch gar nicht darum, dass jeder, der – in welcher Weise auch immer – Opfer solcher Gewalttaten wird, für immer und ewig in der Bundesrepublik leben soll; er will es vielleicht auch gar nicht. Aber er muss doch wenigstens die Möglichkeit haben, die Möglichkeiten des Rechtsstaates hier auszuschöpfen, beispielsweise indem er in einem solchen Prozess als Zeuge auftritt und seinem Nebenklagerecht nachgeht.

Ich empfehle Ihnen – das war der Inhalt meines Zwischenrufs vorhin – den Band mit den Geschichten der Überlebenden der NSU-Anschläge und der Angehörigen der NSU-Opfer, den Barbara John, Mitglied der Partei Ihres Koalitionspartners, im November letzten Jahres herausgegeben hat. Dort schildern beispielsweise Witwen der NSU-Opfer, wie sie beinahe ihres Aufenthaltsstatus verlustig gegangen wären, weil sie als Folge des Mordes an ihren Ehemännern nicht mehr ihren Lebensunterhalt hier bestreiten konnten. Tatsächlich erhielten einige von ihnen eine Aufforderung zur Ausreise. Wir reden über solche Extremsituationen.

Mag sein, dass das handwerklich besser zu lösen ist, als wir es vorgeschlagen haben; deswegen habe ich Sie zu dieser Debatte eingeladen. Aber dann sollten wir uns genau dieser Frage zuwenden.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Kollegin Pau, so wie Sie hier sprechen und wie Sie sich jetzt zu Wort gemeldet haben, diskutiere ich alle diese Fragen sehr gern mit Ihnen; denn Sie argumentieren differenziert und unterlegen ihre Äußerungen mit konkreten Beispielen. Ich beziehe mich aber auf das, was Sie hier aufgeschrieben haben.

Das, was Sie hier aufgeschrieben haben – ich sage es noch einmal: „Anschein eines – und sei es unfreiwilligen – Zusammenwirkens“, heißt – das weiß man, wenn man sich mit der deutschen Sprache auskennt –, dass es eben auch ein freiwilliges Zusammenwirken von Staat und rechten Gewalttätern geben kann. Davon distanziere ich mich. Das hat hier keinen Boden.

(Zuruf der Abg. Petra Pau [DIE LINKE])

– Frau Pau, ich habe Sie ja deswegen extra persönlich angesprochen.

Was Sie mit solchen Aussagen erreichen, ist, dass Sie den Rechtsstaat madig machen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Damit leiten Sie Wasser auf die Mühlen von Leuten, bei denen Sie das gar nicht wollen. Damit fordern Sie nicht die Stärke des Rechts, sondern diejenigen, die meinen, dass das Land mit dem Recht des Stärkeren zu regieren sei. Auch das kann nicht in Ihrem Interesse sein.

Meine Damen und Herren, das Beispiel, das Sie genannt haben, legt nahe, dass wir uns verstärkt um Einzelfälle kümmern müssen. Wir brauchen rechtsstaatliche Mittel, die uns in die Lage versetzen, auch im Einzelfall Gerechtigkeit walten zu lassen; aber wir brauchen keine Verallgemeinerung in dem Sinne, dass jeder, der Opfer rechter Gewalt ist, hier Aufenthaltsstatus bekommt.

Im Übrigen machen wir eine ganze Menge dafür, dass der Aufenthaltsstatus sicher werden kann. Wir werden hier in Kürze einen Gesetzentwurf einbringen, in dem es um die Ausweitung des Bleiberechts und die Abschaffung von Kettenduldungen geht. Das sind ganz wichtige Initiativen, die von dieser Bundesregierung ergriffen werden.

Die entscheidende Frage ist, wo der richtige Anknüpfungspunkt ist, wenn wir gegen rechte Gewalt vorgehen wollen. Wir wissen, dass die Einstellungen, die rechter Gewalt zugrunde liegen, tief in der Bevölkerung verankert sind. Deswegen geht es um Demokratielernen. Dazu wird meine Kollegin Susann Rüthrich noch etwas sagen. Es geht darum, die Einstellung zu verändern. Es geht auch darum, das Dunkelfeld aufzuhellen und mit der Bevölkerung im Gespräch darüber zu sein, wie wir in diesem Land zusammenleben können. Das ist zentral. Aber das macht man nicht, indem man rechtsstaatliche Institutionen infrage stellt, sondern gerade dadurch, dass man herausstellt, welchen Wert diese rechtsstaatlichen Institutionen in Deutschland für das Gemeinwesen haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Martin Patzelt von der CDU/CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5271931
Wahlperiode 18
Sitzung 113
Tagesordnungspunkt Schutz für Opfer rechter Gewalt
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