19.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 113 / Tagesordnungspunkt 32

Wilhelm PriesmeierSPD - Agrarpolitischer Bericht 2015

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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrter Herr Minister, ich freue mich außerordentlich, dass Sie die Zeit gefunden haben, in der wichtigen Debatte heute einen Redebeitrag zu leisten.

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sollte selbstverständlich sein! – Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Es ist doch sein Bericht! Er hat ihn geschrieben!)

Denn ich glaube, es ist die vornehmste Aufgabe des Ministers, zum Agrarbericht hier im Parlament Stellung zu beziehen.

Wir haben die zeitliche Abfolge vor etlichen Jahren verändert: Früher gab es jährlich einen Agrarbericht; jetzt diskutieren wir alle vier Jahre einen Agrarbericht. Deshalb kann man jetzt immer nur auf vier Jahre zurückschauen. Die Rückschau weist viele Zahlen für die letzten vier Jahre aus, die durchaus positiv sind. Da kann man würdigen, dass unsere Agrarwirtschaft international wettbewerbsfähig ist. Das Exportvolumen von 60 Milliarden Euro spricht eine deutliche Sprache. Bei so vielen positiven Zahlen und Entwicklungen kann man an sich stolz sein.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Jeannine Pflugradt [SPD])

Wenn wir die Diskussionen in der Rückschau betrachten und versuchen, in die Zukunft zu schauen, erkennen wir aber auch eine Diskussion in der Gesellschaft, in der viele die Form der Produktion und Wertschöpfung kritisch hinterfragen. Das ist auch ihr gutes Recht. 40 Prozent der Bevölkerung sind laut einer Umfrage in besonderer Weise an gesunden und sicheren Lebensmitteln interessiert. Sie wollen, dass die Politik ihren Beitrag dazu leistet; das ist ihnen vielleicht wichtiger als das Wirtschaftswachstum oder eine gesicherte Energieversorgung. Das macht deutlich, wie wichtig dieser Sektor für uns und für die Menschen ist.

Die Verbraucherinnen und Verbraucher vertrauen dabei auf eine hohe Lebensmittelsicherheit und auf eine hervorragende Produktqualität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Diese liefert unsere deutsche Landwirtschaft, und damit wird in der deutschen Landwirtschaft auch Geld verdient – zu Recht. Aber das Hinterfragen der Produktionsweise in der gesellschaftlichen Diskussion müssen wir natürlich auch ernst nehmen. Begriffe wie „industrielle Massentierhaltung“, „Antibiotikamissbrauch“ und – regelmäßig im Januar, wenn die Grüne Woche stattfindet – der Satz „Wir haben es satt!“ machen deutlich, dass die Form, die Art und Weise der Produktion und bestimmte Strukturen kritisch hinterfragt werden. Ich finde, es ist bislang für die Politik nicht ganz einfach, die richtige Antwort darauf zu finden.

Es beginnt ein Umdenkprozess in der Branche. Die Landwirte stellen sich diesen Themen. Der Bauernverband hat diese Diskussion, wenn ich zurückschaue, vor Jahr und Tag vermutlich gar nicht so ernst genommen. Mittlerweile reagiert aber nicht nur er darauf, sondern auch die ISN, wie ich neulich auf einer Veranstaltung der ISN, bei der es hervorragendes deutsches Fleisch gab, live feststellen konnte.

Ich glaube, das sind richtige Ansätze, um sich mit dem auseinanderzusetzen, was notwendig ist. Notwendig ist natürlich auch der stete Wandel. Notwendig ist auch, dass man auf die Gesellschaft zugeht. Ich hoffe, dass das alle Landwirte in Zukunft weiter gemeinsam tun werden.

Agrarpolitik ist heute ein Teil der Gesellschaftspolitik. Tiergerechte Haltungssysteme, Tierhygiene und besseres Management sind an sich Selbstverständlichkeiten, die in unseren Ställen umgesetzt werden. Wir sollten die Ställe an die Tiere anpassen und nicht umgekehrt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deshalb begrüße ich die Initiative Tierwohl; denn hierbei wird zum ersten Mal der Versuch unternommen, entlang der Kette ein System zu schaffen, das zu spürbaren Verbesserungen führt. Das ist ein erster Versuch; das ist ein erster Anlauf.

(Alois Gerig [CDU/CSU]: Genau!)

Es bedarf allerdings weiterer Initiativen und, wie ich glaube, auch einer entsprechenden Flankierung.

Ich glaube, der Verbraucher sollte klar und deutlich erkennen, unter welchen Tierschutz- und Tierwohlbedingungen das Fleisch produziert worden ist, das er an der Ladentheke kauft. Zu bedenken ist, dass die höheren Standards nicht nur für das Fleisch gelten, das an der Ladentheke unter diesem Label verkauft wird, sondern auch für das Fleisch, das für den Export bestimmt ist. Höhere Standards sind nur dann umzusetzen, wenn die Wettbewerbsfähigkeit der Branche in Gänze nicht infrage gestellt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Branche muss letztlich so wettbewerbsfähig und so produktiv sein, dass Maßnahmen für höhere Tierschutzstandards finanziert werden können.

(Artur Auernhammer [CDU/CSU]: So ist es!)

Das Gutachten des Sachverständigenrates liefert einen, wie ich finde, guten und positiven Ansatz, der die Diskussion in den nächsten Jahren mit Sicherheit erheblich beflügeln wird.

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Davon kann man ausgehen!)

Diese Diskussion ist notwendig. Notwendig ist aber auch, dass wir Konsequenzen ziehen und diesen Prozess begleiten, und zwar auch durch entsprechende Forderungen.

Dazu bedarf es vielleicht einer neuen Architektur der Agrarpolitik auf europäischer Ebene. Vielleicht muss man Geld aus dem kaum an Bedingungen geknüpften Zahlungssystem herausnehmen und zielgerichtet in landwirtschaftliche Betriebe investieren, die bereit sind, sich diesem Prozess zu stellen, die bereit sind, zu investieren und das Risiko zu tragen. Durch diese finanzielle Förderung kann man dafür sorgen, dass das Risiko derjenigen, die diesen Weg zuerst beschreiten, abgemildert wird. Das ist, glaube ich, grundsätzlich richtig.

Wenn wir uns die Ausrichtung der Agrarpolitik anschauen – dafür ist der Agrarpolitische Bericht immer ein guter Anlass –, sollten wir unser Augenmerk auch auf 2017 richten. Wir sollten die notwendigen Konsequenzen hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung der europäischen Agrarpolitik ziehen. Ich halte das jetzige System – das habe ich hier schon wiederholt kundtun dürfen – für wenig zukunftsfähig. Man sollte langsam beginnen, aus dem jetzigen System auszusteigen. Ziel muss es sein, dass wir nach 2020 aus dem Säulensystem, das wir auf europäischer Ebene entwickelt haben, herauskommen. Wir müssen für mehr Effizienz im Zahlungssystem sorgen, als wir heute haben.

(Beifall bei der SPD)

Einen ersten Ansatz haben wir in die Koalitionsverhandlungen eingebracht: 4,5 Prozent aus der ersten in die zweite Säule. Mit Blick auf 2017 muss man natürlich sehen, dass 225 Millionen Euro in diesem Zusammenhang nicht allzu viel sind. Da kann man mehr tun.

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 15 Prozent!)

Theoretisch können wir 750 Millionen Euro umschichten. Ich halte diesen Weg für richtig. Wir sollten das zum Ziel unserer Arbeit hier im Deutschen Bundestag machen; denn undifferenzierten Zahlungssystemen gehört sicherlich nicht die Zukunft.

Wir brauchen natürlich auch einen guten Ansatz für die Weiterentwicklung der Politik für die ländlichen Räume. Im Koalitionsvertrag haben wir dazu etwas aufgeschrieben: Wir wollen aus der GAK etwas Ordentliches machen. Diese Aufgabe werden wir jetzt angehen, im Sinne unserer ländlichen Räume. Wir wollen uns den Problemen stellen, die in bestimmten Regionen besonders groß sind, zum Beispiel bei mir zu Hause, wo wir 2035 – das ist nicht lang hin; das sind nur 20 Jahre – ein Viertel weniger Einwohner haben werden. Das macht deutlich, dass wir auch in diesem Bereich zusätzlicher finanzieller Ressourcen bedürfen, um die Politik für die ländlichen Räume aktiv ausgestalten zu können, um Prozesse aktiv begleiten zu können. Es geht nicht darum, Sterbehilfe für die Dörfer zu leisten, sondern darum, Initiativen zu fördern, darum, bürgerschaftliches Engagement zu fördern, darum, all diejenigen zu fördern, die Ideen haben und sich in diesen Prozess einbringen wollen.

Angesichts des, glaube ich, schon in der Abstimmung befindlichen Gesetzes zur Novellierung der alten GAK hoffe ich auf den Herbst und darauf, dass wir eine fruchtbare Diskussion führen werden.

In diesem Sinne vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Friedrich Ostendorff von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5272084
Wahlperiode 18
Sitzung 113
Tagesordnungspunkt Agrarpolitischer Bericht 2015
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