19.06.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 113 / Tagesordnungspunkt 34

Rita Hagl-KehlSPD - Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „ Unser täglich Brot gib uns heute.“ Diesen Satz habe ich als gläubige Christin – genauso wie Millionen andere Menschen – schon tausendfach gen Himmel gesandt, immer in der Überzeugung, dass dieses Lebensmittel gut für mich, meine Kinder, meine Familie ist. Genau dieses Lebensmittel steht nun im Verdacht, ein krebserregendes Pflanzenschutzmittel in unseren Körper zu bringen.

Glyphosat ist ein Wirkstoff, der in den letzten Jahren immer mehr zum Einsatz kommt. Es ist das weltweit – auch in Deutschland – am meisten verwendete Herbizid. Die Zahlen wurden schon genannt. Allein in Deutschland werden 5 000 bis 6 000 Tonnen Glyphosat jährlich eingesetzt. Durch die massive Anwendung von Glyphosat werden die damit bespritzten Unkräuter aber immer resistenter. Dies führt zu einem verstärkten Einsatz dieses Herbizidwirkstoffs und steigender Konzentration des Wirkstoffs. Darüber hinaus kommt es oft zur Vermischung mit anderen Herbiziden. Dadurch entsteht eine noch größere Toxizität.

In Deutschland sind derzeit 83 glyphosathaltige Mittel zugelassen, etwa die Hälfte davon auch für Haushalt und Kleingärten. Das heißt, man kann sie, wie wir von der Kollegin vorhin gehört haben, in Baumärkten frei erhalten. Diese Mittel stehen in einem mit einem Schloss gesicherten Schrank. Man geht zur Verkäuferin und sagt, dass man 500 Milliliter haben möchte. Die Verkäuferin fragt dann zurück: Welche Marke hätten Sie denn gerne? Dann gibt sie uns die gewünschte Marke. Ähnliches gilt für das Schneckenkorn. Beratung findet kaum statt. Ich kann mich jedenfalls an keine ausführliche Beratung erinnern. Gleichzeitig verlangen wir von den Landwirten einen Sachkundenachweis. Dabei darf jeder Hobbygärtner solche Mittel einfach so verwenden.

Laut einer Studie werden 39 Prozent der Ackerflächen in Deutschland mit glyphosathaltigen Wirkstoffen behandelt. Das ist eine sehr hohe Zahl. Aber die Anwendung von glyphosathaltigen Mitteln betrifft nicht nur die Ackerbauflächen und die heimischen Gärten, sondern auch den öffentlichen und insbesondere den kommunalen Bereich. Dieser Wirkstoff wird zur Pflege von öffentlichen Grünflächen und Spielplätzen sowie zur Pflege von Bahnstrecken und Autobahnrandstreifen verwendet. Welche Mutter lässt es kalt, wenn sie weiß, dass der Spielplatz, auf dem ihr Kind gerade im Sand buddelt, zuvor mit Glyphosat behandelt wurde? Mich würde es nicht kaltlassen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Die aktuelle Studie der Arbeitsgruppe der Krebsforschungsagentur, die von meinen Vorrednern bereits mehrfach genannt wurde, hat mit der Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend beim Menschen“ große Besorgnis in der Bevölkerung ausgelöst. Dazu hat auch die Presse beigetragen, die dies vermittelt hat; das ist auch richtig so. Die neuesten Erkenntnisse haben bewirkt, dass Produkte mit diesem Wirkstoff in den Baumärkten zum Teil schon freiwillig aus dem Sortiment genommen wurden.

Wie der Kollege Ebner bereits gesagt hat, haben wir die Aufgabe, bis Ende 2015 bei der Entscheidung auf EU-Ebene mitzuwirken, ob Glyphosat auch in den nächsten zehn Jahren verwendet werden soll. Bei dieser Entscheidung muss der Schwerpunkt auf die Gesundheit von Menschen und Tieren sowie auf die Folgen für die Umwelt gesetzt werden. Wir als SPD nehmen dieses Problem sehr ernst und haben deswegen der Anhörung zugestimmt, die wir im September haben werden. Wir wollten diese Anhörung auch deshalb, weil dort hoffentlich die neuesten Erkenntnisse für uns zusammengetragen werden.

(Beifall bei der SPD)

Bevor wir an ein umfassendes Verbot denken, sollten wir eine Reihe von bevorstehenden Ereignissen noch abwarten. Auf die Monografie der Krebsforschungsagentur, die die Belege für die Einstufung von Glyphosat als „wahrscheinlich krebserregend“ enthalten wird, warten wir noch bis Juli. Auch die Schlussfolgerung der Neubewertung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit zum Pflanzenschutzmittelwirkstoff wird noch veröffentlicht werden. Wir werden darauf einwirken, dass die EU auch diese Studie der IARC mit einbezieht.

Bei der Anwendung von Glyphosat zur Abreifebeschleunigung wurde bereits 2014 eine Einschränkung vorgenommen. So dürfen nur noch Flächen behandelt werden, auf denen das Getreide unregelmäßig gereift ist und auf denen eine Beerntung ohne diese Behandlung nicht möglich wäre. Dies ist ein erster Schritt; aber wir wissen auch, dass diese Maßgabe schwer zu kontrollieren ist.

Wir brauchen mehr Forschung, um relevante Alternativen zum Glyphosateinsatz zu finden und weiterzuentwickeln, die zum einen denselben Effekt haben und die Produktion nicht hemmen, zum anderen aber nicht gefährlich für Menschen, Tiere und Umwelt sind. Es ist uns wenig geholfen, wenn wir in Deutschland sofort den Einsatz verbieten

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum?)

und dann aufgrund von Ernteausfällen, die womöglich eintreten, Getreide importiert wird, von dem wir auch nicht wissen, ob es belastet ist.

(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Auch andere Länder, wie zum Beispiel die Schweiz – vorhin wurde auch Frankreich genannt –, arbeiten bereits an einer entsprechenden Gesetzgebung.

(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So ist das!)

Immer mehr Länder nehmen die Gefahr der Verwendung ernst. Obwohl ein vollkommenes Verbot mehr Zeit in Anspruch nehmen wird, als wir heute haben, scheint mir doch ein Verbot des Verkaufs zum privaten Gebrauch eigentlich sehr realistisch. Dieses Ziel müssen wir uns vornehmen.

(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Denn ich kann zwar nicht vom Bauern verlangen, dass er jedes Unkraut auszupft; aber von einem Hobbygärtner kann ich sehr wohl verlangen, dass er seine Unkräuter noch mit der Hand auszupft und nicht die Giftspritze benutzt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD)

Vielen herzlichen Dank, liebe Kollegin Hagl-Kehl. – Nächster Redner in der Debatte: Arthur Auernhammer für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5272563
Wahlperiode 18
Sitzung 113
Tagesordnungspunkt Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat
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