01.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 114 / Zusatzpunkt 1

Eckhardt RehbergCDU/CSU - Vereinbarte Debatte/ Griechenland

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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin Bundesfinanzminister Schäuble ausdrücklich dankbar für seinen Hinweis, dass wir am 1. Juli vor 25 Jahren die D-Mark eingeführt haben. Ich bin ja einer derjenigen, die das im Ostteil unseres Vaterlandes miterleben durften. Die Menschen haben vorher bei den Demonstrationen gerufen: Kommt die D-Mark nicht zu uns, dann gehen wir zu ihr. – Wir haben es getan. Ich glaube, eines der wesentlichen Momente bei der Einführung der D-Mark war, neben dem Materiellen und Fiskalischen, das Gefühl der Menschen in der ehemaligen DDR: Wir gehören jetzt dazu. – Das war das Gemeinschaftsgefühl, das sich in der D-Mark ausgedrückt hat.

Ich kann den Menschen in Griechenland nur zurufen: Stimmen Sie am Sonntag mit Ja, weil Sie zum Euro und zu Europa gehören wollen! Ein Nein wäre an dieser Stelle das Gegenteil davon. – Das ist meine Bitte an die Menschen in Griechenland.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Herr Kollege Gysi, Sie sprachen von „Ultimatum“. Machen Sie sich einmal folgende Mühe: Heute Mittag ist allen Mitgliedern ein Dokument des Europareferates des Deutschen Bundestages zugeleitet worden, in dem eine Synopse zwischen dem laufenden Programm, zwischen dem Verhandlungsstand der Institutionen, der Troika, und dem, was die griechische Regierung angeboten hatte, dargestellt wurde. Wenn jetzt Herr Tsipras, wenige Stunden vor dem Referendum, immer wieder neue Angebote macht, aber gleichzeitig die Griechen auffordert, mit Nein zu stimmen – also: keine Konditionierung, Geld ohne Konditionen –, dann ist das schizophren, Herr Kollege Gysi.

Es ist wahr, dass die Angebote der Troika und der griechischen Regierung ziemlich nahe beieinanderlagen. Beim Primärüberschuss hätten wir – das sage ich für meine Fraktion – in der Tat Probleme gehabt. Im alten Programm waren 3,5 Prozent für dieses Jahr und 4,5 Prozent für nächstes Jahr vorgesehen. Das Angebot der Troika und der griechischen Regierung lautete 1 Prozent für dieses Jahr und 2 Prozent für nächstes Jahr. Das ist das wesentliche Moment. Aber wissen Sie, woran das unter anderem gescheitert ist? Bei der Kürzung der Militärausgaben lagen die Vorschläge um 200 Millionen Euro auseinander. Die Troika wollte 400 Millionen Euro; die griechische Links-rechts-Regierung wollte nur 200 Millionen Euro.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)

Das sind die Probleme, über die wir reden müssen, Herr Kollege Gysi.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Da hat er leider recht, Herr Gysi!)

Wir müssen präzise sein, Herr Kollege Gysi: Die Regierung in Athen ist keine Linksregierung. Sie ist eine Regierung aus Linkspopulisten, Linksextremen, Linksradikalen und Rechtspopulisten, Rechtsextremen und Nationalisten. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Johannes Kahrs [SPD]: Das ist wie AfD und Linkspartei! Das ist die Mischung von Wagenknecht und Lucke!)

Allein um der Macht willen hat sich Herr Tsipras mit Herrn Kammenos ins Bett gelegt, damit sie eine Regierung bilden konnten. Das ist die ganze Wahrheit an dieser Stelle. Deswegen konnte man bei den Militärausgaben nicht zusammenkommen, meine sehr verehrten Damen und Herren von den Linken.

Mit Blick auf die Zukunft darf ich aus dem ESM-Vertrag zitieren. Manche meinen offenbar – man muss nur Herrn Hofreiter und Herrn Gysi zuhören –, es wäre ganz einfach, so mal ein paar Milliarden Euro rüberzuschieben. Die EFSF-Welt ist um Mitternacht abgelaufen; IWF-Kreditrate: nicht gezahlt. Wir sind jetzt in der ESM-Welt. Ich darf aus Artikel 3 des ESM-Vertrages, den wir im Deutschen Bundestag ratifiziert haben, zitieren: Mitgliedstaaten der Euro-Zone, denen schwerwiegende Finanzprobleme drohen, werden unter strikten Auflagen Stabilitätshilfen gewährt, „wenn dies zur Wahrung … des Euro-Währungsgebiets insgesamt und seiner Mitgliedstaaten unabdingbar ist“.

Dazu ist ein Antrag der jeweiligen Regierung notwendig. Wenn jetzt Herr Tsipras zu seinen Bürgern sagt: „Stimmt mit Nein! Wir wollen neues Geld ohne Konditionen“, dann kann er, jedenfalls nach meinem Verständnis, keinen Antrag nach dem ESM-Vertrag stellen. Das ist keine saubere, seriöse und solide Politik; das ist schlichtweg verantwortungslos gegenüber dem eigenen Volk.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, man hat manchmal Glück. Manchmal gibt es auch Zufälle. Ich habe mich diese Woche mit einer jungen Rumänin unterhalten, die mir gesagt hat: Herr Rehberg, wir verstehen überhaupt nicht, dass Sie den Griechen so weit entgegenkommen wollen. Es ist bei uns so, dass wir als Erntehelfer und Gastarbeiter in Griechenland arbeiten, weil die Griechen ihre Oliven und Pistazien nicht selber ernten wollen. Sie lassen ernten. – Die junge Rumänin kam dann noch darauf zu sprechen: Die Griechen haben viel höhere Renten; sie haben viel mehr Beschäftigte im öffentlichen Dienst.

Ich spreche das an dieser Stelle an; denn die Bundeskanzlerin hat hundertprozentig recht. Wir haben, Herr Sarrazin – ja –, eine Verantwortung für alle 28 in der Europäischen Union, ja, wir haben eine Verantwortung für alle 19 in der Euro-Zone. Aber gerade wir als Deutsche, wir als 80-Millionen-Volk haben eine besondere Verantwortung für die Slowakei, Slowenien, die baltischen Länder, die ein deutlich niedrigeres Sozial- und Wohlstandsniveau haben als die Griechen, und das, was wir ihnen zugemutet haben, müssen wir auch den Griechen zumuten. Anders geht es nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Herr Kollege Rehberg, lassen Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Sarrazin zu?

Kein Problem. Bitte.

Herr Sarrazin.

Herr Kollege Rehberg, ich möchte dieses Argument aufgreifen, weil ich glaube, dass es an dieser Stelle zum besseren Verständnis des Sachverhalts und auch der Risiken beitragen kann, auf diesen Punkt einzugehen. Griechenland ist Teil einer Region, in der seit 2007 in fast allen Ländern riesige wirtschaftliche Probleme vorkommen. Angefangen bei Slowenien über Kroatien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro, Mazedonien und Albanien bis hin zu Serbien: In all diesen Regionen erleben wir, dass mehr und mehr politische Kräfte ans Ruder kommen und gerade auf junge Leute Einfluss haben, die eigentlich wieder den Nationalismus predigen, der uns in den 90er-Jahren in ganz schlimme Kriege geführt hat. Für all diese Kräfte ist die wirtschaftliche Lage die Saat, die sie säen können und die es ihnen ermöglicht, zu sagen: Europa verspricht keinen Wohlstand. Wir müssen gegeneinander kämpfen.

Griechenland ist mit den eben erwähnten Ländern extrem verwoben; das zeigen die Meldungen über die serbische und die mazedonische Zentralbank. Die Billigarbeiter, die in Griechenland in der Agrarwirtschaft arbeiten, kommen zum Beispiel aus Albanien und Mazedonien. Wenn Griechenland den Bach runtergeht, verlieren diese Menschen ihren Job und kehren in ihre Länder zurück. Dann wird das, was dort so gefährlich ist, noch gefährlicher. Es geht bei Griechenland also nicht nur um die Rettung eines Staates in der Euro-Zone. Vielmehr geht es um ein Land, das in einer hochgefährlichen Region liegt. Deswegen haben wir Deutsche die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass Griechenland stabil bleibt – damit wir unserer Verantwortung in dieser Region gerecht werden.

Danke.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Sarrazin, ich möchte Ihnen gerne erwidern. Wenn ich die Entwicklung in Griechenland in den letzten zehn Jahren sehe, dann stelle ich fest, dass Griechenland seit Anfang 2000, bedingt durch den Beitritt zur Euro-Zone, weit über seine Verhältnisse gelebt und die Schulden in die Höhe gefahren hat, um die Sozialsysteme zu finanzieren. 2010 war Griechenland, regiert von Sozialdemokraten und Konservativen, nicht mehr in der Lage, sich auf dem Kapitalmarkt zu refinanzieren. Dann haben wir das erste und das zweite Hilfsprogramm aufgelegt. Wenn ich mich recht erinnere – darauf sind schon einige Redner in der Debatte eingegangen –, war Griechenland im Dezember letzten Jahres fast wieder kapitalmarktfähig. Griechenland kam aus der Rezession heraus und hatte Aussicht, die Arbeitslosigkeit abzubauen. Ich behaupte nicht, dass die Regierungen in Griechenland zwischen 2010 und 2015 alles richtig gemacht haben, aber Griechenland war, wie es Kollegin Hasselfeldt formuliert hat, auf einem guten Weg, genauso wie Spanien, Irland, Portugal und Zypern; wir haben gerade heute im Haushaltsausschuss eine Tranche für Zypern freigegeben.

Deswegen, Herr Kollege Sarrazin, muss man schon die Frage stellen: War das verantwortungsvoll, was die griechische Regierung seit Ende Januar bis heute gemacht hat? Sie hat gezockt bis zum Letzten – das hat gerade die letzte Woche gezeigt –, immer in dem Wissen, dass Solidarität heißt: Hilfe zur Selbsthilfe. Trotzdem kannten sie nur zwei Themen in den letzten fünf Monaten: einen Schuldenschnitt, und: Gebt uns neues Geld ohne Konditionen! – So kann Europa – auch im Hinblick auf die Länder, die Sie gerade genannt haben – nicht funktionieren, Herr Kollege Sarrazin.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ständig werden zusätzliche Finanzpakete für Wachstum und Beschäftigung gefordert. Griechenland hat von 2007 bis heute aus europäischen Strukturfonds 35 Milliarden Euro erhalten. Griechenland hat bis heute von der Europäischen Investitionsbank noch einmal 11 Milliarden Euro zu günstigsten Konditionen erhalten. Griechenland steht in den nächsten fünf Zeitjahren, in der nächsten Förderperiode bis 2020, der gleiche Betrag wie in der vorangegangenen Förderperiode zur Verfügung. In 13 Jahren sind das über 70 Milliarden Euro aus europäischen Strukturfonds wie dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, dem Europäischen Sozialfonds und ELER einschließlich Direktbeihilfen für die Landwirtschaft.

Was hat man daraus gemacht? Wie wurde das in Anspruch genommen? Ist das alles versickert, oder ist das dort angekommen, wohin es sollte, nämlich beim Mittelstand, bei Forschung und Bildung, bei den jungen Leuten? Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Ich habe große Zweifel – auch nach einem Besuch in Griechenland vor zwei Monaten –, dass die Gelder für das verwendet wurden, wozu sie gedacht waren. Die Syriza-Regierung wollte ja alles besser machen. Aber ich konnte nicht erkennen, dass sie auch nur an einer Stelle etwas besser gemacht hat und dass das Geld, das Europa zur Verfügung stellt, für die Förderung von Wachstum und Beschäftigung sowie zur Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit eingesetzt wird.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Herr Kollege Gysi, Sie haben beklagt, dass in den „Prior Actions“ der Troika nicht die Sonderabgabe auf Unternehmensgewinne steht. Was Sie aber nicht gesagt haben, ist, dass die Links-rechts-Regierung in Athen eine Steueramnestie für die Reichen gemacht hat.

(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Ja!)

Das ist für mich völlig unerklärlich. Wie kann man grundsätzlich auf die Idee kommen, einmal Steuerausfälle von 70 Milliarden Euro in den Wind zu schlagen und als Zweites einen Cut bei 1 Million Euro anzusetzen? Ich kann mich an einen Artikel im Spiegel erinnern, in dem aufgezeigt wird, wie die Vetternwirtschaft unter Syriza und Anel läuft. Das ist keine andere als die unter der ND oder der Pasok, überhaupt keine andere. Syriza ist aber mit dem Anspruch angetreten, alles besser zu machen. Ich habe am 27. Februar hier gesagt: Ich gebe dieser Regierung eine Chance. – Jetzt kann ich Ihnen ganz ehrlich sagen: Allein die Steueramnestie für Reiche ist reinste Klientelpolitik. Das, was Syriza und Anel gemacht haben, ist nicht akzeptabel. Das muss erst einmal in Griechenland abgestellt werden, bevor wir über weitere Dinge reden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Bundeskanzlerin hat gesagt: Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg. – Zum Willen gehören immer zwei. Ich kann nur noch einmal das sagen, was ich eingangs gesagt habe: Griechen, seid klug, wählt die gemeinsame Währung, wählt damit Europa! Zwingt eure Regierung, endlich eine solide, vertrauensvolle und seriöse Politik mit den Partnern in Europa zu machen!

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Axel Schäfer für die SPD-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der SPD)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5342925
Wahlperiode 18
Sitzung 114
Tagesordnungspunkt Vereinbarte Debatte/ Griechenland
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