Carola ReimannSPD - Sterbebegleitung
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit der Orientierungsdebatte im November sind einige Monate vergangen, Monate, in denen wir Gelegenheit zu Veranstaltungen und vielen Gesprächen hatten. Diese Gespräche haben für mich bestätigt, was Umfragen schon lange und immer wieder zeigen: Die Menschen wollen nicht, dass der Staat mit neuen Verboten in den sensiblen Bereich zwischen Leben und Tod eingreift. Wer ein Leben lang für sich selbst entscheidet, möchte auch in der wohl schwersten Phase, am Lebensende, selbst entscheiden. Die Menschen wollen sich nicht vorschreiben lassen, wie viel Leid und wie viel Kontrollverlust sie ertragen müssen. Sie wollen, dass wir ihre Bedürfnisse und die ihrer Angehörigen in den Mittelpunkt dieser Debatte stellen. Diesem Wunsch entsprechen wir mit unserem Gesetzentwurf.
Wir verzichten als einzige Gesetzesinitiative auf eine Verschärfung des Strafrechts. Wir lehnen jeden Eingriff in das Strafrecht kategorisch ab. Wir sehen aber schon gesetzgeberischen Klarstellungsbedarf. Denn obwohl die Suizidbeihilfe bislang in Deutschland straflos ist, untersagt das ärztliche Standesrecht in 10 der 17 Landesärztekammern die Beihilfe zum Suizid. Dieser Flickenteppich an widersprüchlichen Regelungen führt dazu, dass zum Beispiel in Essen etwas anderes gilt als in Bochum. Es braucht keine große Fantasie, um sich vorstellen zu können, dass ein solches Regelungschaos bei Ärzten, aber erst recht bei Patientinnen und Patienten Unsicherheit auslöst. Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, sehen wir eine zivilrechtliche Regelung vor, die Rechtssicherheit für Patienten und Ärzte schaffen wird. Mit der Erlaubnis der Suizidbeihilfe für Ärzte beenden wir das Regelungschaos der Berufsordnung und geben eine klare Botschaft an alle Betroffenen:
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Niemand muss ins Ausland fahren. Niemand muss sich an medizinische Laien oder selbsternannte Sterbehelfer wenden. – Wir ermöglichen, dass sich Menschen in großer Not ihrem Arzt anvertrauen können, weil er den Patienten gut kennt und fachlich am besten informieren kann. Damit schaden wir Sterbehilfevereinen mehr als mit Strafrechtsparagrafen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Wir entziehen diesen Vereinen die Existenzgrundlage, indem wir professionelle Hilfe und Beratung durch ihren Arzt rechtssicher machen.
Wir haben ganz bewusst das Arzt-Patienten-Verhältnis ins Zentrum unseres Gesetzentwurfs gestellt und nicht die Aktivitäten einer überschaubaren Zahl von selbsternannten Sterbehelfern. Dafür gibt es gute Gründe. Seit Jahren gibt es immer wieder Anläufe und neue Versuche, mit strafrechtlichen Verboten gegen Sterbehilfevereine vorzugehen. Sie sind auch deshalb alle gescheitert, weil die unerwünschten Nebenwirkungen solcher Verbote gravierend sind. Die kritischen Fragen von damals müssen wir uns auch heute stellen: Rechtfertigen die Aktivitäten weniger Sterbehelfer einen Eingriff ins Strafrecht, der Auswirkungen auf die Arbeit einer viel größeren Zahl von Ärzten hat? Geben wir, um Sterbehilfevereine zu unterbinden, den seit 150 Jahren bewährten Grundsatz auf, dass der Suizid und auch die Beihilfe zum Suizid straflos sind? Und nehmen wir billigend in Kauf, dass wegen Kusch und Co. künftig allen Ärzten, die Hilfe zum Suizid leisten, staatsanwaltschaftliche Ermittlungen drohen? – Ich finde, Kolleginnen und Kollegen, hier schaden die Nebenwirkungen mehr, als die Hauptwirkung nutzt.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Die Folge ist immer ein Risiko für Ärzte, die regelmäßig in einem solchen Grenzbereich arbeiten.
Gesetzliche Regelungen im Strafrecht lösen keine Probleme, sie schaffen zusätzliche. Sie gefährden das vertrauensvolle Arzt-Patienten-Verhältnis und führen dazu, dass Sterbenskranke in ihrer Not ins Ausland gehen.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD)
Wir wollen einen anderen Weg gehen. Wir wollen das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient stärken, damit Menschen in existenzieller Not fachlich fundierte Hilfe und Information bekommen. Dazu gehören auch die Möglichkeiten der Palliativmedizin.
Kolleginnen und Kollegen, nicht selten führt die Gewissheit, sich in einer aussichtslosen Situation an seinen Arzt wenden zu können, dazu, dass Menschen von einem Suizidwunsch letztlich Abstand nehmen. Ich bin der festen Überzeugung: Suizidprävention gelingt nicht mit dem Strafrecht. Suizidprävention gelingt nur in einem rechtssicheren Raum, in dem das vertrauensvolle Gespräch zwischen Arzt und Patient möglich ist.
(Michael Brand [CDU/CSU]: Ist es doch!)
Diesen rechtssicheren Raum wollen wir mit unserem Gesetzentwurf schaffen.
Vielen Dank.
(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich erteile das Wort der Kollegin Petra Sitte.
(Beifall bei der LINKEN)
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5346076 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Sterbebegleitung |