02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 4

Thomas DörflingerCDU/CSU - Sterbebegleitung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will eine Vorbemerkung machen, weil ein Thema von vielen Rednerinnen und Rednern heute Morgen angeklungen ist und diese Debatte sicher auch noch durchzieht und ein Kernstück der Diskussion sein muss. Es ist ein Punkt, an dem sich viele von uns – wahrscheinlich die allermeisten –einig sind, dass das, was der Deutsche Bundestag in der letzten Sitzungswoche debattiert hat, nämlich Rahmenbedingungen für Palliativmedizin und Hospizbewegungen zu schaffen, von vielen als ein erster Schritt begriffen wurde, dem weitere folgen müssen. Das bildet die Rahmenbedingungen für das ab, was wir heute unter dem Thema Suizidbeihilfe diskutieren.

Diese Debatte ist deswegen spannend, weil sie für viele von uns nicht nur durch eigene Erfahrungen geprägt ist, sondern auch durch die hohe Verantwortung, die jeder und jede von uns spürt, wenn es darum geht, in der Gesetzgebung unterschiedliche Rechtsgüter gegeneinander abwägen zu müssen. Heute sind es zwei, die gleichermaßen Verfassungsrang haben: auf der einen Seite das Recht auf die freie Selbstbestimmung des Einzelnen, auf der anderen Seite das Leben. Für mich ist das Leben das höchste Gut, das die Verfassung zu schützen hat, weil es die Voraussetzung ist, damit sich alle anderen Güter entfalten können. Es ist zwar theoretisch vorstellbar, dass es ein Leben ohne freie Selbstbestimmung gibt. Wünschenswert – darin sind wir uns wohl einig – ist dies nicht, auch wenn es theoretisch vorstellbar ist. Die freie Willensbestimmung ohne Leben – darin sind wir uns ebenso einig – ist definitiv ausgeschlossen. Deswegen, glaube ich, ist das höchste Parlament in Deutschland auch in der Verpflichtung, bei Abwägung von Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, dem Leben gegenüber anderen Rechtsgütern, die Verfassungsrang haben, Priorität einzuräumen und dementsprechend zu handeln.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Es ist das Bild bemüht worden, dass der Gesetzentwurf, den Patrick Sensburg, Hubert Hüppe, Peter Beyer und ich und andere vorgelegt haben, sozusagen den Staatsanwalt an das Krankenbett bzw. an das Pflegebett bemühe. Das ist zugegebenermaßen ein plastisches Bild, aber wohl ein virtuelles. Wenn diese Gefahr ernsthaft bestünde, dann müssten wir derlei in praxi aus Österreich, aus Italien, aus Spanien, aus Großbritannien, wo die Rechtslage heute so ist, wie wir sie fordern, eigentlich kennen. Mir sind derlei Beispiele nicht bekannt. Deswegen halte ich diese Diskussion für weitgehend virtuell.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will einen Punkt aufgreifen, den Michael Brand zu Beginn dieser Debatte eingeführt hat, weil mich dieser Punkt nachdenklich gemacht hat und weil wir, Herr Kollege Brand, uns in diesem Punkt sehr einig sind. Ich habe schon aus geografischen Gründen vor vielen Jahren den Beginn einer Diskussion zu einem Thema in der Schweiz verfolgt, das wir heute auf der Tagesordnung haben. Ich habe es insbesondere auch vor dem Aspekt verfolgt: Wie reagieren diejenigen, die sich unseren Parteifamilien zugehörig oder verwandt fühlen, in dieser Frage? Wie agieren sie politisch? Mich hat seinerzeit die Sorge umgetrieben, dass das, was dort in wohlmeinender Absicht diskutiert worden ist und letztlich auf den Weg gebracht worden ist, denjenigen, die das auf den Weg gebracht haben, möglicherweise wieder auf die Füße fallen könnte. Wenn ich heute Bilanz ziehe, dann ist genau das eingetreten. Die Niederlande und Belgien haben ähnliche Erfahrungen gemacht. Ich will vermeiden helfen, dass wir ähnliche Erfahrung in Deutschland machen. Deswegen werbe ich dafür, dass der Gesetzgeber an dieser Stelle eine möglichst eindeutige Regelung trifft, damit die Tür zu bleibt.

Und ich sage aus unserer Sicht, aus der Sicht von Patrick Sensburg und mir: Damit die Tür zu bleibt, ist eine Regelung im Strafgesetzbuch mit einem neuen § 217 notwendig, der freilich – das gebe ich zu, und das räume ich ein; es ist uns auch wichtig – die Möglichkeiten, die das Strafgesetzbuch heute schon bietet, etwa dass man Sterbende straffrei in den Tod begleiten kann, unberührt lässt. Daran soll sich nichts ändern. Es ist uns sehr wichtig, dass da kein Widerspruch entsteht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich will mit einer persönlichen Bemerkung schließen, die vielleicht viele von uns in dieser oder in ähnlicher Weise schon gemacht haben. Wenn Sie Menschen begegnen, die sich in einer krankheitsbedingt schwierigen Phase befinden, durch die sie gelegentlich auch mit dem eigenen Tod konfrontiert werden, dann haben Sie sicherlich beispielsweise bei Besuchen genauso wie ich schon die Einschätzung gehört: Ja, wenn es denn bald zu Ende wäre! – Das ist die temporäre Einschätzung, eine momentane Stimmung. Sie haben vielleicht auch die Erfahrung gemacht, dass, wenn der Besuch dann zu Ende war, diese Einschätzung, es möge bald zu Ende gehen, vom Tisch war und man sich gefreut hat, den einen oder die andere wiederzusehen und daraus ein bisschen neuen Lebensmut zu schöpfen. Deswegen sage ich zum Schluss: Wenn bei einem krankheitsbedingt mit dem Tod Konfrontierten diese Einschätzung eintritt: „Ach, möge es bald zu Ende sein!“, dann ist insbesondere der Gesetzgeber in der Verpflichtung, nicht das Fläschchen zu reichen, sondern Hilfe anzubieten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Nächster Redner ist der Kollege Harald Terpe.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5346100
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Sterbebegleitung
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