02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 4

Karl LauterbachSPD - Sterbebegleitung

Lade Interface ...
Anmelden oder Account anlegen






Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich will zunächst einmal daran erinnern, was überhaupt das Hauptproblem ist, was wir mit dieser Debatte lösen wollen: Das Hauptproblem ist, dass viele Menschen Angst haben vor dem Sterben. Sie haben nicht Angst vor dem Tod, sondern sie haben Angst vor dem Sterben.

Das ist ein ganz anderes Problem als beispielsweise der Ausbau der Palliativmedizin oder der Hospizversorgung. Es gibt Menschen, denen mit den Mitteln der Palliativmedizin leider nicht geholfen werden kann – das sind wenige; aber es gibt sie –, und es gibt zum Zweiten Menschen, die die Angebote der Hospizmedizin und der Palliativmedizin ganz klar verstehen, die sich gut informiert haben und die trotzdem selbst ihren Tod, der bevorsteht, in dieser Form nicht erleben wollen, weil sie ihn nicht als würdevoll empfinden. Sie empfinden ihn nicht als würdevoll – nicht andere –, sie wollen so, wie es auf sie zukommt, nicht sterben; diese Menschen gibt es. Das Problem, das wir lösen wollen, ist: Was bieten wir diesen Menschen an? Nichts? Bieten wir etwas an, was wir bisher nicht angeboten haben, oder belassen wir es bei dem, was angeboten wird? Darum geht es. Es geht nicht um Sterbehilfevereine allein.

Ich komme sehr viel zusammen mit Menschen, die sich mit dem eigenen Tod beschäftigen; zum Beispiel im Wahlkreis, aber auch anderswo wenden sich Leute an mich, Krebskranke und dergleichen. Ich werde oft darauf angesprochen: Was macht ihr bei der Sterbehilfe? Was wird dort passieren? Welche Möglichkeiten habe ich? Welche Möglichkeiten hat meine Mutter? – Ich bin noch nie darauf angesprochen worden: Was passiert mit Herrn Arnold oder mit Herrn Kusch? Das wissen diese Menschen gar nicht, das interessiert niemanden. Hier sind viele im Raum, die machen ein Gesetz gegen Herrn Arnold und Herrn Kusch. Das ist aber nicht richtig. Wir müssen ein Gesetz für viele Menschen machen und nicht gegen ganz wenige.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Frieser [CDU/CSU]: Wir wollen ein Gesetz für das Leben!)

Ich möchte klar darauf hinweisen: Es ist nicht so, wie hier gesagt wird, dass der Gesetzentwurf Brand/Griese ein „Gesetzentwurf der Mitte“ ist. Er ist es nicht. Sie mögen es darstellen, wie Sie wollen – er ist es schlicht nicht. Oft ist es so: Gut gemeint ist nicht gut gemacht.

(Lachen des Abg. Michael Frieser [CDU/CSU])

Dieser Gesetzentwurf wird darauf hinauslaufen, dass Ärzte Sterbehilfe nicht mehr leisten. Ich fange mit mir selbst an: Ich bin Mitglied in einer Kammer, die für den Fall, dass ich das machen würde, mit dem Entzug der Approbation droht. Das ist die Ärztekammer Nordrhein; da bin ich registriert. Da würde ich vielleicht noch sagen: Okay, das riskiere ich, ich brauche die Approbation nicht unbedingt, und es ist auch noch so: Es wird nicht durchgezogen. Vielleicht komme ich damit durch. – Aber wenn mir möglicherweise drei Jahre Haft drohen? Wenn mir unterstellt wird, das wäre auf Wiederholung angelegt?

(Michael Brand [CDU/CSU]: Das wird nicht unterstellt!)

Dann warte ich doch nicht auf den Freispruch nach einer langen Ermittlung, sondern ziehe die Konsequenz: Das mache ich schlicht nicht. – Ich kenne keinen ärztlichen Kollegen, wirklich nicht – und ich kenne viele, die sich mit dem Thema beschäftigen –, der noch bereit wäre, Sterbehilfe zu leisten, wenn der „Gesetzentwurf der Mitte“ Griese/Högl/Brand durchkäme. Das wird – machen wir uns doch nichts vor! – einfach niemand machen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Bitte stellen Sie sich doch nicht dumm! Es ist doch jetzt schon, wo lediglich die Approbation entzogen werden könnte, so: Es macht niemand. Die Ärzte tun es doch jetzt schon nicht. Wenn neben dem Entzug der Approbation dann auch noch strafrechtliche Verfolgung droht, macht das niemand.

Herr Kollege Lauterbach, lassen Sie eine Frage der Kollegin Wawzyniak zu?

Sehr gerne.

Herr Kollege Lauterbach, Sie haben gerade gesagt, Sie würden als Arzt, wenn drei Jahre Haft drohen, keine Suizidbeihilfe mehr leisten. Würden Sie zur Kenntnis nehmen wollen, dass in dem sogenannten Gesetzentwurf der Mitte steht, dass eine Strafbarkeit nur besteht, wenn man in der Absicht handelt, geschäftsmäßig ein auf Dauer angelegtes Angebot zur Suizidbeihilfe zu machen? Ich gehe davon aus, dass Sie nicht mit der Absicht handeln würden, eine auf Dauer angelegte Suizidbeihilfe zu leisten.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)

Vielen Dank für die Frage. – Ich will aus Ihrem Gesetzentwurf zitieren und unterstelle, dass Sie diesen Gesetzentwurf unterstützen – ich lese vor –:

(Michael Brand [CDU/CSU]: Richtig zitiert!)

Nachdem die erstmalige Tätigkeit von mir erfolgt wäre, würden die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beginnen, ob ich beabsichtige, diese Tätigkeit fortzusetzen. Diese staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen beginnen dann übrigens völlig zu Recht; dagegen habe ich nichts einzuwenden. Ich lege es aber doch nicht darauf an,

(Michael Brand [CDU/CSU]: Auf Wiederholung angelegt! Eindeutig!)

dass ich erst freigesprochen werde, nachdem festgestellt worden ist, dass ich es nicht wiederholt machen will. Spätestens beim zweiten Fall würde ich es doch nicht mehr machen. Hätte ich einen Freischuss und würde es dann nie mehr machen?

(Michael Brand [CDU/CSU]: Nein! Ist doch Quatsch!)

Würde ich mir von meinen Patienten einen aussuchen, bei dem ich den Freischuss verwenden würde? Spätestens beim dritten Mal würde doch ermittelt werden. Das will doch niemand.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Das ist doch alles nicht wahr, was Sie behaupten!)

– Ich spreche hier wirklich aus der Praxis. Das macht in der Praxis niemand. – Auch jetzt wird der Entzug der Approbation ja nur angedroht. Er wird ja nicht vollzogen, und trotzdem macht es niemand.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser, Herr Lauterbach!)

Ich sage, worauf dieser Gesetzentwurf hinausläuft. Dieser Gesetzentwurf läuft darauf hinaus, dass die Menschen zur Sterbehilfe in die Länder ziehen müssen, die Sie, Herr Brand, hier angeklagt haben, nämlich in die Niederlande, nach Belgien und in die Schweiz. Darauf läuft der Gesetzentwurf hinaus.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Michael Brand [CDU/CSU]: Sie wissen es doch besser! Das steht bei uns doch gar nicht drin!)

Aus meiner Sicht müssen wir ein Angebot schaffen. Es ist auch nicht richtig, dass wir zwischen unwertem und wertem Leben unterscheiden, wie es Kollege Hüppe dargestellt hat; das ist abwegig. Es geht darum, dass wir die Approbation der Ärzte und deren Rechtssicherheit in Bezug auf das Strafrecht sicherstellen wollen, wenn es um schwerkranke Menschen geht, deren Krankheit zum Tod führt. Wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht werden, die also nicht sterbenskrank sind, dann können aus unserer Sicht die Kammern frei bestimmen, ob demjenigen, der lebenssatt, aber nicht vom Tod bedroht ist, ein Arzt helfen kann oder nicht.

Es bleibt aber immer erlaubt, Herr Frieser. Sie haben gesagt, es würde von uns geregelt, wer dürfe und wer nicht. Nach dem Strafrecht bleibt es immer erlaubt. Ich hatte den Eindruck, dass Sie den Gesetzentwurf nicht komplett gelesen haben.

(Michael Frieser [CDU/CSU]: Zweimal, bis ich ihn verstanden hatte! Das war schwer genug! – Michael Brand [CDU/CSU]: So sollte man nicht diskutieren! Das fällt aus dem Rahmen!)

Das Strafrecht kommt nie zum Tragen. Es bleibt immer erlaubt. Wir wollen aber eine zusätzliche Rechtssicherheit im Sinne einer berufsrechtlichen Rechtssicherheit, wenn es um Menschen geht, die nicht vom Tod bedroht sind.

Ich komme zum Schluss. Das hat auch nichts mit der Palliativmedizin zu tun, Herr Brand. Die Länder, bei denen Sie die problematischen Umstände zu Recht beklagen – die Niederlande, Belgien und die Schweiz –, konnten das Problem, dass es dort immer stärker verlangt wurde, nicht durch die Palliativmedizin lösen. Sie alle haben eine stärker ausgebaute Palliativmedizin als wir. Das können wir nur leisten, indem wir bereit sind, die Einstellung zum Alter und zum Tod zu verändern.

(Michael Brand [CDU/CSU]: Sagen Sie mal etwas zum Kriterienkatalog in der Schweiz und in Belgien!)

Von daher bitte ich, unseren Gesetzentwurf zu unterstützen. Sonst überreagieren wir auf einen kleinen Klub von fragwürdigen Menschen, gegenüber denen ich selbst auch keine Sympathie empfinde. Wir müssen hier aber für die Menschen, die verzweifelt sind, ein Angebot schaffen.

Vielen Dank.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Detlef Müller ist der nächste Redner.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5348036
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Sterbebegleitung
00:00
00:00
00:00
00:00
Keine
Automatisch erkannte Entitäten beta