02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 4

Rudolf HenkeCDU/CSU - Sterbebegleitung

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Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte anschließend an das, was Herr Röspel gerade gesagt hat, nur einen der existierenden Sterbehilfevereine in Erinnerung bringen. Der Verein „Sterbehilfe Deutschland“ von Roger Kusch hat eine Übersicht über seine Tätigkeiten gegeben. Der Verein berichtet, dass im Jahr 2011 26 Personen Sterbehilfe, besser gesagt: Suizidassistenz, in Anspruch genommen haben. Sechs dieser Suizidenten waren körperlich gesund, nur sechs weitere Personen litten überhaupt an einer tödlichen Krankheit, bei neun Personen ist der Suizid ohne jede Diskussion über Alternativen vollzogen worden. – Das alles geht aus den Dokumentationen des Vereins hervor. Ich meine, dass man solchen Geschäften, ob sie nun kommerziell oder im Gewand eines Vereins, der Mitgliedsbeiträge nimmt, betrieben werden, und solchen Usancen ein Ende bereiten muss.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Ich möchte zweitens ein paar Worte dazu sagen, was heute alles möglich ist. Ich habe 1980 nach meinem Staatsexamen begonnen, als Arzt zu arbeiten. Viele der Fragen, die man sich damals gestellt hat, sind heute geklärt. Die Patientenverfügung ist rechtlich verankert. Es gibt heute Richtlinien der Bundesärztekammer über die Möglichkeit eines Zielwechsels in der Therapie. Wenn eine kurative Behandlung nicht mehr möglich ist, dann ist es möglich, auf eine palliative Therapie umzustellen. Es ist möglich, auf Therapiemaßnahmen, die keinen Sinn machen, zu verzichten. Das alles war damals, als ich in den Beruf gekommen bin, noch nicht so. Deswegen kann man den Menschen heute sagen: Niemand muss eine Therapie erdulden – Strahlentherapie, Operation, Chemotherapie; was auch immer –, die er selber ablehnt.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Eine Behandlung durch Ärzte, die nicht vom Einverständnis einer informierten Patientin bzw. eines informierten Patienten getragen ist, ist Körperverletzung und nicht zulässig. Damit haben wir ein starkes Mittel in der Hand, damit Leute nicht zum Objekt werden.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE])

Sterben lassen ist möglich, und Therapien am Lebensende sind möglich. Selbstverständlich kann der Arzt, wenn er sich um Schmerzstillung und Beseitigung von Angst kümmert oder etwas gegen die Luftnot tut, im Einklang mit dem Betreffenden Nebenwirkungen in Kauf nehmen, wie das bei jeder anderen Behandlung der Fall ist. Auch bei Operationen oder Chemotherapien kann es zu Nebenwirkungen kommen. Das ist gar kein rechtliches Problem. Das wird auch bei Umsetzung des Gesetzentwurfs Brand/Griese kein rechtliches Problem werden.

(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: So ist es!)

Im Dezember 2014 hat der Deutsche Ethikrat eine Ad-hoc-Empfehlung vorgelegt. Er macht darin deutlich:

Das ist doch der Punkt. Es ist viel von der Verunsicherung der Ärzte die Rede gewesen. Ich sehe den Grund dafür nicht; aber ich sehe in manchem, was diskutiert wird, den Grund für eine Verunsicherung der Alten, der Schwachen, der Kranken. Denn sie fragen sich, ob sie unter uns noch willkommen, geachtet, geliebt sind, ob wir uns ihnen überhaupt zuwenden wollen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Deswegen meine ich: Man kann argumentieren, dass man die Vereine weiterhin erlauben möchte, weil die Ärzte verunsichert würden, und man kann den Gesetzentwurf von Brand und Griese deshalb ablehnen. Aber ich finde, man kann – darum geht es in einem Entwurf, über den hier auch diskutiert wird – ärztlich begleitete Lebensbeendigung nicht als ein Standardangebot ins Bürgerliche Gesetzbuch einführen, lieber Peter Hintze.

Lieber Herr Lauterbach, als Mitglied der Ärztekammer Nordrhein wissen Sie doch genau, was aus einem solchen Standardangebot resultieren wird: Sie werden eine Zweitmeinung brauchen, Sie werden Qualitätssicherung brauchen, Sie werden eine Gebührenordnung brauchen, Sie werden ein Fortbildungsangebot und Fortbildungspunkte brauchen, Sie werden Forschungsprojekte brauchen. Das alles wird Gegenstand des Medizinbetriebs, wie wir ihn überall kennen; und das möchte ich nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kathrin Vogler [DIE LINKE] – Hubert Hüppe [CDU/CSU]: Bravo!)

Damit würde eine Grenze überschritten. Ich zitiere aus dem Formulierungsvorschlag für eine Änderung des BGB in diesem Gesetzentwurf:

– Autonomie! –

Was heißt das denn? Der Arzt bleibt dabei. Was heißt das denn, wenn das Mittel nicht wirkt? Was heißt das denn, wenn der Betreffende erbricht? Was heißt das denn, wenn er Krämpfe bekommt? Was heißt das denn, wenn er den Erfolg des Suizids nicht erreicht? Dann wird doch der Arzt unter dieser Bedingung – „Der Vollzug … durch den Patienten erfolgt unter medizinischer Begleitung“ – zu einem notwendigen Erfolgsgaranten der Suizidabsicht.

(Beifall des Abg. Hubert Hüppe [CDU/CSU])

Damit wird hier die Grenze zur Tötung auf Verlangen überschritten. Das macht die Tür auf für die Tötung auf Verlangen;

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])

denn das verlangen die Menschen dann mit Recht von den Ärzten, die das einleiten. Da kann man nicht ein Fläschchen hinstellen und sagen: Okay, dieses Fläschchen steht jetzt da, und im Weiteren kümmere ich mich nicht mehr darum. – Das ist nicht das, was die Menschen in einer solchen Situation erwarten. Deswegen sollten wir das, glaube ich, nicht so regeln, wie das in diesem Gesetzentwurf vorgeschlagen wird.

Meine Schlussbemerkung: Ich glaube, die Qualität der Versorgung und die Qualität der Hilfe hängen nicht davon ab, ob genügend Giftbecher gereicht werden, sondern davon, ob es genügend Menschen gibt, die es als Freunde, als Ehrenamtler bei Sterbenden aushalten.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie hängt davon ab, ob wir es Angehörigen ermöglichen, eine aktive Rolle in dem Teil des Lebens ihrer Lieben zu spielen, den wir das Sterben nennen. Sie hängt auch davon ab, ob wir genügend qualifizierte und motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Krankenhäusern, in den Arztpraxen und in den Pflegeheimen haben.

Lassen Sie uns in der Debatte über das Pflegestärkungsgesetz, über die Palliativversorgung und über Hospize daran arbeiten. Dann kommen wir im Deutschen Bundestag, glaube ich, mit dem Verbot der Sterbehilfevereine, mit dem Verzicht auf weitere gesetzliche Regelungen, mit dem Verzicht auf eine Bestimmung, die ein Regelangebot schafft, und mit einer Stärkung der Hospizbewegung und der Palliativversorgung zu einer guten Lösung.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5349043
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Sterbebegleitung
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