02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 5

Jens SpahnCDU/CSU - Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung

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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Krankenhäuser in Deutschland – der Kollege Terpe hat gerade schon darauf hingewiesen – sind das Rückgrat der medizinischen Versorgung. Sie sind die einzige Institution, die 24 Stunden am Tag, 7 Tage die Woche, 365 Tage im Jahr für die medizinische Versorgung der Bevölkerung zur Verfügung steht, im Notfall, aber auch für die Regelversorgung. Ich glaube, niemand geht wirklich gern ins Krankenhaus, aber jeder ist froh, dass eines in der Nähe erreichbar ist, wenn er eines braucht.

Zugleich sind Krankenhäuser in vielen kleineren, mittelgroßen, aber zum Teil auch sehr großen Städten oftmals der größte Arbeitgeber. Es geht um viele Hundert Beschäftigte vor Ort. Es geht im Übrigen auch um große Gebäude und Liegenschaften. Deswegen ist die Diskussion der Frage: „Was passiert in Zukunft mit dem Krankenhaus vor Ort?“, eine, die natürlich mit vielen Emotionen besetzt ist. Krankenhauspolitik, Versorgung mit Krankenhäusern, das ist eines der Kernthemen der Gesundheitspolitik in Deutschland, und deswegen ist es gut, dass wir uns in den nächsten Monaten Zeit nehmen, intensiv genau darüber zu sprechen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dazu möchte ich drei grundsätzlichere Bemerkungen machen:

Zum einen: Wie ist es mit der finanziellen Situation? Jeder dritte Euro, den wir im Gesundheitswesen ausgeben, geht in die Krankenhausversorgung. Das ist also der Bereich, in dem mit Abstand am meisten Geld eingesetzt wird. In den Jahren von 2008 bis 2014 sind die Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung für Krankenhäuser um 30 Prozent gestiegen. In gut sechs Jahren sind die Ausgaben um 30 Prozent gestiegen. Ohne dass wir ein Gesetz ändern, steigen die Ausgaben für die deutschen Krankenhäuser in etwa um 2,5 Milliarden Euro pro Jahr. Durch das Gesetz, das wir jetzt diskutieren, werden sie in den nächsten fünf Jahren noch einmal um gut 5 Milliarden Euro steigen. Da von Kürzungen zu reden und davon, dass zu wenig Geld da ist, lieber Herr Weinberg, das ist, ehrlich gesagt, ein Verkennen der Realität.

Diese Zahlen machen im Übrigen eines deutlich: In dieser Debatte geht es im Kern nicht nur um immer mehr Geld; es geht um die Bereitschaft, Strukturen zu verändern, und genau darüber müssen wir mehr als bisher reden, wenn es um die Krankenhäuser in Deutschland geht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das bringt mich zu einem zweiten Punkt. Manchmal hat man ja den Eindruck, es bestehe die Gefahr einer schlechten Versorgung und Erreichbarkeit. 50 Prozent der Deutschen erreichen innerhalb von 20 Minuten mindestens drei grundversorgende Krankenhäuser. Innerhalb von 30 Minuten erreichen 50 Prozent der Deutschen acht grundversorgende Krankenhäuser in ihrer Nähe. Über 96 Prozent der Deutschen erreichen innerhalb von 25 Minuten mindestens ein Krankenhaus. Das Hauptproblem – das macht ein Blick auf die Zahlen deutlich – haben insbesondere die kleinen Häuser, wenn es um die Fragen geht: Wie hoch ist die Belegung? Wie viele Patienten kommen im Jahr? Anders, als man denken könnte, besteht das Hauptproblem nicht bei Häusern auf dem Land. Tatsächlich sind es zu 75 Prozent kleine Häuser ohne Spezialisierung in den Ballungsräumen, die es finanziell am schwersten haben und um Patienten kämpfen müssen, weil eigentlich zu wenige kommen. Wir müssen uns in dieser Debatte endlich ehrlich machen: Wir haben in den Ballungsräumen zu viele kleine Häuser, die alles machen wollen und immer mehr Patienten brauchen. Da liegt ein Teil des Problems. So ehrlich muss man diese Debatte endlich führen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Genau da wollen wir mit dem Strukturfonds ansetzen. Eine Frage ist ja, was mit diesen Häusern passiert. Ich habe bereits gesagt: Da geht es um Gebäude und um Arbeitsplätze. Dieser Strukturfonds soll den Übergang ermöglichen. Ich würde mir wünschen, dass seine Mittel insbesondere in diesen Bereichen eingesetzt werden, um Häuser aus der Akutversorgung herauszunehmen, sodass sie etwas völlig anderes in der medizinischen Versorgung entwickeln können. Hier sollte beim Strukturfonds ein Schwerpunkt gesetzt werden. Er ist tatsächlich etwas völlig Neues, weil wir erstmalig seit vielen Jahrzehnten Krankenkassengelder einsetzen, um indirekt Krankenhausplanung zu befördern. Insofern ist das ein wichtiger Schritt nach vorne.

Einen weiteren Aspekt will ich ansprechen, nämlich den der Qualität. Wir legen im Moment einen sehr starken Fokus auf die Ergebnisqualität, also auf die Fragen: Wie gut ist am Ende die Hüfte, das Knie, der Rücken operiert worden? Wie geht es dem Patienten nach einem Monat, nach sechs Monaten? Was ist tatsächlich passiert? Es ist auch richtig, hierauf einen Schwerpunkt zu setzen. Aber wir müssen noch stärker als bisher erst einmal auf die Indikationsqualität schauen. Was nützt es mir, wenn ich qualitativ super operiert worden bin, aber unnötig? Es ist im Interesse der Patienten, dass wir auch hier auf die Qualität achten und schauen, wo wir unnötige Operationen vermeiden können, die zum Teil gemacht werden, weil sie Geld bringen, die zum Teil aber auch gemacht werden, weil man die Behandlungsalternativen nicht genug in den Blick nimmt. Es gibt Beispiele, wonach 80 Prozent der Rückenoperationen, die geplant waren, vermieden werden konnten, weil durch eine konventionelle Behandlung, durch entsprechende Physiotherapie und anderes mehr, der Patient schmerzfrei und im Grunde behandlungsfrei wurde. Wir müssen den Fokus stärker auf die Fragen legen: Warum wird eigentlich wie viel in Deutschland operiert? Warum wird regional unterschiedlich operiert? Genau darüber wollen wir in den nächsten Wochen und Monaten reden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bezüglich der Qualität gibt es ein zweites Thema; dabei geht es um die Versorgung in der Fläche und die Frage, wer was macht. Schauen Sie sich einmal die Zahlen der Patienten an, die mit einem Schlaganfall oder einem Herzinfarkt in die Notfallaufnahme kommen. Es gibt Krankenhäuser in Deutschland, in die im Schnitt nicht einmal ein Patient pro Woche mit einem Schlaganfall eingeliefert wird. Dort sind entsprechende Experten nicht vorhanden. Wenn Sie in die Statistik schauen, dann stellen Sie fest, dass in diesen Häusern die Sterblichkeitsrate viel höher ist. Als Schlaganfallpatient ist das Risiko, in einem Krankenhaus, das pro Woche weniger als einen Schlaganfallpatienten hat, an diesem Schlaganfall zu sterben, deutlich höher. Auch diese Debatte müssen wir endlich ehrlich und transparent führen. Wir müssen darüber reden, dass es manchmal Sinn macht, die Dinge zusammenzuführen; dafür muss man vielleicht etwas weitere Wege in Kauf nehmen, erhält dafür aber eine deutlich höhere Qualität in der Versorgung der Patienten. Wenn wir das in den Mittelpunkt stellen und nicht so demagogisch, wie Sie es hier gerade gemacht haben, über Qualität reden würden, dann würde sehr klar werden, dass das In-den-Mittelpunkt-Stellen von Qualität, wie wir es jetzt vorhaben, vor allem den Patienten dienen soll, gerade auch im ländlichen Raum.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Das heißt im Kern – darüber ist dann auch zu reden –: Wir haben zu viele kleine Häuser vor allem in den Ballungsräumen, zu viele Häuser, die versuchen, alles zu machen. Auch das ist ein Problem: Jeder will sich spezialisieren. Jeder will Darmzentrum sein oder eine Onkologie haben. Gleichzeitig gibt es den Drang, jedenfalls in bestimmten Regionen, schneller zu operieren, als es vielleicht nötig ist. Gleichzeitig gibt es aufgrund des Drucks – da kommen wir zur Frage der Pflege – einen Abbau von Personal. Und wir haben die Situation, dass die Länder, die für die Investitionen zuständig sind, diese nicht leisten, und die Häuser, weil sie natürlich in eine gute Versorgung, in einen neuen OP-Saal, in neue Möglichkeiten investieren müssen, gezwungen sind, das Geld, das eigentlich für die Ärzte und für die Pfleger vorgesehen ist, für Investitionen einzusetzen.

Es geht nicht nur um mehr Geld – das muss in dieser Debatte endlich deutlich werden –, sondern auch darum, die strukturellen Probleme in den Mittelpunkt zu rücken und zu lösen. Das ist am Ende auch das entscheidende Element, um das Pflegeproblem zu lösen. Einfach nur mehr Stellen, einfach nur mehr Geld lösen das Kernproblem nicht. Deswegen wollen wir im Zusammenhang mit diesem Gesetz über strukturelle Veränderungen in all diesen Fragen reden.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Abschließend, Herr Präsident, möchte ich sagen: Ich freue mich, dass mit diesem Gesetzentwurf ein gutes Ergebnis der Bund-Länder-Arbeitsgruppe vorliegt, auf dessen Basis wir über Strukturveränderungen reden können. Ich wünsche mir dazu intensive Debatten, auch in den Ausschüssen im Deutschen Bundestag. Sie wissen: Ich werde an diesen Debatten wahrscheinlich in den nächsten Wochen und Monaten nicht mehr so intensiv teilnehmen. Das ist meine letzte gesundheitspolitische Rede – vorerst jedenfalls – nach zwölfeinhalb Jahren, in denen ich mich mit Gesundheitspolitik beschäftigen durfte. Es waren spannende Jahre. Es waren Jahre, in denen es vor allem um Dinge ging, die die Menschen sehr interessieren. Aber mindestens so sehr freue ich mich auf meine neuen Aufgaben.

Ihnen danke ich für die Zusammenarbeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Herr Kollege Spahn, ich darf Ihnen von dieser Stelle herzlich danken. Sie haben in der Gesundheitspolitik tiefe Fußspuren hinterlassen. Vielen Dank dafür. – Jetzt spricht der Kollege Edgar Franke für die SPD.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5349209
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Reform der Strukturen der Krankenhausversorgung
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