02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 12

Andrea LindholzCDU/CSU - Medizinische Versorgung für Asylsuchende

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Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! In der Regel muss sich ein Asylbewerber heute für einen Arzttermin beim örtlichen Sozialamt einen Berechtigungsschein holen. Das ist, zugegeben, mit einem bürokratischen Aufwand verbunden, und auch ich werde in meinem Wahlkreis darauf angesprochen.

Der Antrag der Linken scheint daher zunächst nachvollziehbar zu sein. Sie fordern, dass stattdessen alle Asylbewerber eine elektronische Gesundheitskarte

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre Menschenwürde!)

und nach drei Monaten den vollen Zugang zum deutschen Gesundheitssystem erhalten sollen.

Gerne will ich Ihnen erklären, warum ich sowohl die Gesundheitskarte für Asylbewerber als auch die Gleichstellung nach drei Monaten ablehne. Dazu hole ich ein bisschen aus.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Schläge! – Maria Klein- Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt bin ich gespannt!)

Wir stehen heute vor gewaltigen migrationspolitischen Herausforderungen. Die Vereinten Nationen meldeten kürzlich die unvorstellbare Zahl von weltweit 60 Millionen Flüchtlingen. Das ist die größte Flüchtlingskrise aller Zeiten. Die langfristigen Folgen dieser globalen Katastrophe sind kaum absehbar. Dieses Thema wird uns daher noch über Jahre beschäftigen. Deswegen müssen wir unser Asylsystem und unsere Leistungen so gestalten, dass nur die wirklich schutzbedürftigen Flüchtlinge schnell integriert werden. Abgelehnte Asylbewerber hingegen müssen zügig und konsequent zurückgeführt werden; denn viele deutsche Kommunen haben heute schon die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit erreicht.

Die Bundesregierung tut viel, um die Kommunen zu entlasten: Die Soforthilfen des Bundes wurden in diesem Jahr auf 1 Milliarde Euro verdoppelt. Ab 2016 wird sich der Bund dauerhaft an den Asylkosten der Länder beteiligen. Um die Verfahren zu beschleunigen, wurden beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 1 400 neue Stellen geschaffen; weitere 1 000 Stellen sind für 2016 eingeplant. Mit dem Gesetzentwurf zum Bleiberecht und zur Aufenthaltsbeendigung, den wir heute hier verabschieden wollen, sorgen wir dafür, dass die Ausreisepflicht künftig schneller durchgesetzt werden kann.

Jetzt sind aber auch die Länder gefordert. Wir brauchen mehr Erstaufnahmeeinrichtungen, damit aussichtslose Asylbewerber gar nicht erst auf die Kommunen verteilt werden. Außerdem müssen die Länder ihre Ausländerbehörden und ihre Gerichte besser ausstatten, damit dort in den Asylverfahren nicht der nächste Flaschenhals entsteht.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Deutschland hilft den Flüchtlingen wie kaum ein anderes Land in der EU. Jeder dritte Asylantrag wird heute in Deutschland gestellt. Der Grund dafür ist ganz einfach, er ist relativ simpel: Gemeinsam mit Schweden sind wir das attraktivste Zielland innerhalb Europas.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und ein großes Land!)

Wir haben erst im letzten Jahr die Residenzpflicht und die Vorrangprüfung für Asylbewerber und Geduldete gelockert und den Arbeitsmarktzugang schon nach drei Monaten ermöglicht.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das war eine supergute Entscheidung!)

Seit Jahren steigt die Zahl der Asylanträge in Deutschland extrem an. Im Jahr 2008 wurden 28 000 Anträge registriert.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt alles für was ein Argument? Das habe ich nicht verstanden!)

In diesem Jahr erwarten wir 450 000 Anträge. Damit hat sich die Zahl der Asylanträge in den letzten Jahren um fast 1 600 Prozent erhöht. Sie erreicht damit ein neues Rekordhoch.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die können wir auch trotzdem anständig behandeln!)

Im Schnitt werden bei zwei von drei Asylanträgen keine Schutzgründe festgestellt. Die Hälfte der Asylbewerber kommt aus den Westbalkan-Staaten. Ihre Anträge werden quasi alle abgelehnt; denn diese Menschen suchen bei uns Arbeit. Das ist verständlich – sie kommen zu uns, weil Deutschland Sicherheit, Wohlstand und Zukunft verspricht –, aber das rechtfertigt bei uns keinen Flüchtlingsschutz.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie noch zur Sache, zur medizinischen Versorgung?)

Asyl dient ausschließlich dem Schutz vor Verfolgung und nicht der Anwerbung von Fachkräften oder als Mittel gegen Armut.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Standardrede hatten Sie schon mal, oder nicht? Da müssen Sie mal was Neues schreiben!)

Um unsere Kommunen zu entlasten, müssen wir die große Zahl der aussichtslosen Asylanträge reduzieren. Wir brauchen daher ein klares Asylrecht, das Fehlanreize vermeidet und in ärmeren Weltregionen keine falschen Hoffnungen weckt.

Wenn man Ihrem Antrag folgen würde und bundesweit eine Gesundheitskarte einführen und jedem Asylbewerber den vollen Zugang zum deutschen Gesundheitssystem schon nach drei Monaten ermöglichen würde, dann würden die sowieso schon extrem hohen Asylzahlen weiter ansteigen, und zwar in erheblichem Umfang.

(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist eine stark diffamierende These!)

Die flächendeckende Einführung einer Gesundheitskarte wäre eine Einladung für jeden, sich in Deutschland umsonst behandeln zu lassen.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch perfide! Die Leute krank lassen, um den Pull-Effekt zu vermeiden! Dazu hat Ihnen Karlsruhe schon beim Asylbewerberleistungsgesetz das Richtige ins Stammbuch geschrieben!)

Eine Studie des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge aus dem Jahr 2013 mit dem Titel „Warum Deutschland?“ belegt, dass bereits heute die medizinische Versorgung von Asylbewerbern in Deutschland zu den wesentlichen Anreizen gehört, um hier Asyl zu beantragen. Sie können es gerne nachlesen.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Erzählen Sie mir nie wieder was vom demografischen Wandel!)

Asylbewerber werden heute schon umfassend medizinisch versorgt.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Streichen Sie das C aus Ihrem Parteinamen, und setzen Sie sich!)

Unmittelbar nach der Ankunft erhalten sie eine Kurzuntersuchung. Die ausführliche Untersuchung gemäß § 62 Asylverfahrensgesetz muss spätestens nach drei Tagen erfolgen. In Bayern zum Beispiel wird in den Erstaufnahmeeinrichtungen die medizinische Versorgung aller Asylbewerber auf niedrigschwelliger Basis sichergestellt.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Auf niedrigschwelliger Basis!)

Sie werden mit dem Nötigsten versorgt. Im akuten Notfall steht auch das System der Notfallversorgung zur Verfügung.

Heute schon erhalten Asylbewerber spätestens nach 15 Monaten Aufenthalt eine medizinische Hilfe ähnlich der von Sozialhilfeempfängern. Ab diesem Zeitpunkt erhalten sie auch eine elektronische Gesundheitskarte. Diese Frist von 15 Monaten hat einen guten Grund. Grundsätzlich soll es nämlich eine umfassende gesundheitliche Versorgung nur für anerkannte Flüchtlinge geben oder für diejenigen, die sich seit 15 Monaten in Deutschland aufhalten und diese Dauer nicht rechtsmissbräuchlich selbst verursacht haben. Ein Blick in das Gesetz, in diesem Falle das Asylbewerberleistungsgesetz, erleichtert, wie ich so oft sage, die Rechtsfindung. Da steht das nämlich drin.

Der bayerische Finanzminister erwartet, dass für die Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber in Bayern bis Ende 2016 rund 3 Milliarden Euro fällig werden. Das ist mehr als der Landesetat von Wirtschaft, Gesundheit und Umwelt zusammen. Eine Gesundheitskarte mit dem Leistungsumfang, wie Sie ihn im Prinzip von Beginn an fordern, würde diese Kosten natürlich weiter in die Höhe treiben. Und: Sie riskieren mit Ihrem Vorschlag auch die öffentliche Zustimmung zu unserem Asylsystem. Angesichts von 450 000 – 450 000! – Anträgen in diesem Jahr, eines stetig steigenden Migrationsdrucks und auch der aktuellen Situation im deutschen Gesundheitssystem lässt sich eine solche massive Leistungsausweitung unserer Bevölkerung nicht vermitteln.

Bund und Länder haben sich beim Flüchtlingsgipfel am 18. Juni darauf geeinigt, dass die Länder selbst entscheiden, ob sie die Abrechnung der Arztkosten für Asylsuchende im bisherigen eingeschränkten Leistungsumfang auf die gesetzlichen Krankenkassen übertragen wollen. Bayern hat sich aus gutem Grund dagegen ausgesprochen. Derzeit gibt es dieses Modell nur in Bremen und in Hamburg. Die Signalwirkung der Stadtstaaten ist vergleichsweise überschaubar. Wenn aber auch ein großes Land wie Nordrhein-Westfalen die Gesundheitskarte, wie von Ihnen gefordert oder auch nur wie jetzt möglich, einführt, dann würde das ganz falsche Anreize schaffen, die sich auf das gesamte Bundesgebiet auswirken.

(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Viele Kommunen in NRW wollen das!)

Ich warne ausdrücklich davor. Auch wenn das jetzige System bürokratischer ist: Es hat seinen Zweck. Wir können die Kommunen nur dauerhaft entlasten, wenn wir den Fokus der Flüchtlingspolitik auf die Herkunfts- und die Transitländer richten und dort die Fluchtursachen bekämpfen. Ständig neue Forderungen an den Bund nach noch mehr Hilfen für Asylbewerber sind unverantwortlich.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Bei solch schlimmen Sätzen klatscht noch nicht mal die Union!)

Letztendlich erhöhen auch solche Anreize wie die Gesundheitskarte nur den Migrationsdruck. Wir müssen bei unseren Leistungen ganz klar zwischen Asylbewerbern und anerkannten Flüchtlingen unterscheiden. Unser Asylrecht soll nur die Schutzbedürftigen schützen. Ihr Antrag geht in die falsche Richtung.

(Beifall bei der CDU/CSU – Mechthild Rawert [SPD]: Wir stimmen Ihnen eindeutig nicht zu! – Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Peinlich! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Christlich war mal!)

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abgeordneten Maria Klein-Schmeink, Bündnis 90/Die Grünen.


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5349294
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Medizinische Versorgung für Asylsuchende
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