Christina SchwarzerCDU/CSU - Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrter Herr Müller, ich glaube, das Einzige, was hier unangemessen war, war Ihre Rede heute.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Uns zu unterstellen, wir wollten keine Aufarbeitung, oder die Idee zu formulieren, uns könnten eventuelle Ergebnisse nicht gefallen, das grenzt beinahe schon an Frechheit.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Ungeheuerlich!)
Als wir das heutige Thema am 30. Januar dieses Jahres, nämlich dem fünften Jahrestag der Aufdeckung der Vorfälle am Canisius-Kolleg – die Kollegin Rüthrich hat das schon erwähnt –, in erster Lesung beraten haben, habe ich meinen Beitrag mit der dringenden Bitte beendet, dass die Debatte um die Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch nicht verstummen darf, damit der Mut der Opfer von sexuellem Missbrauch nicht umsonst war. Dazu können wir und müssen wir alle beitragen.
Mit der heutigen Verabschiedung des Antrags wird die Aufarbeitung, auch der Frage nach dem Warum, weiter fortgesetzt. Wir alle tragen nämlich dazu bei, dass unsere Gesellschaft über das Thema „Sexueller Missbrauch“ spricht. Immer nur dann, wenn wir laut sagen und deutlich machen, dass derartige Abscheulichkeiten in unserer Gesellschaft keinen Platz haben, schaffen wir ein Klima, in dem Täter sehen müssen, dass die Menschen in unserem Land ihre Taten weder verstehen noch akzeptieren. Vor allem aber – das ist noch viel wichtiger – schaffen wir ein Klima, in dem sich Opfer trauen können, zu sprechen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Unsere Gesellschaft muss den Opfern gegenüber sicherstellen, dass sie sich öffnen können, ohne Angst vor Bagatellisierung, Ausgrenzung oder Unglaube. Wir müssen zuhören und vor allen Dingen verstehen. Auch deswegen ist die Einrichtung einer unabhängigen Kommission zur systematischen und umfassenden Aufarbeitung so wichtig. Wir als Gesellschaft setzen damit ein wichtiges Signal: Ja, wir wollen zuhören. Wir wollen verstehen. Wir müssen helfen und vor allen Dingen aufarbeiten.
Die Kommission soll eine besondere Aufmerksamkeit auf die Anhörung von Betroffenen legen und Ursachen identifizieren, die Missbrauch in der Vergangenheit möglich gemacht haben. Ziel ist es, eine breite politische und gesellschaftliche Debatte anzustoßen, Fehler der Vergangenheit zu benennen und damit zum verbesserten Schutz der Kinder und Jugendlichen vor sexueller Gewalt beizutragen.
Nicht vergessen dürfen wir, dass die Aufarbeitungskommission auch in den Institutionen helfen kann, in denen junge Menschen Opfer schlimmster Verbrechen wurden.
Ich weiß um die Kritik an einigen Institutionen, die mit Beschönigung oder Vertuschung auf Vorfälle in ihren Einrichtungen reagiert haben. Beispielhaft möchte ich heute die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen in der DDR benennen. Es ist mittlerweile unbestritten, dass beispielsweise im geschlossenen Jugendwerkhof in Torgau körperliche Züchtigungen, Einzelzellenarrest, aber auch sexuelle Kindesmisshandlungen zum Alltag gehörten. Viele davon haben zu Selbstmordversuchen geführt und natürlich auch seelische Schäden hinterlassen. Sexueller Kindesmissbrauch war Teil eines erniedrigenden, demütigenden und menschenverachtenden Erziehungsregimes in den Heimen der DDR. Auch wenn wir Schmerz und Leiden nicht ungeschehen machen können, ist es trotzdem wichtig, heute noch darüber zu sprechen. Es ist wichtig, dies hier heute auch ausgesprochen zu haben, um deutlich zu machen, dass wir uns daran erinnern und eine schonungslose Aufarbeitung anstreben.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Das Ziel lautet entsprechend: Es darf in Institutionen kein Netz von Mitwissern und Wegschauern mehr geben, die diese schrecklichen Verbrechen in ihrem Ausmaß stützen und möglicherweise sogar noch ermöglichen. Damit müssen wir sensibel umgehen; denn gerade bei Menschen, die diese Verbrechen vermuten oder einen Verdacht haben, besteht viel Unsicherheit.
Aber es gibt unter den betroffenen Institutionen auch positive Beispiele, Institutionen, die eine Aufarbeitung bereits begonnen haben. Das müssen wir sehen und positiv herausstellen. Diese Einrichtungen sehen, was manch andere vielleicht noch erkennen müssen: dass die Kommission viel Positives für sie leistet. Sie kann ihnen eine Hilfe sein, Fälle aus der Vergangenheit aufzuarbeiten und so möglicherweise künftiges Leid zu verhindern. Dieses Ziel müssen sich die Institutionen aber auch selbst setzen. Die Aufarbeitungskommission kann und wird den Weg dorthin natürlich unterstützen.
(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)
Bei aller Euphorie über die Einsetzung der Aufarbeitungskommission dürfen wir eines nicht vergessen: Sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen wird es vermutlich immer geben, auch jetzt, in diesem Moment. Das seelische Leid und möglicherweise auch körperliche Schäden bei einem Missbrauch begleiten sie das ganze Leben lang.
Die Aufarbeitungskommission ist jedoch nur ein Baustein von ganz vielen Bausteinen. Um nur einige zu nennen: der Betroffenenrat – er wurde heute schon genannt –, Opferinitiativen, Präventionsnetzwerke wie beispielsweise „Kein Täter werden“ hier an der Berliner Charité. Aber auch die vor einigen Monaten in diesem Hause beschlossene Verschärfung des Strafrechtes gehört ohne jeden Zweifel in diese Liste, in diesem Zusammenhang vor allem die Verlängerung der Verjährungsfristen; wir sprachen in diesem Hause sehr oft darüber. Oft dauert es Jahre oder Jahrzehnte, bis die Opfer über das Erlebte sprechen können. Dieser Mut darf dann nicht ins juristische Nirvana führen. Ebenso wichtig zu nennen ist der Fonds Sexueller Missbrauch. Das ist übrigens ein gutes Stichwort. Nicht ganz so viele Bundesländer haben bisher in den Topf eingezahlt. Ich finde, alle Kollegen in diesem Hause sind verpflichtet, in ihren Bundesländern klarzumachen, dass da noch die eine oder andere Million fehlt.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Bayern hat!)
– Bayern und Mecklenburg-Vorpommern haben in der Tat schon eingezahlt.
(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Das könnte man lobend erwähnen!)
Man kann sich natürlich immer ein bisschen mehr wünschen: ein bisschen mehr Beteiligung, ein bisschen mehr Geld, aber eben auch ein bisschen mehr Zeit. Das wird ja auch in Ihrem Antrag deutlich. Ich schlage Ihnen Folgendes vor: Lassen Sie uns heute gemeinsam den Beschluss zur Einsetzung der Kommission fassen. Es wäre ein großartiges Signal, auch an die Verbände. Gemeinsam sollten wir dann die Arbeit der Kommission wie auch die gesellschaftliche Debatte weiter begleiten. Die Arbeit der Kommission sollte zwar an die Amtszeit von Herrn Rörig gekoppelt werden, aber ich bin mir sicher, dass seine Arbeit 2019 nicht beendet sein wird. Sie wird fortbestehen, weil eben die Aufgaben der Aufarbeitungskommission vermutlich und leider nie beendet sein werden.
Vielen Dank.
(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katja Dörner, Bündnis 90/Die Grünen.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5350082 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch |