02.07.2015 | Deutscher Bundestag / 18. WP / Sitzung 115 / Tagesordnungspunkt 9

Silke LaunertCDU/CSU - Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch

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Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Das Canisius-Kolleg, die Odenwaldschule, Kloster Ettal – immer wieder muss die Öffentlichkeit mit Entsetzen feststellen, dass sexueller Kindesmissbrauch keine Randerscheinung in unserer Gesellschaft ist. Tatsächlich geschieht er mitten unter uns: in Schulen, in Kindergärten, in Sportvereinen, in Kinderheimen, ja, und sogar innerhalb der Familie.

Als ehemalige Staatsanwältin kann ich Ihnen erzählen, dass ich während meiner Tätigkeit mit Schrecken feststellen musste, wie viele Fälle sexuellen Kindesmissbrauchs es in einem überschaubaren geografischen Raum gibt. Dabei ist es so, dass die meisten Taten gar nicht Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gericht bekannt werden.

Seit ich im Bundestag bin und für dieses Thema zuständig bin, haben mir ganz viele Menschen aus meiner Umgebung, aus meinem Bekanntenkreis von ihren Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch erzählt – von eigenen Erfahrungen oder Erfahrungen von Angehörigen. Seitdem weiß ich: Das ist ja fast ein Massenphänomen. Es ist uns lange Zeit nicht so bewusst gewesen. Überall kann es passieren, jederzeit, in allen gesellschaftlichen Schichten – viel häufiger, als wir denken, häufig über Jahrzehnte. Weil keiner das Schweigen bricht, wird es fortgesetzt und das Grauen nimmt kein Ende. Wenn Sie sich die Täter anschauen, die diese sexuellen Neigungen haben und die sie auch ausleben, so stellen Sie fest: Die machen es nicht nur einmal im Leben und nicht nur bei einem Kind; denn wenn das Kind älter ist, kommt das nächste dran.

Nach Bekanntwerden der Fälle in den letzten Jahren hat sich einiges getan. Zahlreiche Einzelmaßnahmen wurden ergriffen, und Initiativen wurden gestartet zur Stärkung der Rechte der Opfer, zur Verbesserung der Prävention, zur Erforschung dessen, wie es überhaupt zu sexuellem Missbrauch kommen kann. Doch all das ist noch nicht genug. Wir wissen: Die Täter, die diese Neigung haben, wollen diese häufig wieder ausleben. Es ist völlig klar, dass es weiter dazu kommen kann. Was können wir tun? Jeder muss im Rahmen seiner Möglichkeiten das machen, was er leisten kann. Niemand darf wegschauen, niemand darf vertuschen, und niemand sollte verdrängen. Das gilt für Organisationen, Institutionen und sonstige Einrichtungen.

Ansprechen möchte ich in diesem Zusammenhang einen Fall, der mich erst vor einigen Wochen erschüttert hat. In der Presse war zu lesen, dass UN-Blauhelmsoldaten sexuellen Kindesmissbrauch verübt haben: in der Zentralafrikanischen Republik und in Haiti. Offenbar wurden Informationen nicht richtig weitergegeben. Offenbar wurde darauf nicht angemessen reagiert, selbst da. Deshalb ist es wichtig, dass man in diesem Bereich klare Kante zeigt und dass die Null-Toleranz-Politik nicht nur auf dem Papier steht, sondern dass man sie umsetzt, sich Maßnahmen vornimmt und diese ernsthaft und aktiv umsetzt.

Es ist auch wichtig, dass diese Fälle immer wieder in die Öffentlichkeit kommen. Hier sind die Journalisten, die Eltern und auch die Schulleiter gefragt. Sie müssen den Mut haben, das anzusprechen, selbst wenn die eigene Schule betroffen ist.

Ferner ist natürlich die Politik gefordert. Der Gesetzgeber muss überall da tätig werden, wo es für ihn einen Weg gibt.

Ich spreche zunächst das Strafrecht an. Die Straftatbestände müssen so formuliert sein, dass sich keine Strafbarkeitslücken auftun, es keine Grauzonen gibt, die Strafe angemessen ist und den Strafverfolgungsbehörden geeignete Ermittlungsmethoden zur Verfügung stehen.

Wir haben die Bekämpfung der Kinderpornografie schon angesprochen. Nur ein Punkt: Die Höchststrafe von drei Jahren – bei Diebstahl liegt sie bei fünf Jahren – halte ich immer noch für zu niedrig. In der Praxis werden Kinderpornografieverfahren sehr häufig gegen Geldauflage eingestellt. Ich sage nur: Edathy lässt grüßen. Jeder wird verstehen, dass dieses Vorgehen – vielleicht abgesehen vom Fall Edathy, weil inzwischen jeder diese Person kennt – nicht wirklich geeignet ist, um des Problems Herr zu werden. Eigentlich müsste es da eine kurze Mindestfreiheitsstrafe geben, eine kurze Freiheitsstrafe auf Bewährung mit der Auflage einer Therapie – nicht weil ich glaube, dass man die sexuelle Neigung wegtherapieren kann, sondern weil ein Druck bestehen muss, den Umgang mit dieser Neigung zu lernen.

Cybergrooming ist das nächste Thema, bei dem wir versuchen, nachzuarbeiten. Wenn sich ein Polizist im Internet als Kind ausgibt und da ein Täter ist, der sexuelle Handlungen vornehmen will und zu diesem Zwecke Kontakt zu dem vermeintlichen Kind aufnimmt, dann ist das nicht strafbar. Also, ganz ehrlich: Das finde ich absolut unverständlich. Ich freue mich, dass wir auch darüber in der Koalition weiter reden.

Natürlich muss das Opfer den Mut haben, über das ihm angetane Leid zu sprechen; das haben wir jetzt schon ganz oft gehört. Genau da setzt die Aufarbeitungskommission an: Ihm wird ein Raum gegeben, in dem es sich aussprechen kann. Man möchte von diesen Erfahrungen lernen. Ich möchte mich – wie all meine Vorredner – bei den Opfern bedanken, die den Mut und die Kraft haben, das zu offenbaren und zum Beispiel ein langes Strafverfahren durchzuhalten.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Die Bedeutung der Aufarbeitung darf nie unterschätzt werden.

Lassen Sie mich – ich sehe, meine Redezeit läuft langsam ab – noch eines sagen: Es geht nicht nur darum, Geld in Institutionen zu stecken, sondern auch darum, dort Geld zu investieren, wo es Hilfe vor Ort gibt. Das ist ganz wichtig. Wir haben in Hof eine Einrichtung, die gerade um ihre Finanzierung kämpft: die Schutzhöhle. Wir müssen nicht nur die Institutionen unterstützen, sondern auch diejenigen, die vor Ort die Arbeit leisten. Ihre Hilfe ist entscheidend, wenn es darum geht, ob die Opfer mit dem erfahrenen Leid leben und es irgendwie verarbeiten können. Ein Opfer hat mir einmal gesagt: Sexueller Missbrauch ist ein Sterben auf Raten.

Lassen Sie uns gemeinsam die richtigen Schritte tun. Die Aufarbeitungskommission ist der erste Schritt, aber es folgen hoffentlich noch viele weitere.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist Kerstin Tack, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daten
Quelle Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen
Quellenangabe Deutscher Bundestag via Open Parliament TV
Abgerufen von http://dbtg.tv/fvid/5350089
Wahlperiode 18
Sitzung 115
Tagesordnungspunkt Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch
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