Maik BeermannCDU/CSU - Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Kinder brauchen Wurzeln und Flügel – so hat es einmal Johann Wolfgang von Goethe formuliert. In poetischer Art und Weise hat er darauf verwiesen, dass Kinder Geborgenheit und Zuwendung brauchen, um sich zu verwurzeln, aber auch Förderung und Unterstützung, um langsam, aber sicher in ein eigenständiges, selbstbestimmtes Leben zu entfliegen, in dem sie sich schließlich in ihre Gesellschaft integrieren und am Alltag teilhaben. Missbrauchten Kindern wurde all dies genommen: Geborgenheit, das Gefühl von Schutz, vor allem aber auch Vertrauen, Vertrauen in die Menschen, die ihnen den Weg in die Zukunft bereiten sollten, ob es nun Eltern sind oder Mitarbeiter öffentlicher Einrichtungen.
Bis heute ist sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen in Deutschland nicht eingedämmt. Im Jahr 2014 wurden in Deutschland 14 191 Kinder Opfer von sexuellem Missbrauch. Diese Zahl hat mich persönlich sehr geschockt; von der Dunkelziffer, die wahrscheinlich noch viel höher liegt, möchte ich gar nicht reden. Das zeigt, dass die Debatte über das Thema Missbrauch von Kindern endlich gelebter Teil unseres Alltags werden muss. Wir brauchen in Deutschland dringend eine breite gesellschaftliche Debatte zum Thema Kindesmissbrauch in Schulen, in Kirchengemeinden und in Vereinen. Diese Orte müssen sichere Orte sein, und Gott sei Dank sind sie dies zum überwiegenden Teil auch.
Ich bin sehr froh darüber, dass wir uns für die Einrichtung einer unabhängigen Aufarbeitungskommission einsetzen und an dieser wichtigen Stelle Lernerfahrung in politisches Handeln umsetzen werden. Was die Finanzierung betrifft, liebe Frau Kollegin Rüthrich, bin ich allerdings der Meinung, dass das Haus, das bei diesem Thema die Federführung hat, auch die Zeche zahlen muss,
(Ulli Nissen [SPD]: „Zeche zahlen“ ist wohl nicht der richtige Begriff!)
und das ist nun einmal das Haus von Frau Schwesig, der Familienministerin.
(Ulli Nissen [SPD]: „Zeche zahlen“ ist nicht der richtige Begriff! – Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Unglaublich!)
Eine zentrale Forderung aus den Jahren 2010 und 2011, die von Betroffenen angesprochen wurde, wird damit aufgegriffen. Ich hoffe, dass die künftige unabhängige Aufarbeitungskommission zu einer viel breiteren politischen und gesellschaftlichen Debatte beitragen wird. Obwohl die Kommission zunächst nur zeitlich befristet arbeitet – bis Anfang 2019 –, wird sie viel erreichen. Sie wird Strukturen identifizieren, die Missbrauch ermöglichen und begünstigen. Sie wird Fehler der Vergangenheit benennen und das Leid der Missbrauchsopfer sichtbar machen. Sie wird vorhandene Aufarbeitungsberichte auswerten, auch die aus den Kirchen, und Forschungsaufträge vergeben, um bestehende Erkenntnislücken zu schließen. Auch die Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch in Kinderheimen und Jugendwerkhöfen der ehemaligen DDR stellt eine wichtige Dimension unseres Koalitionsantrags dar; meine Kollegin Christina Schwarzer hat darauf hingewiesen. Für mich ist ein wichtiger und entscheidender Punkt, dass von sexueller Gewalt in der Kindheit Betroffene angehört werden sollen. Ich hoffe, dass diese Anhörung zur Anerkennung des erlittenen Unrechts beitragen wird.
Solange es nicht gelingt, sexuelle Gewalt einzudämmen und unsere Kinder bestmöglich zu schützen, ist Missbrauch eine Schande und ein Skandal in und für unsere Gesellschaft.
(Beifall bei der CDU/CSU)
Als junger Vater möchte ich, dass nicht nur für meine kleine Tochter, sondern für alle Kinder zum Beispiel die Schule oder der Verein sichere Orte sind, an denen sich unsere Kinder außerhalb der Familie geborgen fühlen. Ich möchte, dass Kinder nicht ihrer Flügel und Wurzeln beraubt werden, indem sie sich dem Risiko eines Missbrauchs aussetzen, ob im privaten oder im öffentlichen Bereich. Ich möchte, dass Schulen, dass alle Einrichtungen und Organisationen, denen Kinder anvertraut sind, verstärkt in Prävention investieren, in institutionelle, aber auch in pädagogische Prävention. Dazu müssen auch unsere Länder und die Kommunen einen Beitrag leisten.
Es gibt längst neue Formen sexueller Gewalt, die zum Beispiel durch digitale Medien in die Kinderzimmer drängen. Immer noch bieten wir Kindern nicht den möglichen Schutz und die mögliche Hilfe, auch nicht dort, wo Handlungsmöglichkeiten bestehen und bekannt sind. Auf neue Entwicklungen wird oft viel zu spät reagiert.
Lassen Sie mich abschließend noch einen Satz sagen, den Bundespräsident Gauck aus meiner Sicht eindringlich und sehr stark formuliert hat:
– und Fehler –
In diesem Sinne wünsche ich dem Unabhängigen Beauftragten, Herrn Johannes-Wilhelm Rörig, und seinem Team für seine wichtige und engagierte Arbeit alles erdenklich Gute.
(Beifall des Abg. Sönke Rix [SPD])
Ich bitte um Zustimmung zu dem Koalitionsantrag. Frau Kollegin Dörner, ich bin mir sicher, dass Sie Ihre Zustimmung zu diesem Antrag nicht bereuen werden.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Quelle | Deutscher Bundestag, Nutzungsbedingungen |
Quellenangabe | Deutscher Bundestag via Open Parliament TV |
Abgerufen von | http://dbtg.tv/fvid/5350161 |
Wahlperiode | 18 |
Sitzung | 115 |
Tagesordnungspunkt | Aufarbeitung von sexuellem Kindesmissbrauch |